BGH zu Erbrecht und Social-Media: Wer darf in den Face­book-Account von Ver­s­tor­benen?

von Tanja Podolski

20.06.2018

Die Eltern wollen den Tod ihrer 15-jährigen Tochter besser verstehen, aber Facebook verweigert den Zugang. Die deutschen Gerichte sind sich uneinig, nun muss der BGH entscheiden.

Mit 14 Jahren eröffnete das Mädchen ihr eigenes Facebook-Konto, mit 15 Jahren verstarb es unter bisher ungeklärten Umständen. Die Eltern suchen nach Hinweisen, und würden dazu gerne auch den Account des sozialen Netzwerks bemühen. Ob sie dies dürfen, wird am Donnerstag den Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigen (Az. Saal E101 – III ZR 183/17). Ob die Karlsruher Richter lediglich mündlich verhandeln oder den Fall entscheiden, ist nicht absehbar.

Die Mutter und der Vater des Mädchens sind Mitglieder der Erbengemeinschaft ihrer Tochter, die im Jahr 2012 an einem Berliner U-Bahnhof von einem einfahrenden Zug tödlich verletzt worden war. Die Details oder mögliche Hintergründe des Unglücks sind nicht bekannt. Die Mutter möchte wissen, ob es sich bei dem Unfall um einen Suizid gehandelt haben könnte und fordert von Facebook Zugang unter anderem zu den Chat-Nachrichten des Mädchens.

Die Eltern haben sogar das Passwort, doch Facebook hat das Konto nach dem Hinweis eines Nutzers auf den Tod des Mädchens in den so genannten Gedenkzustand versetzt. Die Seite ist seither noch für alle Kontakte zur Erinnerung erreichbar. Sich anmelden und etwas ändern kann aber niemand mehr, auch nicht mit den Nutzerdaten. Die Inhalte des Kontos bleiben unverändert bestehen.

Eltern als Sachwalter des Persönlichkeitsrechts

Seit Jahren streiten sich die Eltern mit dem sozialen Netzwerk – und hatten in der ersten Instanz vor dem Landgericht (LG) Berlin Recht bekommen (Urt. v. 17.12.2015, Az. 20 O 172/15). Das LG kam zu dem Schluss, der Vertrag mit dem sozialen Netzwerk sei Teil des Erbes, daran ändere auch die persönlichen Nutzerdaten nichts. Sorgeberechtigte Eltern seien Sachwalter des Persönlichkeitsrechts ihrer Kinder – das gelte zu Lebzeiten ebenso wie nach dem Tod.

Facebook argumentierte mit Datenschutzrechten Dritter und einem Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis nach § 88 Abs. 3 Telekommunikationsgesetz (TKG), das sah das LG Berlin aber anders. Facebook legte Berufung ein.

Und das Berliner Kammergericht (KG) tat sich schwerer. Ein schuldrechtlicher Vertrag liege durchaus vor, aber welcher Art dieser genau sei, das sei unklar. Und der Erbe rücke nicht bei allen Verträgen in die Position des Verstorbenen, bei Vereinsmitgliedern etwa erlösche die Mitgliedschaft. Es sei nicht ausgeschlossen, dass mit dem Tod des Nutzers auch die Zugangsberechtigung enden müsse. Auch sei gar nicht sicher, dass das TKG hier überhaupt anwendbar sei und ob ein passives Leserecht, das die Eltern einforderten, gegen die einschlägige Norm verstoßen könnte. Das Gericht schlug einen Vergleich vor.

KG: Einverständnis aller betroffenen Nutzer nötig

Zu einem solchen kam es nicht. Nach Auffassung des KG sei das TKG außerdem nicht anwendbar (Urt. v. 31.05. 2017, Az. 21 U 9/16). Und damit sei ein Anspruch der Eltern ausgeschlossen, denn der Schutz des Fernmeldegeheimnisses gehe vor. Dieses erstrecke sich, so die Richter, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auch auf E-Mails, die auf den Servern von privaten Diensteanbietern gespeichert seien.

Selbst wenn die Mutter das Passwort habe und die Tochter mit dem Zugriff ihrer Mutter auf die in dem Facebook-Account hinterlassenen Daten einverstanden gewesen wäre, hätten auch all diejenigen, die mit der Verstorbenen kommuniziert haben, auf den Schutz des Fernmeldegeheimnisses verzichten müssen, meinte das KG. Eine Ausnahme vom TKG sei auch in diesem Fall nicht denkbar. Die Richter äußerten damals "vollstes Verständnis" für die Situation der Eltern, sahen sich aber "rechtlich daran gehindert, diesem Ansinnen zum Erfolg verhelfen zu können".

Unbeantwortet ließ das KG die Frage, ob der Facebook-Account und damit auch dessen Inhalte nach den erbrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches überhaupt als Teil des Nachlasses zu behandeln sind. Die wohl herrschende Meinung in der Literatur geht davon aus, dass der Account Teil des Nachlasses ist. So viel anderes als Briefe sei auch die digitale Kommunikation nicht. Die Gegenmeinung sieht das naturgemäß eklatant anders und argumentiert etwa, ein Social Media Account sei in klassisch völlig unbekannter Weise personalisiert.

Die Rechtslage ist nach wie vor unklar, der Deutsche Anwaltverein fordert seit Jahren eine Neuregelung. Nutzer von Facebook haben inzwischen die Möglichkeit, einen "Nachlasskontakt" zu benennen. Diese Person darf das Konto in gewissem Umfang gestalten, sobald dieses im Gedenkzustand ist.

Mit Material von dpa

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, BGH zu Erbrecht und Social-Media: . In: Legal Tribune Online, 20.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29275 (abgerufen am: 23.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen