Der BGH hat die hessische Mieterschutzverordnung aus 2015 für rechtswidrig erklärt, Mieter wie Vermieter könnten dadurch finanzielle Nachteile erlitten haben. Können Sie dafür Schadensersatz vom Staat verlangen?
Haftet der Staat für schlechte Gesetze? Nicht selten kann es passieren, dass Gesetze, durchaus auch ungewollt, bei einzelnen Bürgern zu Nachteilen führen, für die sie nichts können. Einen Nachweis zwischen einem Gesetz und einem persönlichen Schaden zu bringen ist aber meistens schwierig.
Wie aber sieht es aus, wenn der Gesetzgeber durch handwerklich schlechte Arbeit nachweislich dafür sorgt, dass seine Bürger einen Schaden erleiden? Kann man den Staat dafür vor Gericht zur Kasse bitten? Nachdem der Bundesgerichtshof (BGH), wie am Montag bekannt wurde, entschieden hat, dass die hessische Mieterschutzverordnung aus dem Jahr 2015 rechtswidrig und damit unwirksam war, könnten diese Fragen neue Relevanz bekommen.
Ansprüche geltend machen könnten nach dieser Entscheidung nämlich sowohl Mieter als auch Vermieter. Erstere, wenn ihr Vermieter sich nicht an die (vermeintlich gültige) Mietpreisbremse gehalten hat und sie zuviel gezahlte Miete nun nicht nachträglich zurückverlangen können. Letztere, wenn sie sich im irrtümlichen Glauben an eine gültige Verordnung an die Bremse gehalten haben, obwohl sie eigentlich einen höheren Mietzins hätten verlangen können.
Problem: Rechtmäßiges Alternativverhalten lässt sich nicht fingieren
Dem Vermieter mag man im Fall der ungültigen Mietpreisbremse nun antworten, er hätte sich so oder so an diese halten müssen. Es war dem Land schließlich unbenommen, eine Verordnung zur Bestimmung von Gebieten, in denen die Bremse zum Einsatz kommen sollte, zu erlassen. Insofern hätte der Gesetzgeber – praktisch als rechtmäßiges Alternativverhalten – einfach eine Verordnung mit der vorgeschriebenen Begründung erlassen können. Diese wäre dann wohl wirksam gewesen.
Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn die Begründung, daran ließ der BGH in seiner Entscheidung vom 17. Juli (Az. VIII ZR 130/18) keinen Zweifel, ist keine bloße Formalität, sondern dient der Überprüfbarkeit der Gebietsausweisung und damit letztlich dem Grundrechtsschutz der Hauseigentümer. Dass die Verordnung in jedem Fall rechtmäßig gewesen wäre, lässt sich also nicht ohne weiteres fingieren, der Vermieter kann die Begründung nach Auffassung des BGH deshalb auch nicht einfach nachträglich ergänzen.
Gesetzt den Fall, ein Vermieter könnte nun nachweisen, zu wenig Geld als eigentlich möglich verdient zu haben, weil das Land eine unwirksame Mieterschutzverordnung erlassen hat - gibt es dann tatsächlich eine Chance auf Schadensersatz?
Ein Fall aus München gibt Aufschluss
Eine Grundlage, den Staat für schädigendes Verhalten gegenüber seinen Bürgern zur Verantwortung zu ziehen, hat unser Rechtssystem durchaus parat: den Amtshaftungsanspruch aus § 839 Bürgerliches Gesetzbuch i. V. m. Art. 34 Grundgesetz. Verletzt ein Vertreter des Staates seine Amtspflicht gegenüber einem Bürger, so hat der Staat dem Bürger den ihm daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
Auf die Idee, diesen Anspruch auf eine fehlerhafte Mieterschutzverordnung zu wenden, ist man bereits gekommen, nämlich in München. Dort zog ein Inkassounternehmen, das die Ansprüche eines Münchner Ehepaares übernommen hatte, vors örtliche Gericht. Zuvor hatte das Landgericht (LG) der bayrischen Landeshauptstadt die dort geltende Verordnung für unwirksam erklärt.
Nach eigenen Angaben hatte das Paar, das seine Ansprüche an das Inkassounternehmen abgetreten hatte, eine Wohnung für 15,58 Euro pro Quadratmeter statt der ortsüblichen Vergleichsmiete von 10,98 Euro gemietet. Weil die Münchner ihre so gesehen zu viel gezahlte Miete mangels zur fraglichen Zeit gültiger Verordnung zur Mietpreisbremse nicht vom Vermieter zurückfordern konnten, sollte eben die Landeskasse aufkommen.
Das LG lehnte Ansprüche von Mietern wegen einer fehlerhaften und damit unwirksamen Verordnung aber rundheraus ab: Die Gesetzgebungsorgane erfüllten vor allem Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit, nicht gegenüber dem einzelnen Betroffenen. Somit ergäben sich für diesen auch keine entsprechenden Rechtsansprüche.
Parallele zur Wohnraumbewirtschaftung in der Nachkriegszeit
Dabei bezog sich das Gericht auf eine inzwischen lange Rechtsprechungslinie des BGH, nach der der Gesetzgeber grundsätzlich nicht für legislatives Unrecht haftet. So existiert eine interessante Parallele zwischen dem rechtlichen Ungemach,das ungültige Mietpreisbremsen heutzutage mit sich bringen, und einem vom LG zitierten Urteil des BGH aus dem Jahr 1971. In der damaligen Entscheidung ging es ebenfalls um ein gesetzliches Instrument zur Bekämpfung von Wohnraumknappheit - in diesem Fall aber nicht aufgrund beliebter Großstadtviertel, sondern zerbombter Städte mit wenig brauchbarem Wohnraum. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war das Kontrollratsgesetz Nr. 18 in Kraft getreten, das es deutschen Behörden erlaubte, noch vorhandenen Wohnraum gegen den Willen der Eigentümer bedürftigen Personen zuzuteilen.
Die Eigentümer eines Mietwohnhauses verlangten Jahre später Schadensersatz vom Staat, weil ihr Haus noch immer zwangsbewirtschaftet wurde. Gemäß § 3dd Abs. 2 u. 3 des Wohnraumbewirtschaftungsgesetzes, der im Juli 1963 nachträglich eingefügt worden war, musste für so bewirtschaftete Gebiete regelmäßig der sogenannte Wohnungsfehlbestand ermittelt werden. Lag dieser unter drei Prozent, so waren die Länder gesetzlich verpflichtet, die Zwangsbewirtschaftung aufzuheben. Weil das betreffende Bundesland sie aber trotz eines niedrigeren Fehlbestandes nicht aufgehoben habe, seien ihnen Mietmehreinnahmen entgangen, monierten die Eigentümer damals.
Der BGH aber widersprach: "Die für die Gesetzgebung verantwortlichen Amtsträger haben in der Regel Amtspflichten lediglich gegenüber der Allgemeinheit, aber nicht gegenüber bestimmten Einzelpersonen oder Personengruppen zu erfüllen", hielten die Karlsruher Richter in ihrem Leitsatz fest. Heißt: Gesetze werden für alle gemacht, nicht für den Einzelnen. Der Gesetzgeber ist damit auch nur (politisch) gegenüber der Allgemeinheit in der Pflicht.
So halten es die Gerichte bis heute. Das mag ungerecht erscheinen, denn der Einwand liegt auf der Hand: Wäre der Staat ein Privater, dann hätte er doch auch zahlen müssen. Auf der anderen Seite würde ein Anspruch auf Schadensersatz wegen schlechter Gesetze letztlich in einen Durchgriff des Einzelnen in die Legislative als Repräsentation des ganzen Volkes münden, was unter Demokratiegesichtspunkten nicht unproblematisch erscheint.
So oder so: Schadensersatz für schlechte Gesetze gibt es in Deutschland derzeit nicht.
BGH zu unwirksamer Mieterschutzverordnung: . In: Legal Tribune Online, 07.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36917 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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