Für Dienstleister jeder Couleur gibt es im Internet Bewertungsportale, auf denen Einträge anonym verfasst werden können. Doch kommt es zum Streit, muss der Portalbetreiber die Sache aufklären – und kann am Ende selber haften.
Internet-Bewertungsportale erfreuen sich großer Beliebtheit – jedenfalls bei denen, die gerade auf der Suche nach einem neuen Anwalt, Arzt oder Arbeitgeber sind, oder die ihrem Frust bzw. ihrer Freude Ausdruck verleihen wollen. Wer schlecht abschneidet, empfindet das anonyme "Bashing" oft als Persönlichkeitsverletzung, die Plattformbetreiber hingegen berufen sich auf Meinungsfreiheit und Verbraucherschutz.
Mit diesem Konflikt zwischen grundlegenden Rechtspositionen musste der Bundesgerichtshof (BGH) sich am Dienstag erneut befassen (Urt. v. 01.03.2016, Az. VI ZR 34/15). Mit seiner Entscheidung hat der 6. Senat ein gewissermaßen salomonisches Urteil gefällt: Die Plattformbetreiber haften zwar weiterhin erst ab Kenntnis von einer Rechtsverletzung und müssen die Identität der Bewertenden nicht preisgeben. Im Konfliktfall müssen sie die Auseinandersetzung zwischen diesen und den beurteilten Dienstleistern jedoch aktiv und sehr genau moderieren und Einträge entfernen, sofern sie sich als nicht haltbar erweisen. Wird hier geschludert, haftet das Portal selbst.
Bewertungsportale anfällig für Persönlichkeitsverletzungen
Aus der bislang allein verfügbaren Pressemitteilung des BGH wird deutlich, dass der 6. Senat am Grundsatz der Anonymität festhält – ebenso wie in einem früheren Urteil, mit dem er einen Auskunftsanspruch des Dienstleisters gegen das Portal über die Identität des Bewertenden abgelehnt hatte. Im Gegenzug bürden die Richter dem Portalbetreiber aber ein hohes Maß an Verantwortung auf: "Der Betrieb eines Bewertungsportals trägt im Vergleich zu anderen Portalen von vornherein ein gesteigertes Risiko von Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sich. Diese Gefahr wird durch die Möglichkeit, Bewertungen anonym oder pseudonym abzugeben, verstärkt. Zudem erschweren es derart verdeckt abgegebene Bewertungen dem betroffenen Arzt, gegen den Bewertenden direkt vorzugehen", heißt es in der Mitteilung des Gerichts.
Im konkreten Fall habe das beklagte Portal jameda.de seine Prüfungspflicht verletzt, als sich im Jahr 2013 ein Zahnarzt über seine Bewertung beschwerte: Für die Kategorien "Behandlung, Aufklärung und Vertrauensverhältnis" war dort jeweils eine Note von 6,0, für die Kategorie "Genommene Zeit" eine Note von 2,0 und für die Kategorie "Freundlichkeit" eine Note von 4,0 vergeben worden. Der Kommentar dazu lautete: "Leider ist es einfach eine positive Bewertung zu schreiben, eine negative dagegen ist – auch rechtlich – schwierig, weshalb ich für die Bewertung auf die Schulnotenvergabe verweise, welche ich mir sorgfältigst überlegt habe."
Premiumprofile als Objektivitätshindernis?
Der Zahnarzt bat jameda um rechtliche Überprüfung des Sachverhalts sowie Löschung des Artikels. Die Bewertung wurde zunächst tatsächlich von dem Portal entfernt, dann jedoch – unter Verweis auf die Überprüfung des Sachverhalts – wieder eingestellt. Von anderer Seite wurde gar der Vorwurf laut, jameda schütze gezielt (nur) solche Ärzte vor negativen Bewertungen, die dort eines der kostenpflichtigen Premiumprofile buchen – das Unternehmen weist das weit von sich.
Der durch den Zahnarzt erhobenen Unterlassungssklage gab das Landgericht (LG) Köln zunächst statt (Urt. v. 09.07.2014, Az. 28 O 516/13), wurde in der Folge jedoch vom Oberlandesgericht (OLG) Köln aufgehoben (Urt. v. 16.12.2014, Az. 15 U 141/14). Der BGH wiederum hat den Rechtsstreit an das OLG zurückverweisen. Dort soll – unter Zugrundelegung der vom BGH vorgegebenen, äußerst strengen Anforderungen – geprüft werden, ob jameda durch "weitere Prüfungsmaßnahmen" seinen Pflichten doch noch nachgekommen ist.
2/2: "Beweismittel" sollen ausgehändigt werden
Was der Plattformbetreiber alles tun muss, wenn sich ein bewerteter Arzt, Anwalt oder Arbeitgeber beschwert, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Im vom BGH entschiedenen Fall hätte die Bewertungsplattform aber jedenfalls "die Beanstandung des betroffenen Arztes dem Bewertenden übersenden und ihn dazu anhalten müssen, ihr den angeblichen Behandlungskontakt möglichst genau zu beschreiben. Darüber hinaus hätte sie den Bewertenden auffordern müssen, ihr den Behandlungskontakt belegende Unterlagen, wie etwa Bonushefte, Rezepte oder sonstige Indizien, möglichst umfassend vorzulegen."
Damit nicht genug: Der BGH, dem die Hilflosigkeit der Bashing-Opfer offenbar ein Dorn im Auge ist, will die Plattformbetreiber auch zur Aushändigung der "Beweismittel" an den Bewerteten zwingen. Die Vorinstanz hatte noch geurteilt, dass es dem Kläger auf diese Weise anhand seiner Praxisunterlagen unschwer möglich wäre, die Identität des Verfassers der eingestellten Bewertung zu ermitteln. Dies widerspreche den gesetzlichen Vorgaben, denn nach § 12 Abs. 2 Telemediengesetz (TMG) dürfen für die Bereitstellung von Telemedien erhobene personenbezogene Daten für andere Zwecke nur verwendet werden, soweit eine Rechtsvorschrift dies erlaubt oder der Nutzer eingewilligt hat. Eine Weitergabe von solchen Daten an Dritte erfordert damit grundsätzlich das Vorliegen eines der aufgezeigten Ausnahmetatbestände.
Eine Erlaubnis durch Rechtsvorschrift ist jedoch nicht ersichtlich – auch der zivilrechtliche Auskunftsanspruch nach §§ 242, 259, 260 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) scheidet aus, da die Erlaubnisnorm sich ausdrücklich auf Telemedien beziehen muss. Eine Weitergabe von personenbezogenen Daten zur Erfüllung eines Auskunftsanspruchs wegen einer Persönlichkeitsverletzung kommt damit bislang ohne Einwilligung des Nutzers grundsätzlich nicht in Betracht. An diesem heiklen Punkt setzt der BGH nunmehr zugunsten der Bewerteten den Hebel an und stellt fest, dass zumindest eine generelle Verweigerung der Weitergabe von Daten nicht mehr möglich ist: "Diejenigen Informationen und Unterlagen, zu deren Weiterleitung sie ohne Verstoß gegen § 12 Abs. 1 TMG in der Lage gewesen wäre, hätte sie an den Kläger weiterleiten müssen." Welche das sein sollen bzw. inwiefern der BGH eine Anonymisierung für möglich erachtet, ist der Pressemitteilung indes nicht zu entnehmen.
Der Schiedsrichter haftet, wenn er sich nicht an die Regeln hält
Die Entscheidung des BGH ist richtig, denn sie ist der einzige Weg, wie Persönlichkeitsrechte von Personen und Unternehmen im Falle von rechtswidrigen Bewertungen gewahrt werden können. Da der Plattformbetreiber über "Herrschaftswissen" verfügt, aber die Identität des Bewertenden nicht verraten darf, ist er in der Pflicht und muss sich als fairer Schiedsrichter betätigen. Macht er dabei Fehler oder hält er Informationen zurück, gerät er selbst in die Haftung. Das ist recht und billig, da sein wirtschaftlicher Verdienst auf den anonymen Bewertungen fußt.
Die Entscheidung des BGH, dass der Portalbetreiber verpflichtet war, bestimmte Daten an den Betroffenen zu übermitteln, kann durchaus auch als Aufforderung an den Gesetzgeber verstanden werden, eine diesbezügliche Erlaubnis durch Rechtsvorschrift zu schaffen, die sich ausdrücklich auf Telemedien bezieht. Auf einer solchen Grundlage wäre dann endlich eine juristische Auseinandersetzung auf Augenhöhe möglich, wenn Bewertungen eindeutig Persönlichkeitsrechte verletzen.
Der Autor Dr. Niklas Haberkamm, LL.M. oec. ist Partner der Kanzlei Lampmann, Haberkamm & Rosenbaum in Köln. Er ist spezialisiert auf das Medienrecht und dort insbesondere auf das Reputationsmanagement sowie den Schutz des Unternehmenspersönlichkeitsrechts.
Der Autor David Ziegelmayer ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei CMS Hasche Sigle in Köln. Er ist als Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz spezialisiert auf Äußerungsrecht und Reputationsschutz für Unternehmen.
David Ziegelmayer und Niklas Haberkamm, BGH zu "Bashing" auf Bewertungsportalen: Der Preis der Anonymität . In: Legal Tribune Online, 01.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18642/ (abgerufen am: 18.07.2024 )
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