Der BGH hat Eltern, die nach der Todesursache ihrer 15-jährigen Tochter suchen, Zugriff auf deren Facebook-Account gewährt. Und damit den digitalen Nachlass dem analogen gleichgestellt, zeigt Bastian Biermann.
Die Eltern des im Jahr 2015 nach einem U-Bahn-Unfall verstorbenen Mädchens sind endlich am Ziel: Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Mittwoch (BGH, Urt. v. 12.07., Az. III ZR 183/17) haben sie einem Anspruch gegen Facebook auf Zugang zu dem Profil ihrer Tochter und sämtlicher ihr zugeordneten Daten. Das Profil war von dem Social-Media-Unternehmen in den sog. Gedenkzustand versetzt worden, so dass die Eltern nicht darauf hätten zugreifen können, selbst wenn ihnen die Zugangsdaten ihrer Tochter bekannt gewesen wären.
Die Entscheidung verhilft den Eltern eines verstorbenen Kindes bei der Suche nach Antworten über dessen Tod. Zudem können die klagenden Eltern sich nun mit den Informationen, die ihnen zur Verfügung gestellt werden müssen, in einem gegen sie geführten Schadensersatzprozesses verteidigen. Ihre Chatnachrichten sollen darüber Aufschluss geben, ob die 15-Jährige Suizid begangen hat. Das jedenfalls behauptet der damalige Fahrer der U-Bahn, die den Teenager das Leben kostete.
Das Urteil hat zudem enorme Bedeutung über den konkreten Fall hinaus: Es betrifft den allgemeinen Umgang mit dem digitalen Nachlass (bspw. bezogen auf online gespeicherte E-Mails, Daten in einer Cloud etc.) und schafft Rechtsklarheit im Hinblick auf eine seit Jahren kontrovers diskutierten Materie.
Der Senat kritisiert nicht nur die noch vom Kammergericht in zweiter Instanz vertretene Auffassung, dass insbesondere das Fernmeldegeheimnis verhindere, dass Facebook den Eltern Zugang gewähren müsste (KG, Urt. v. 31. Mai 2017, Az. 21 U 9/16), deutlich als rechtlich unhaltbar. Er hat sich auch generell mit der Frage beschäftigt, ob Daten vererbbar sind und ob der Provider das durch AGB oder ein besonderes Vertragsverhältnis ausschließen kann.
Gesamtrechtsnachfolge umfasst auch Verträge mit Providern
Der BGH hebt zunächst hervor, dass der Erbe aufgrund des in § 1922 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelten Grundsatzes der Gesamtrechtsnachfolge grundsätzlich uneingeschränkt in die Rechtsbeziehungen des Erblassers eintritt – auch in die zu Providern, stellt der Senat klar.
Dass damit den Erben ein Zugang zu digitalen Inhalten verschafft wird, macht hierbei keinen Unterschied: Es gibt keinen Grund, den digitalen Nachlass anders zu behandeln als den analogen.
Vor diesem Hintergrund haben die Erben eines Nutzers von Online-Dienstleistungen grundsätzlich dieselben (vertraglichen) Ansprüche wie der Erblasser selbst. Das gilt insbesondere für das Recht auf Zugangsverschaffung, Herausgabe der Daten oder deren Löschung. Der Erbe ist also in rechtlicher Hinsicht genauso wie der Erblasser zu behandeln - soweit nicht ausnahmsweise etwas anderes bestimmt ist.
Gedenkzustandsrichlinie: Facebook-AGB unwirksam
Es wäre, das führt der BGH aus, grundsätzlich möglich, Vereinbarungen über die Vererblichkeit eines Rechtsverhältnisses zu treffen. Das sei im Fall der 15-Jährigen aber nicht geschehen.
Die allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook (AGB) enthielten dazu überhaupt keine Regelungen. Die Klauseln zum Umgang mit dem Profil eines Verstorbenen (sog. Gedenkzustandsrichtlinie von Facebook) seien nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden und hielten zudem einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1, 2 BGB nicht stand, so der III. Zivilsenat.
Das ist richtig: Nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine Bestimmung insbesondere dann als unwirksam anzusehen, wenn sie mit wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren ist. Vorliegend betrifft das die Regelung des § 1922 BGB, nach der grundsätzlich das gesamte Vermögen des Erblassers auf dessen Erben übergeht. Diese Vererblichkeit einer Vertragsbeziehung kann nicht durch AGB ausgeschlossen werden.
Kein höchstpersönliches Rechtsverhältnis, kontobezogene Pflicht von Facebook
Bei einem Nutzungsverhältnis zwischen Facebook und dessen Kunden handelt es sich nach Ansicht des BGH auch nicht um ein höchstpersönliches Rechtsverhältnis, das nicht vererbbar wäre.
Dies zum einen deshalb nicht, weil Facebook den Nutzungsvertrag ohne vorherige Identitätsprüfung abschließt und mithin jedermann eine Kommunikationsplattform zur Verfügung stellt.
Ein solches höchstpersönliches Rechtsverhältnis folge aber auch nicht aus dem Bedürfnis nach einem Schutz der Kommunikationspartner der Nutzer. Damit hatte Facebook bislang in allen Instanzen argumentiert. Der BGH führt hierzu aus, dass der Nutzungsvertrag mit Facebook zwar grundsätzlich im Vertrauen darauf abgeschlossen werde, dass die dort ausgetauschten Nachrichten zwischen den Teilnehmern vertraulich bleiben, Facebook diese also nicht Dritten gegenüber offenlegt. Vertraulichkeit in diesem Sinne definiert der Senat aber als Vertrauen darauf, dass Facebook die Nachrichten nur dem von ihm ausgewählten Benutzerkonto zur Verfügung stellt ("kontobezogene" Verpflichtung von Facebook). Kein Nutzer könne aber darauf vertrauen, dass der Absender oder Empfänger einer Nachricht diese nicht Dritten offenlegt. Zu seinen Lebzeiten sei denkbar, dass es zu einem Missbrauch kommt.
Ein entscheidendes und überzeugenderes Argument ist indes das folgende: Jeder Nutzer muss damit rechnen, dass im Falle des Ablebens seines Kommunikationspartners die Erben an dessen Stelle rücken und von den Kommunikationsinhalten Kenntnis nehmen können. Nichts anderes gilt beim normalen Briefverkehr. Es gibt keinen Grund, "digitale Briefe" anders zu behandeln als herkömmliche.
Klare Entscheidung: Das Erbrecht bricht das Fernmeldegeheimnis
Zu Recht stellt der BGH klar, dass man hinsichtlich der Inhalte der betroffenen Daten nicht nach deren Vermögenswert unterscheiden darf: Nach gesetzgeberischer Wertung gehen auch Rechtspositionen mit höchstpersönlichen Inhalten auf die Erben über (vgl. §§ 2047 Abs. 2, 2373 S. 2 BGB). Das muss aus erbrechtlicher Sicht auch für digitale Inhalte des Nachlasses gelten.
Nicht erst seit der Entscheidung des KG war in der Literatur kontrovers diskutiert worden, ob der Vererbbarkeit von digitalen Inhalten das in § 88 Abs. 3 Telekommunikationsgesetz (TKG) geregelte Fernmeldegeheimnis entgegengehalten werden kann.
Die Antwort hat der BGH mit hervorzuhebender Deutlichkeit gegeben: Der Erbe ist kein "anderer" im Sinne des § 88 Abs. 3 TKG: Er tritt vielmehr gemäß § 1922 BGB an die Stelle des Erblassers und ist damit – rechtlich betrachtet - keine andere Person. Die seitens des KG vorgenommene rein naturalistische Betrachtung stuft der Senat damit – zu Recht – als falsch ein.
Persönlichkeitsrecht und Datenschutz ändern daran nichts
Schließlich ging der BGH in seiner Urteilsbegründung noch auf das postmortale Persönlichkeitsrecht der Erblasserin sowie datenschutzrechtliche Aspekte ein.
Das Persönlichkeitsrecht gebiete, so der Senat, jedenfalls nicht pauschal die Unvererbbarkeit von Daten. Das ist richtig: Die Wahrung des postmortalen Persönlichkeitsrechts obliegt grundsätzlich den nächsten Angehörigen einer verstorbenen Person. Sie sind gehalten, deren Ansehen über den Tod hinaus zu schützen. Sollte es im Einzelfall zu einem Missbrauch von Daten durch die Erben oder Dritten kommen, kann man dagegen vorgehen, um das postmortale Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen zu schützen. Diese lediglich hypothetische Möglichkeit kann es nicht rechtfertigen, die Vererbbarkeit pauschal auszuschließen.
Eine Anwendbarkeit des Datenschutzrechts verneinte der BGH – zu Recht – mit dem Argument, dass dieses nur lebende Personen schützt. Die Bereitstellung der Daten an die Erben einer verstorbenen Person sei zudem nach Art. 6 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) zulässig und sogar erforderlich, damit der Provider seine vertraglichen Pflichten gegenüber den Erben erfüllen kann.
Lieber eine gesetzliche Regelung
Das Urteil des BGH ist richtig und zu begrüßen. Die Karlsruher Richter haben bislang offene elementare Rechtsfragen betreffend den generellen Umgang mit digitalen Inhalten eines Nachlasses geklärt.
Dennoch bleibt es denkbar, dass Provider versuchen werden, Mittel und Wege zu finden, um die Vererbbarkeit der bei ihnen gespeicherten Daten generell auszuschließen. Im Sinne der Rechtsklarheit ist es daher wünschenswert, dass der Gesetzgeber eine klare Regelung zum Umgang mit dem digitalen Bestandteil eines Nachlasses trifft.
Er könnte dabei etwa auch Möglichkeiten schaffen, den Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge für Daten zu durchbrechen, wenn der Erblasser das will und eindeutig erklärt. Schließlich kann jedermann gute Gründe dafür haben, nicht zu wollen, dass ggf. ein Teil seiner Daten gerade nicht auf die Erben übergeht. Mit einer entsprechenden Regelung könnte der Gesetzgeber auch dem Interesse des Erblassers an einem postmortalen Datenschutz Rechnung tragen.
Vorsorgemaßnahmen zu Lebzeiten können den Erben den Zugang zu den Daten erleichtern. Und einen langwierigen Weg durch die Instanzen vermeiden.
Der Autor Bastian Biermann ist Rechtsanwalt bei SZA Schilling, Zutt & Anschütz Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Mannheim. Er berät Mandanten insbesondere in der Vermögensnachfolgeplanung und erbrechtlichen Auseinandersetzungen.
Erste BGH-Entscheidung zum digitalen Nachlass: . In: Legal Tribune Online, 12.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29725 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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