2/2 "Jeder Richter passt sich dem Erledigungsdruck an"
Eine Reihe von Strafanzeigen wegen versuchter Nötigung, die Schulte-Kellinghaus und weitere Juristen, darunter der bekannte Strafverteidiger Gerhard Strate, gegen die Ex-Präsidentin und andere Akteure innerhalb der Justizverwaltung gestellt haben, führten nicht zur Aufnahme von Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft. Auch vor dem Richterdienstgericht unterlag der Freiburger Richter, der Dienstgerichtshof bei dem Oberlandesgericht Stuttgart bestätigte das in seinem Urteil vom 17.04.2015 (DGH 2/13). Das "bloße allgemeine Anhalten zu vermehrten Erledigungen" sei mit der richterlichen Unabhängigkeit vereinbar. Auch der Vergleich der Erledigungszahlen des Richters mit denjenigen anderer Richter stelle für sich genommen keinen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit dar.
Anwältin Gröbmayr hingegen hält den Vergleich durchschnittlicher Erledigungszahlen für falsch: "Jeder Richter passt sich im Laufe seines Berufslebens dem Erledigungsdruck an, der ja unzweifelhaft in der Justiz besteht – auch mein Mandant, nur eben vielleicht nicht in dem Maße wie viele andere Kollegen."
Auch bei der Neuen Richtervereinigung sieht man den Vergleich von Durchschnittszahlen kritisch. Bundessprecher Carsten Löbbert sagt: "Aus unserer Sicht sollte ganz klar anerkannt werden, dass der Durchschnitt nicht das Maß dafür sein darf, was ein Richter zu schaffen hat. Es darf hier nicht nur um Zahlen gehen. Es geht um einen breiten Korridor, welches Pensum möglich oder angemessen sein kann. Sicherlich gibt es hier eine Grenze, aber es muss sehr genau diskutiert werden, wann diese Grenze erreicht ist."
Keiner, der eine ruhige Kugel schiebt
Tatsächlich ist unumstritten, dass Schulte-Kellinghaus gründlich arbeitet, sorgfältige Urteile schreibt und keinesfalls früher nach Hause geht als seine Kollegen. "Wir reden hier nicht über einen Richter, der eine ruhige Kugel schiebt", sagt Löbbert. "Wenn jemand sagt, ich habe keine Lust zu arbeiten und mache nur einen Fall pro Monat, wäre das natürlich nicht in Ordnung. Aber hier geht es unstreitig um einen Richter, der sehr intensiv arbeitet und sagt, ich arbeite so intensiv, dass ich nur eine bestimmte Menge schaffe." Es sei allerdings selten, dass ein Fall "so eskaliert wie hier", so Löbbert. "Mit Respekt und Vertrauen zwischen Justizverwaltung und Richtern lassen sich sicherlich die meisten Fälle lösen."
DRB-Geschäftsführer Rebehn sieht nun die Politik in der Verantwortung: "Die Justiz ist durch die Personalpolitik der Länder stark unter Druck geraten. In der Justiz fehlen mindestens 2.000 Richter und Staatsanwälte, was von den Kollegen nicht mehr zu kompensieren ist und negative Folgen für die Arbeitsweise haben muss." Hier müsse die Politik die Justiz dringend aus der personellen Klemme befreien, damit der Rechtsstaat nicht erodiere. Seitens des Justizministeriums Baden-Württemberg will man sich angesichts des laufenden Verfahrens nicht äußern.
Während die Richterverbände auf eine klarstellende Entscheidung des BGH hoffen, ist Gröbmayr eher skeptisch, zumal es im Vorfeld bereits einiges Gerangel um eine mögliche Befangenheit der Richter und die ungewöhnlich knappe Pressemitteilung des BGH gab.
Sollte der BGH die Klage abweisen, will Gröbmayr eine Verfassungsbeschwerde prüfen: "Ich halte das für sehr aussichtsreich." Allerdings sei das ganze Verfahren auch psychisch sehr belastend für ihren Mandanten: "Es wird letztlich von ihm abhängen, ob wir noch einen weiteren Schritt gehen."
Annelie Kaufmann, BGH verhandelt über Entscheidungstempo von Richtern: . In: Legal Tribune Online, 05.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24333 (abgerufen am: 06.11.2024 )
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