BGH zu archivierten Medienberichten: Ver­lage müssen Namen nicht auto­ma­tisch löschen

Gastbeitrag von Martin W. Huff

30.04.2019

Wenn Medien zulässig über Strafverfahren berichtet und dabei Namen genannt haben, dann müssen sie diese nicht automatisch nach einer gewissen Zeit aus dem Online-Archiv entfernen. Es ist immer noch abzuwägen, so der BGH. Von Martin W. Huff.

Internetarchive der Medien sind für diejenigen, die nach bestimmten Informationen suchen, eine feine Sache. Zum Teil sind dort Beiträge zu finden, die viele Jahre zurückliegen. Häufig auch noch in der Form, wie sie damals veröffentlicht wurden. Von der Berichterstattung Betroffene versuchen deshalb immer wieder, den Medien verbieten zu lassen, solche einmal veröffentlichten Beiträge auch später noch verfügbar zu halten.

Bisher hat der Bundesgerichtshof (BGH) in solchen Fällen eine medienfreundliche Linie verfolgt, die besagt, dass das, was einmal zulässig berichtet worden ist, in der Regel auch weiterhin in den elektronischen Archiven zu finden sein darf. Nur wenn eine aktuelle Verlinkung auf alte Beiträge stattfindet, müssen die Redaktionen prüfen, ob der ursprünglich einmal zulässig veröffentlichte Beitrag auch heute noch im Lichte des Persönlichkeitsrechts erneut veröffentlicht werden dürfte. Eine Verlinkung wird dabei als Veröffentlichung angesehen.

Noch in diesem Jahr wird das Bundesverfassungsgericht, so jedenfalls die bisherige Ankündigung, über zwei Verfassungsbeschwerden entscheiden (Az. 1 BvR 16/13 und 276/17), die von Betroffenen gegen die Ablehnung von Unterlassungsansprüchen eingelegt worden waren. Indes hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, der auch für das Medienrecht zuständig ist, in einem in der vergangenen Woche veröffentlichten Urteil vom 18. Dezember 2018 (Az. VI ZR 439/17) seine bisherige Linie fortgesetzt und seine Überlegungen noch einmal ausführlich begründet.

Streit um über 20 Jahre alten Artikel

Im entschiedenen Fall ging es um einen Steuerberater, der für eine Fraktion einer Partei im Landtag von Sachsen-Anhalt tätig war. Gegen den früheren Fraktionsvorsitzenden und den klagenden Berater lief Ende der neunziger Jahre ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Veruntreuung von Fraktionsgeldern. Unter Namensnennung beider Betroffener war in einer Tageszeitung am 3. Dezember 1997 ausführlich berichtet worden. Dieser Artikel ist über eine Archivfunktion weiterhin aufzufinden, wobei dort ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass der Artikel am 3. Dezember 1997 veröffentlicht worden ist.

Der Steuerberater forderte den Verlag auf, seinen Namen in dem Artikel zu löschen. Das Landgericht Berlin hatte der Klage insoweit stattgegeben, als dass es den Verlag verpflichtete, über den Mann im Zusammenhang mit dem erhobenen Vorwurf nicht mehr unter voller Namensnennung zu berichten. Die Berufung dagegen war weitgehend erfolglos geblieben.

In seinem nun veröffentlichten Urteil hebt der BGH nunmehr das Urteil des Kammergerichts auf und verweist das Verfahren mit der Aufforderung an das Gericht zurück, die Ansprüche unter Berücksichtigung der Auffassung der Bundesrichter erneut zu prüfen.

Es braucht immer eine Abwägung

Der BGH geht regelmäßig davon aus, dass in solchen Fällen, in denen auch Jahre zurückliegende Beiträge mit Namensnennung noch auffindbar sind, grundsätzlich in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingegriffen wird. Allerdings verlangen die Karlsruher Richter sodann, dass eine umfassende Interessenabwägung stattfindet. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht sei nämlich nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen den schutzwürdigen Belangen der Medien vorgeht.

Dabei verweisen die Richter auf eine lange Kette von Gerichtsentscheidungen, in denen sowohl der BGH selbst, aber auch das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darauf verwiesen haben, dass die Medien zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden dürfen. "Verfehlungen – auch konkreter Personen – aufzuzeigen, gehört zu den legitimen Aufgaben der Medien", formulieren die Karlsruher Richter sehr deutlich.

Dabei ist ihnen klar, dass eine Namensnennung eine erhebliche Breitenwirkung entfalten und eine besondere Stigmatisierung des Betroffenen nach sich ziehen kann. Allerdings komme, so die Richter in ihrem aktuellen Urteil weiter, dem Gegenstand der Berichterstattung besondere Bedeutung zu. Gehe es um die Berichterstattung über eine Straftat, sei zu berücksichtigen, dass eine solche Tat zum Zeitgeschehen gehört, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien sei. Die Verletzung der Rechtsordnung begründe grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an der Information über Tat und Täter. Dies umso stärker, je mehr sich die Tat in Begehungsweise, schwere oder wegen anderer Besonderheiten von der gewöhnlichen Kriminalität abhebe.

Bei Straftaten hat Informationsinteresse in der Regel Vorrang

Der BGH stellt ebenfalls fest, dass bei der Abwägung das Informationsinteresse der Öffentlichkeit für die aktuelle Berichterstattung über Straftaten in der Regel Vorrang genießt. "Denn wer den Rechtsfrieden bricht, muss sich nicht nur den hierfür verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen, sondern er muss auch dulden, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird", heißt es in der Entscheidung.

Allerdings müsse die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts im angemessenen Verhältnis zur Schwere des Fehlverhaltens und seiner sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen. Bedeutsam sei, so die Richter auch in aller Deutlichkeit, ob die Berichterstattung allein der Befriedigung der Neugier des Publikums diene oder die Medien damit einen Beitrag zur Meinungsbildung in einer demokratischen Gesellschaft leisteten und – so die Formulierung der Richter - die Medien mithin ihre Funktion "als Wachhund der Öffentlichkeit" erfüllten.

Unter diesen Gesichtspunkten war die Berichterstattung in diesem Fall  zur Zeit der Veröffentlichung zulässig.

Kein pauschales Recht, mit der Tat in Ruhe gelassen zu werden

Allerdings sehen die Richter auch, dass mit zeitlicher Distanz zum Strafverfahren und nach Befriedigung des aktuellen Informationsinteresse der Öffentlichkeit das Interesse des Betroffenen an Bedeutung gewinnt, von neuerlichem Aufsehen wegen seiner Verfehlung verschont zu bleiben. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht biete Schutz vor einer zeitlich uneingeschränkten Befassung der Medien mit der Person des Straftäter, so der BGH.

Damit sei allerdings eine vollständige Immunisierung von der ungewollten Darstellung persönlichkeitsrelevanter Geschehnisse nicht gemeint. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittle keinen uneingeschränkten Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit nicht mehr mit seiner Verfehlung konfrontiert zu werden. Selbst die Verbüßung der Straftat führe nicht dazu, dass ein Täter den uneingeschränkten Anspruch erwirbt, mit der Tat allein gelassen zu werden.

All diese Grundsätze habe das Kammergericht bei seiner Verurteilung des Verlages nicht ausreichend berücksichtigt. Die Bundesrichter verlangen von den Berliner Kollegen eine umfassende Abwägung, warum das Interesse des Verlages an der Archivfunktion seiner einmal zulässigerweise veröffentlichten Artikel hinter dem Interesse des Mannes zurücktreten soll, bei Eingabe seines Namens gefunden zu werden. So hätte das Kammergericht zum Beispiel auch prüfen müssen, ob eventuell lediglich die Auffindbarkeit des Artikels im Internet per Suchmaschine vom Verlag hätte unterbunden werden müssen, ohne gleich den gesamten Beitrag im Archiv zu löschen.

Allein die Tatsache, dass seit der ersten Veröffentlichung des Artikels über 20 Jahre vergangen sind, führt nach Auffassung des BGH nicht automatisch dazu, dass ein solcher Artikel nicht mehr zugänglich sein darf. Der Artikel sei ausdrücklich als Altmeldung gekennzeichnet und nur im Archiv zugänglich. Zugunsten der Medien falle deshalb ins Gewicht, dass ein anerkanntes Interesse der Öffentlichkeit nicht nur an der Information über das aktuelle Zeitgeschehen, sondern auch an der Möglichkeit besteht, vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse anhand der unveränderten Originalberichte in den Medien zu recherchieren.

Dementsprechend nähmen die Medien ihre Aufgabe, in der Ausübung der Meinungsbildung der Öffentlichkeit zu informieren und an der demokratischen Willensbildung mitzuwirken, auch dadurch war, dass sie nicht mehr aktuelle Veröffentlichung für interessierte Mediennutzer verfügbar halten.

Zu weite Unterlassungsansprüche schrecken Verlage ab

Besonders deutlich weisen die Bundesrichter darauf hin, dass die Gefahr eines abschreckenden Effekts auf den Gebrauch der Meinungs- und Pressefreiheit bestünde, wenn archivierte Beiträge regelmäßig auf ihre Rechtmäßigkeit zu kontrollieren seien. Es bestünde dann die Gefahr, dass zulässige Namensnennungen in der aktuellen Berichterstattung unterblieben, um sich später keinen Ansprüchen der Betroffenen ausgesetzt zu sehen, geben die Karlsruher Richter zu bedenken.

Insgesamt bedeutet das Urteil des BGH für die Medien eine wichtige Unterstützung ihrer Arbeit. Sie können weiterhin ihre Archive betreiben, wenn es sich um ursprünglich einmal zulässig veröffentlichte Beiträge handelt. Alleine die Tatsache, dass solche Archive mittlerweile online zur Verfügung stehen, macht es nicht erforderlich, Artikel nach bestimmten Fristen zu bearbeiten oder den Zugang zu ihnen vollständig zu unterbinden.

Der BGH betont dabei noch einmal deutlich, dass den Medien auch in der Berichterstattung über Strafverfahren unter Namensnennung eine erhebliche Bedeutung zukommt. So bleibt spannend, ob das Bundesverfassungsgericht diese liberale Linie der Richterkollegen ein paar Straßen weiter bestätigen wird.

Der Autor ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Legerlotz Laschet Rechtsanwälte in Köln und befasst sich seit Jahren mit Fragen der Öffentlichkeitsarbeit der Justiz und der Berichterstattung über die Arbeit der Justiz.

Zitiervorschlag

BGH zu archivierten Medienberichten: . In: Legal Tribune Online, 30.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35121 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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