Rechtsprechungsänderung im Verbrauchsgüterkaufrecht: BGH legt Man­gel­ver­mu­tung zugunsten von Käu­fern aus

von Prof. Dr. Roland Schimmel

13.10.2016

2/2: EuGH beginnt mit weiter Auslegung

Trotz begründeter Kritik im Schrifttum war das bis zum vergangenen Jahr der Stand der Dinge. Mitte 2015 hat aber der EuGH den Anwendungsbereich des  Art. 5 III der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (1999/44/EG) eher weit bestimmt (Urt. v. 4.6.2015, Az. C 497/13). Insbesondere hat das Gericht erklärt, dass die Vermutung nur dann nicht gelten solle, wenn "[…] der Verkäufer rechtlich hinreichend nachweist, dass der Grund oder Ursprung der Vertragswidrigkeit in einem Umstand liegt, der nach der Lieferung des Gutes eingetreten ist" (Rn. 75).

Der Ausgangssachverhalt für die Entscheidung des EuGH stammte aus den Niederlanden und betraf den Kauf eines gebrauchten Pkw, der vier Monate nach Übergabe während der Fahrt Feuer fing und ausbrannte.

Nachdem der BGH mit seiner aktuellen Entscheidung seine Rechtsprechung geändert hat, bezieht sich die Vermutung des § 476 BGB nicht mehr nur auf die zeitliche Komponente, sondern erhält eine neue Qualität: Widerleglich vermutet wird nun ein "latenter" Mangel, den der nicht sachkundige Käufer oft gar nicht richtig bezeichnen kann, dessen Vorhandensein er aber aufgrund des Mangelsymptoms argwöhnt.

Gut für Käufer = schlecht für Verkäufer?

Aus der Perspektive des Verbrauchers ist dieser Richtungswechsel zu begrüßen. Nicht nur, weil sich nun die rechtlich richtige Lesart des § 476 BGB derjenigen eines Laien annähert, sondern in erster Linie, weil die technische Komplexität des Kaufgegenstands und damit die schwierige Aufklärung des Mangelverursachungsverlaufs nunmehr im Wesentlichen ein Problem des Verkäufers ist. 

Nun kann man umgekehrt kritisieren, dass eine weite Interpretation des Anwendungsbereichs von § 476 BGB zu einer quasi garantieähnlichen Haftung des Verkäufers in den ersten sechs Monaten nach Übergabe führt. Der EuGH schätzt die Folgen angesichts der übersichtlichen Zeitspanne aber als nicht zu gravierend ein. Und wenn man in Rechnung stellt, dass die Regelung nur bei Verbrauchsgüterkäufen anwendbar ist, mutet das Ergebnis auch finanziell nicht allzu schwerwiegend an: Ein wirtschaftlich denkender Verkäufer wird ein daraus resultierendes zusätzliches Gewährleistungs-Kostenrisiko in den Preis einkalkulieren. 

Das wiederum weiß der Käufer, der den Gebrauchtwagen mit guten Gründen nicht "von privat", sondern von einem Händler kauft. Zudem bleibt dem Verkäufer, der seiner Sache sicher ist, immer die Widerlegung der Vermutung. Wenn die ziemlich feinsinnig anmutende Unterscheidung zwischen Grundmangel und Mangelsymptom zumindest im Recht des Verbrauchsgüterkaufs in die zweite Reihe tritt, wird man sie kaum vermissen.

Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der FH Frankfurt am Main

Zitiervorschlag

Roland Schimmel, Rechtsprechungsänderung im Verbrauchsgüterkaufrecht: . In: Legal Tribune Online, 13.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20853 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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