Die Übermittlung von Schriftsätzen und Anlagen auf dem seit Januar 2022 vorgeschriebenen elektronischen Weg birgt für die Anwaltschaft weiter erhebliche Risiken. Das zeigt auch der jüngste Beschluss des BGH.
Auch über ein Jahr nach dem Inkrafttreten der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs gilt: Rechtsanwälte müssen bei der Versendung von Schriftsätzen und Anlagen, in der Regel über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), höllisch achtgeben und sorgfältig arbeiten. Sonst drohen Fristversäumnisse und unter Umständen Haftungsfälle.
Ein am Mittwoch veröffentlichter Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) ist gewissermaßen ein Appell an die Wachsamkeit der Anwaltschaft: In diesem stellte der BGH klar, dass Gerichte nicht verpflichtet sind, unmittelbar nach der Übermittlung eines Schriftsatzes nebst Anlage zu prüfen, ob die Formalien eingehalten sind und ggf. den Einreicher auf Fehler hinweisen (Beschl. v. 19.01.2023, Az. V ZB 28/22). Die Berufung eines Rechtsanwalts wurde daher als unzulässig verworfen, der durch eine Verwechselung nicht die Berufungsschrift, sondern nur eine Anlage richtig signiert hatte.
Mit der jüngsten BGH-Entscheidung bestätigt sich zunehmend eine Tendenz: Nicht alle von der Rechtsprechung für den Papierweg – sei es per Einwurf in den Gerichtsbriefkasten, mit der Post oder per Fax – entwickelten Grundsätze können eins zu eins auf den elektronischen Rechtsverkehr übertragen werden.
Fallgestaltung, die häufig vorkommt
Der aktuelle BGH-Beschluss betrifft eine Fallgestaltung, die bei der elektronischen Übermittlung öfters vorkommen dürfte: Bei einem Streit über einen Grundstückskaufvertrag sollte der Rechtsanwalt gegen ein Urteil des Landgerichts Oldenburg Berufung einlegen. Die Berufungsfrist lief am 14.01.2022 ab.
Am 12.1.2022 übersandte der Rechtsanwalt über sein beA seine Berufungsschrift und eine Kopie der erstinstanzlichen Entscheidung an das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Oberlandesgerichts Oldenburg. Die eigentliche Berufungsschrift war nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen, sondern durch eine Verwechselung nur die übersandte Kopie des Urteils. Das OLG gewährte keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verwarf daher die Berufung als unzulässig.
Zu Recht, wie jetzt der BGH entschied und die Rechtsbeschwerde damit zurückwies. Denn: Der Rechtsanwalt wäre verpflichtet gewesen, die Berufungsschrift richtig zu signieren – egal ob durch eine qualifizierte elektronische Signatur oder durch eine einfache Signatur des Anwalts selbst und Übermittlung aus seinem elektronischen Postfach. Beides sei, so der BGH, hier nicht geschehen.
BGH: "'Sammelsignatur' gibt es nicht"
Auch die Argumentation des Anwalts, es habe doch eine Signatur auf dem ebenfalls übersandten Urteil vorgelegen und Berufungsschrift und Urteil müssten doch als Einheit angesehen werden, überzeugte den BGH nicht: Eine "Sammelsignatur" für mehrere Dokumente gebe es nicht, sie sei gem. § 4 Abs. 2 der Elektronischen-Rechtsverkehrs-Verordnung ERRV sogar untersagt, befand das Gericht.
Zwar habe die Rechtsprechung in der Vergangenheit (vor dem 1.1.2022) anerkannt, dass in Fällen, in denen die beglaubigte Abschrift nicht aber das Original eines Schriftsatzes unterschrieben ist, klar ist, dass der Rechtsanwalt die Verantwortung für den (originalen) Schriftsatz übernehmen will. Aber diese Rechtsprechung, so der BGH nun, lasse sich nicht auf die fehlende Signatur unter dem eigentlichen Berufungsschriftsatz übertragen. Dieser hätte vielmehr ordnungsgemäß signiert werden müssen.
Und die Verwechselung der Signatur durch den Rechtsanwalt und seine Kanzlei muss sich die Partei auch zurechnen lassen. Damit sendet der BGH in einem weiteren Fall das Signal an die Anwaltschaft, dass hier mit besonderer Sorgfalt gearbeitet werden muss und Mitarbeiter entsprechend zu schulen sind.
Gericht muss nicht auf Sorgfaltsmangel hinweisen
Dem Rechtsanwalt half es auch nicht, dass er nicht sofort vom Gericht – innerhalb von zwei Tagen – auf die Verwechselung hingewiesen wurde. Denn die in 130 a Abs. 6 Zivilprozessordnung geregelte Hinweispflicht bei elektronischen Dokumenten, die "zur Bearbeitung nicht geeignet sind", sei auf diesen Fall nicht zu übertragen. Dem Richter war die Berufungsschrift erst vier Tage nach dem Ablauf der Berufungsfrist und insgesamt sechs Tage nach der elektronischen Übermittlung vorgelegt worden. Er sei nicht gehalten gewesen, mit der Bearbeitung des Falls und damit nach Ablauf der Frist die Zulässigkeit der Berufung und dabei auch die Einhaltung der Form zu überprüfen.
Zwar gebiete es die gerichtliche Fürsorgepflicht, die Partei auf einen leicht erkennbaren Formmangel hinzuweisen und ihr gegebenenfalls Gelegenheit zu geben den Fehler fristgerecht beheben. Dazu war das Gericht aber in diesen Fällen laut BGH nicht verpflichtet. Wörtlich heißt es in dem Beschluss: "Eine generelle Verpflichtung des Gerichts, die Formalien des als elektronisches Dokument eingereichten Schriftsatzes sofort zu überprüfen besteht nicht. § 130a Abs. 6 ZPO gilt für Signaturfehler nicht."
Damit bleibt der BGH bei seiner mittlerweile sehr klaren Linie, dass strenge Anforderungen an die richtige elektronische Übermittlung von Schriftsätzen gestellt werden müssen. Die Anwaltschaft sollte Beschlüsse wie diese im Hinterkopf haben – und sich im Übrigen nicht auf eine fürsorgliche Justiz verlassen.
BGH zur Übermittlung im elektronischen Rechtsverkehr: . In: Legal Tribune Online, 27.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51165 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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