Brandenburger Grundstückseigentümer bekommen ihre Trinkwasseranschlussbeiträge nicht zurück, sagt der BGH. Und das, obwohl das BVerfG sie für verfassungswidrig hält. Klaus Herrmann erklärt, warum den Kommunen Millionenforderungen erspart bleiben.
In dem Verfahren, welches der Bundesgerichtshof (BGH) in der vergangenen Woche entschied, ging es zunächst einmal nur um rund 1.300 Euro. So hoch war der Beitragsbescheid, gegen den sich ein Ehepaar aus Brandenburg wandte, das nachträglich für den Trinkwasseranschluss seines Hauses zahlen musste und dieses Geld nun vom Wasser- und Abwasserzweckverband Scharmützelsee-Storkow/Mark zurückforderte. Doch der Prozess hatte Mustercharakter für die Anschlussbeiträge im ganzen Land Brandenburg, zusammengerechnet geht es um Beträge in dreistelliger Millionenhöhe.
Der BGH bewahrte mit seiner Entscheidung nun die Kommunen vor den Rückforderungen zahlreicher Bürger und stellte fest, dass brandenburgische Grundstückseigentümer, die vor dem 01.01.2000 an die kommunale Trinkwasserversorgung angeschlossen waren und dafür zu einem Anschlussbeitrag herangezogen wurden, diese Abgaben nicht von den Trink- und Abwasserverbänden zurückfordern können (Urt. v. 27.06.2019, Az. III ZR 93/18). Damit setzte sich der Senat nicht zuletzt in Widerspruch zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus 2015.
War die Beitragspflicht verjährt?
In dem Rechtsstreit ging es konkret um die Frage, ob kommunale Zweckverbände auf der Grundlage des in Brandenburg fortgeltenden DDR-Staatshaftungsgesetzes Anschlussbeiträge für Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung zurückzahlen müssen. Dem klagenden Ehepaar gehört ein Grundstück in Brandenburg, das vor dem 01.01.2000 bereits an das kommunale Trinkwassernetz des Zweckverbandes angeschlossen war. Der Zweckverband setzte im Jahr 2011 einen Anschlussbeitrag von 1.321,96 Euro fest. Nach einem erfolglosen Widerspruchsverfahren sahen die Eheleute von der Klage ab und zahlten den Beitrag.
Bis zum Jahresende 2015 hätte eine Klage gegen den Beitragsbescheid auch keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Fast alle Grundstücke sogenannter Altanschließer, die bereits in der DDR oder während der Gründung von kommunalen Zweckverbänden in den 1990er Jahren, jedenfalls vor dem 01.01.2000, an das Leitungsnetz angeschlossen wurden, erhielten zwischen 2011 und 2015 solche Abgabenbescheide. Bereits das war ein Politikum und erst nach Urteilen des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin-Brandenburg vom 12.12.2007 (Az. 9 B 44.06, 45.06) möglich. Zuvor gingen die Zweckverbände davon aus, dass noch nicht erhobene Altanschließerbeiträge verjährt seien und daher nicht mehr erhoben werden dürften, wie das frühere OVG Frankfurt (Oder) erst mit Urteil vom 05.12.2001 (Az. 2 A 611/00) für bereits in der DDR angeschlossene Grundstücke festgestellt hatte.
Eine der Kernfragen, um die sich die Altanschließerproblematik bis heute dreht, ist: Setzt erst eine wirksame Beitragsvorschrift die Verjährung in Gang? Das OVG Frankfurt (Oder) meinte 2001, dass die Grundstücke zwar grundsätzlich beitragspflichtig wären, die Verjährungsfrist für diese Abgabenforderungen aber bereits mit Aufstellung der ersten – allerdings unwirksamen – Beitragssatzung Mitte der 1990er Jahre begonnen habe. Zum 01.01.2004 trat dann aber – ohne ausdrückliche Rückwirkung – eine "Klarstellung" des Landesgesetzgebers in Kraft, wonach die Verjährung von Anschlussbeiträgen (wie dies in der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte bereits vertreten wurde) stets eine wirksame Beitragssatzung voraussetze.
BVerfG erklärte rückwirkende Anschlussbeiträge für verfassungswidrig
Danach erhoben die Zweckverbände bei altangeschlossenen Grundstücken Anschlussbeiträge im Umfang von mehreren 100 Millionen Euro. Dass vermeintlich verjährte Anschlussbeiträge festgesetzt und bezahlt werden mussten, stieß in allen Verbandsgebieten auf Widerstand. Die Klagen blieben allerdings vor den Verwaltungsgerichten und dem Verfassungsgericht des Landes Brandenburg (Beschl. v. 21.09.2012, Az. VfG 46.11) sowie dem Bundesverwaltungsgericht (Beschl. v. 11.09.2014, Az. 9 B 22/14) erfolglos.
Der weitaus überwiegende Teil der Anschlussbeitragsbescheide war schon bestandskräftig geworden, als ein Kammerbeschluss des BVerfG vom 12.11.2015 (Az. 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14) die von den Verwaltungsgerichten bestätigte Beitragserhebung überraschend ins Wanken brachte: Das BVerfG maß der ab 01.02.2004 eröffneten Abgabenerhebung bei Grundstücken, bei denen Anschlussbeiträge nach der früheren Rechtsprechung bereits verjährt waren, echte Rückwirkung zu und hielt die Anwendung dieser Vorschrift durch die Zweckverbände und Gerichte für verfassungswidrig. Die Intervention aus Karlsruhe half zunächst aber nur noch wenigen Abgabenpflichtigen, deren Rechtsbehelfsverfahren noch liefen oder die die Anschlussbeiträge noch nicht bezahlt hatten. Die Beitragspflichtigen, die im Vertrauen auf die Rechtsprechung der Gerichte Beiträge bezahlt hatten, waren dennoch aufmerksam geworden.
Rückabwicklung rechtswidriger Abgabenbescheide abgelehnt
Trotz lautstarker Proteste – auch einzelner Kommunen - entschieden sich die Ministerialverwaltung und die Aufgabenträger gegen eine Rückabwicklung der rechtswidrigen Anschlussbeiträge und verwiesen die Bürger auf abgabenrechtliche Aufhebungsverfahren und Schadensersatzprozesse. Dass die Verwaltung an der verfassungswidrigen, wenn auch bestandskräftigen Vermögensabschöpfung festhielt, überforderte das Rechtsstaatsverständnis der meisten Brandenburger. Seitdem stehen Kommunalabgaben generell in Misskredit, erst im Juni 2019 schaffte Brandenburg auf Druck einer erfolgreichen Volksinitiative hin Straßenbaubeiträge vollständig ab.
Viele der Altanschließer forderten ab 2016 unter Berufung auf den Kammerbeschluss des BVerfG die Aufhebung der seit 2011 ergangenen Anschlussbeitragsbescheide. Die Zweckverbände und Verwaltungsgerichte lehnten das aber ab. Parallel machten mehrere tausend Grundstückseigentümer die Erstattung der gezahlten Anschlussbeiträge im Wege der Staatshaftung geltend. Während das Landgericht Frankfurt (Oder) einer der darauf folgenden Klagen stattgab, lehnten andere Landgerichte den Staatshaftungsanspruch ab, ebenso schließlich das Oberlandesgericht (OLG) in Brandenburg. Schadensersatzansprüche nach dem Staatshaftungsgesetz bestünden nur bei einem rechtswidrigen Verwaltungshandeln, bei der Beitragserhebung von Altanschließern gehe es um legislatives Unrecht, befanden die Gerichte. Außerdem sei die Korrektur der Verwaltungsentscheidungen auf der Grundlage der verfassungswidrigen Bestimmung des Kommunalabgabengesetzes durch § 79 Abs. 2 S. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift bleiben auch nach Nichtigkeitsfeststellungen des BVerfG bestandskräftige Behördenentscheidungen unberührt.
Ein Anspruch aus Amtshaftung scheitere jedenfalls am fehlenden Verschulden der Amtsträger. Seit dem Urteil des OLG vom 17.04.2018 (Az. 2 U 21/17) haben die brandenburgischen Landgerichte zielstrebig Staatshaftungsklagen mit gleicher Begründung abgewiesen. Mancher Kläger fühlte sich genötigt, weiteres Geld in ein Berufungsverfahren zu stecken, um zu verhindern, dass die Urteile rechtskräftig wurden. In den massenhaft abgefertigten Einzelrichtersachen wurde regelmäßig ignoriert, welchen Mustercharakter das beim BGH anhänige Verfahren hatte.
BGH geht eigene Wege
Der BGH nahm die Revision laut seiner Pressemitteilung nun zum Anlass, sich von der Rechtsprechung des OVG Frankfurt (Oder) abzugrenzen. Entgegen der damaligen Auffassung, die inzwischen in hunderten Urteilen der Verwaltungsgerichte zugrunde gelegt wurde, beginne die Verjährung stets erst mit dem Inkrafttreten einer wirksamen Beitragssatzung. Das gelte auch im Land Brandenburg und sei vom Gesetzgeber zum 01.02.2004 nur klargestellt worden. Der bestandskräftige Bescheid der Kläger sei deshalb nicht rechtswidrig und die Anschlussbeitragspflicht noch nicht verjährt gewesen. Damit stellt sich der BGH auch der Auffassung aus dem Kammerbeschluss des BVerfG entgegen, wonach die Abgabenerhebungen bei den vor 2000 angeschlossenen Grundstücken gegen das Rückwirkungsverbot verstießen.
Erfolg hatte die Revision übrigens trotzdem – aber nur aus einem formalen Grund: Weil das OLG Tatsachenfeststellungen dazu versäumte, ob die festgesetzte Anschlussbeitragsschuld auch auf kalkulierte Investitionen aus der Zeit vor dem 03.10.1990 entfällt (die nach dem Landesrecht nicht beitragsfähig sind), wurde der Rechtsstreit an die Berufungsinstanz zurückverwiesen.
Zur Akzeptanz der Anschlussbeitragsbescheide trägt es nicht bei, dass auf der Sekundärebene des Schadenersatzrechts gegenüber der Primärebene entgegengesetzte Wertungen vorgenommen werden. Beitragsbescheide an Altanschließer, die bis zur Bekanntgabe des Kammerbeschlusses des BVerfG vom 12.11.2015 noch nicht bestandskräftig waren, wurden von den Zweckverbänden und Kommunen sowie den Verwaltungsgerichten zwischenzeitlich mit Blick auf die rechtswidrige Rückwirkung aufgehoben. Erwartet der BGH, dass die Zweckverbände jetzt – unter Zugrundelegung seiner neuen Auffassung – auch noch in den abgeschlossenen Aufhebungsfällen erneut Anschlussbeiträge festsetzen und neue verwaltungsgerichtliche Verfahren provozieren?
Das letzte Wort hat die Politik
Die Rückabwicklung der rechtswidrig erhobenen Anschlussbeiträge ist von der Landesregierung und der Landtagsmehrheit nicht gewollt – zu viel Geld steht auf dem Spiel. Gleichwohl empfinden seit 2007 viele Grundstückeigentümer eine "Gerechtigkeitslücke", weil die Verwaltung an rechtswidrigen Bescheiden festhält. Die Entscheidung aus Karlsruhe ist aber nicht das letzte Wort im Altanschließer-Streit. Sie bringt nämlich das Thema gerade zur rechten Zeit auf die Agenda: Im Hinblick auf die im September anstehende Landtagswahl fordern Oppositionsfraktionen wie die CDU oder AfD bereits, dass die "rechtstreuen" Beitragszahler nicht schlechter gestellt werden dürften als die freigestellten Altanschließer. Die Freien Wähler haben als Reaktion auf das Urteil angekündigt, alle bisher gezahlten Anschlussbeiträge aus einem Landesfonds zurückzuzahlen.
Der Autor Prof. Dr. Klaus Herrmann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der auf das öffentliche Recht spezialisierten Kanzlei Dombert Rechtsanwälte in Potsdam. Er ist Honorarprofessor für Wirtschaftsverwaltungsrecht an der BTU Cottbus-Senftenberg und wirkt am Kommentar zum Kommunalabgabengesetz des Landes Brandenburg mit.
BGH zur Rückforderung von Wasseranschlussbeiträgen: . In: Legal Tribune Online, 01.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36201 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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