Auch wenn sich Anwälte in Antwortschreiben auf Presseanfragen nicht einlassen, dürfen die Medien ggf. trotzdem daraus zitieren, entschied der BGH. Niko Härting begrüßt, dass es keinen "generellen deliktischen Schutz" der Geheimhaltung gibt.
In seiner kürzlich veröffentlichten Entscheidung zu den "Football Leaks" stärkt der Bundesgerichtshof (BGH) die Meinungs- und Pressefreiheit. Soweit es um öffentliche Kommunikation geht, ist das Datenschutzrecht nach der überzeugenden Argumentation der Karlsruher Richter auch nicht anwendbar (Urt. v. 26.11.2019, Az. VI ZR 12/19).
Geklagt hatte ein Berliner Medienanwalt gegen den Spiegel-Verlag. Er vertrat einen Profifußballer und sah sich im Rahmen dieser Arbeit mit einer Presseanfrage konfrontiert, unter anderem mit diversen Fragen zu Steuervermeidungspraktiken seines Mandanten nach den Enthüllungen der "Football Leaks." In seinem Antwortschreiben betonte der Anwalt, dass seine Ausführungen nicht der Einlassung zu den Fragen, sondern nur der presserechtlichen Interessenvertretung seines Mandanten dienten.
Über Versuche wie diesen, eine Berichterstattung über die Steuertricks der Fußballstars zu verhindern, verfasste Der Spiegel einen separaten Artikel. Darin zitierte er auch aus dem Antwortschreiben des Anwalts auf die Presseanfrage:
"Diesmal empörte er [der klagende Anwalt; Anm. d. Red.] sich über eine angeblich 'neue Qualität von journalistischer Verrohung'. Der Spiegel nutze Material aus einem 'Hackerangriff', die Fragen seien 'der Privatsphäre ... bzw. dem Steuergeheimnis zuzurechnen'. Eine Zeile über den Fall im Heft und man werde klagen. Definitiv!"
Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Anwalts?
Der klagende Jurist sah in diesen Zitaten einen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht und reichte beim Landgericht (LG) Köln eine Unterlassungsklage gegen den Spiegel-Verlag ein. Das LG gab der Klage statt, vor dem Oberlandesgericht Köln war allerdings der Verlag erfolgreich. Nun konnte der Anwalt mit seinen Argumenten auch den BGH nicht überzeugen.
Soweit es um den "Hackerangriff" und die Worte "der Privatsphäre bzw. dem Steuergeheimnis zuzurechnen" ging, scheiterte die Klage bereits am fehlenden Eingriff in Rechte des Anwalts. Der BGH betonte nämlich, dass es "keinen generellen deliktischen Schutz des Geheimhaltungswillens" gebe. Für die Praxis heißt das: Entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis muss man den Verfasser eines Schreibens oder einer Mail nicht fragen, bevor man das Schreiben Dritten zur Kenntnis gibt oder aus dem Schreiben zitiert.
Auch aus dem Anwaltsgeheimnis lasse sich, so der BGH, kein Geheimhaltungsschutz ableiten. Wer einen Anwaltsbrief erhält, werde hierdurch nicht zum schweigepflichtigen Gehilfen des Anwalts. Dies ist so selbstverständlich, dass es fast überrascht, dass der BGH hierauf überhaupt eingeht.
Dass es keinen "generellen deliktischen Schutz" der Geheimhaltung gibt, schließt natürlich Ausnahmen nicht aus. Lässt ein Zitat "Rückschlüsse auf die Persönlichkeit" des Verfassers zu, könne in dem Zitat ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht liegen, heißt es in dem Urteil.
Ob dies allerdings bei dem Zitat "neue Qualität von journalistischer Verrohung" der Fall ist, lässt der BGH offen. Er erwägt nur, ob dieses Zitat einen Ausdruck der "in gewisser Weise emotionalen Argumentationsweise des Klägers" darstelle.
Letztlich kommen die Karlsruher Richter aber zu dem Ergebnis: Selbst wenn das Zitat in das Persönlichkeitsrecht des Anwalts eingreift, sei dieser Eingriff nicht rechtswidrig, da die Meinungs- und Medienfreiheit überwiegt. Das wörtliche Zitat habe nämlich eine "erhebliche Bedeutung für die öffentliche Meinungsfreiheit" wegen seines besonderen Dokumentationswerts im Rahmen einer Berichterstattung.
Dagegen beeinträchtige das Zitat die Rechte des klagenden Anwalts "allenfalls nur sehr geringfügig" und ausschließlich in seiner Sozialsphäre. Wenn Anwälte Schriftsätze schreiben, handelten sie weder privat noch intim.
Das Ergebnis kommt nicht überraschend. Vor zehn Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem Fall mit ähnlicher Fragestellung die Unterlassungsurteile der Zivilgerichte aufgehoben und betont, dass wörtliche Zitate aus Anwaltsschreiben nicht nur dann erlaubt sind, wenn ein "öffentliches Informationsinteresse" besteht (BVerfG, Beschl. v. 18.2.2010, 1 BvR 2477/08).
Warum der BGH auch über das Datenschutzrecht nachgedacht hat
Seit 2010 hat das Datenschutzrecht stark an Bedeutung gewonnen. Es überrascht daher nicht, dass sich der BGH in seiner "Football Leaks"-Entscheidung eingehend mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung befasst. Der BGH geht von der Neubestimmung des Schutzbereiches dieses Grundrechts aus, die das BVerfG in dessen Ende vergangenen Jahres gefällten "Recht auf Vergessen I"-Entscheidung vorgenommen hat. Danach schützt das Datenschutzrecht im privaten Rechtsverkehr nur gegen die ungewollte Preisgabe von Daten und gegen eine intransparente Verarbeitung und Nutzung von Personendaten.
Soweit es dagegen um Kommunikationsprozesse wie etwa dem Antwortschreiben des Anwalts auf die Spiegel-Presseanfrage geht, bestimme sich der Grundrechtsschutz nicht nach dem Datenschutz, sondern nach den "äußerungsrechtlichen Ausprägungen" des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, so der BGH. Weniger kompliziert ausgedrückt heißt das: Das Datenschutzrecht bleibt im Äußerungsrecht außen vor.
Für das Äußerungsrecht wird es nach den Entscheidungen des BVerfG und des BGH also auch in Zukunft dabei bleiben, dass die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und der Kommunikationsfreiheit in jedem Einzelfall den Streit entscheidet, ohne dass das Datenschutzrecht zusätzliche Grenzen setzt. Dies bedeutet zugleich, dass die DSGVO in äußerungsrechtlichen Fällen der freien Kommunikation nicht im Wege steht. Ein wichtiges Stück Rechtssicherheit für die Presse, aber auch für Blogger und den Meinungsaustausch offline und online.
BGH zur Pressefreiheit: . In: Legal Tribune Online, 30.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40009 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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