BGH zur Sanktionierung von Fußballvereinen: "Ver­eine haften für ihre Anhänger wie Tier­halter"

von Hasso Suliak

04.11.2021

Fußballvereine haften für das Fehlverhalten ihrer Fans, wenn diese in Stadien z.B.  Pyrotechnik oder Böller zünden. Das bestätigte der BGH am Donnerstag. Zieht der betroffene Verein jetzt vors BVerfG?  

Enttäuschung beim Verein FC Carl Zeiss Jena, Fanvertretern und Sportrechtlern: Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) darf Vereine weiterhin wegen des Verhaltens ihrer Anhänger und Zuschauer mit Geldstrafen belegen. Durch die Praxis würden keine elementaren Grundsätze der Rechtsordnung verletzt, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Donnerstag (Beschl. v. 04.11.2021, Az. I ZB 54/20).  

Die Strafen seien als reine Präventivmaßnahme zu bewerten, dies sei auch ohne Verschulden der Vereine zulässig. Antragsteller ist der Regionalligist FC Carl Zeiss Jena, der die Frage grundsätzlich klären lassen wollte – und nun auch in letzter Instanz unterlag. Zuvor hatte bereits das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt entschieden, dass die Haftung eines Fußballvereins für das Abbrennen von Pyrotechnik durch seine Anhänger nicht gegen die Grundsätze der öffentlichen Ordnung ("ordre public") verstößt. Dieser Rechtsansicht schloss sich nun auch der BGH an und wies die Rechtsbeschwerde des FC Carl Zeiss Jena gegen den OLG-Beschluss vom Juni 2020 zurück. 

Die Rechts- und Verfahrensordnung des DFB sieht vor, dass die Vereine für Zwischenfälle im Stadionbereich haften. Jena, damals noch in der dritten Liga, soll für Störungen bei zwei Heimspielen und einer Auswärtspartie im Jahr 2018 insgesamt knapp 25.000 Euro zahlen. Vor dem zuständigen Schiedsgericht des DFB war der Verein unterlegen. Mit der Entscheidung des BGH hat dieser Schiedsspruch nun Bestand. 

"Zur Sicherung des künftigen ordnungsgemäßen Spielbetriebs"  

Laut BGH verletze der Schiedsspruch des ständigen Schiedsgerichts den mit Verfassungsrang ausgestatteten Schuldgrundsatz nicht – und verstoße damit nicht gegen den ordre public. Die "Geldstrafe", die gegen den damals noch in der dritten Liga spielenden Verein verhängt und vom Schiedsgericht bestätigt worden sei, stelle keine strafähnliche Sanktion dar, die diesem Grundsatz unterliegen könnte. Sie diene nicht der Ahndung und Sühne vorangegangenen Fehlverhaltens der Antragstellerin, sondern soll dem Karlsruher Gericht zufolge den künftigen ordnungsgemäßen Spielbetrieb sichern.  

Die Sanktion, so der BGH in einer Pressemitteilung, sei ist nicht verhängt worden, weil der Verein Vorgaben des DFB zu Sicherheitsmaßnahmen nicht eingehalten hätte, sondern weil die von ihm ergriffenen Maßnahmen in den konkreten Fällen nicht ausgereicht haben, um Ausschreitungen seiner Anhänger zu verhindern. Die "Geldstrafe" habe den Zweck, den FC Carl Zeiss Jena dazu anzuhalten, zukünftig alle zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um mäßigend auf seine Anhänger einzuwirken "und so künftige Zuschauerausschreitungen zu verhindern". 

BGH: Kein Verstoß gegen ordre public  

Laut Gericht soll die Sanktion den Verein dazu veranlassen, in ständiger Kommunikation mit und in Kontakt zu seinen Fans befriedend auf diese einzuwirken, situationsabhängig geeignete präventive Maßnahmen zu ergreifen und dadurch die von seinen Anhängern ausgehenden Gefahren für den Wettkampfbetrieb bestmöglich zu unterbinden.  

Die Einordnung der "Geldstrafe" als derartige präventive Maßnahme, so der BGH weiter, entspreche zudem der Rechtsprechung des Internationalen Sportgerichtshofs (CAS), der das Ziel der verschuldensunabhängigen Haftung gleichfalls nicht in der Bestrafung des Vereins, sondern in der Prävention und Abschreckung sieht. Der Schiedsspruch des DFB verstoße weiter auch nicht wegen einer eklatanten Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit oder wegen einer Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes gegen den ordre public.  

FC Carl Zeiss Jena: "Großer wirtschaftlicher Schaden für die Vereine" 

Der unterlegene FC Carl Zeiss Jena reagierte mit Unverständnis auf den Beschluss des BGH: "Wir müssen uns jetzt das Urteil ansehen und entscheiden, ob es wert ist, da noch mal das Bundesverfassungsgericht anzufragen", sagte Chris Förster, der Geschäftsführer des Fußball-Regionalligisten, am Donnerstag. "Unsere Argumentation war ja, dass wir für etwas bestraft werden, wofür wir nichts können. Und jetzt hat der BGH erklärt, dass es keine Strafe ist, sondern präventiven Charakter hat." Die Vereine, so Förster, würden die Geldbußen aber durchaus als Strafe empfinden. "Die Prävention, die damit einhergehen soll, hat sich über die Jahre eben auch nicht eingestellt. Insofern kann man diesen präventiven Charakter durchaus mal in Frage stellen: Der ist nicht von der Praxis gedeckt", kritisierte er.  

Förster versicherte, sein Club mache "alles", um solche Vorfälle zu verhindern. "Ad hoc fällt mir nicht ein, was wir noch an zusätzlichen Maßnahmen tun könnten." Die Geldstrafen des DFB seien eine "enorme finanzielle Belastung" und ein "großer wirtschaftlicher Schaden für uns und auch für viele kleine Vereine. Insofern empfinden wir es schon als Strafe und nicht als Prävention." 

DFB zufrieden

*Unterdessen sieht sich der DFB in seiner Rechtsauffassung durch die Karlsruher Entscheidung bestätigt. "Mit diesem Beschluss ist abschließend und zweifelsfrei sichergestellt, dass die DFB-Rechtsorgane einerseits ihre Arbeit auf der Basis der Richtlinie für die Arbeit des DFB-Kontrollausschusses uneingeschränkt fortsetzen - und dass sie andererseits die Unterstützung und Mitwirkung der Vereine, die anders als der DFB den Zugang zu ihren Anhängern haben, zur Sicherung eines störungsfreien Spielbetriebs einfordern können", sagte der für Recht zuständige 1. DFB-Vizepräsident und DFB-Interimspräsident Rainer Koch am Donnerstag.

"Damit wurde der DFB uneingeschränkt in seiner Auffassung bestätigt, wonach es bei den von der Verbandsgerichtsbarkeit verhängten Geldstrafen nicht um strafähnliche Sanktionen für in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten von Anhängern, sondern um präventive Maßnahmen zur Verhinderung zukünftiger Zuschauerausschreitungen und damit um die Sicherung eines ordnungsgemäßen Spielbetriebs geht", erklärte Koch.

Fanhilfe FC St. Pauli: "Bittere Entscheidung" 

Fananwälte und Fanhilfen reagierten dagegen enttäuscht auf die Entscheidung des BGH. "Paralleljustiz der (Sport)Verbände", der DFB dürfe nun "weiterhin Kollektivstrafen gegen die Vereine" verhängen, das sei "bitter", schrieb die Fanhilfe des FC St. Pauli auf Twitter. 

Der in der Fußball-Fanszene seit Jahren engagierte Strafverteidiger Dr. Andreas Hüttl sagte zu LTO, er sei enttäuscht, weil mit der Entscheidung auch die Möglichkeit der Weitergabe von Verbandsstrafen an "Verursacher" nun weiter manifestiert werde. Seiner Ansicht nach komme es nicht mehr auf individuelles Fehlverhalten Einzelner, sondern auf Handlungen größerer Gruppen an. "Das dem Recht grundsätzlich innewohnende individuelle Schuldprinzip wird zu Gunsten einer Art Sippenhaft aufgeweicht", so Hüttl. 

Sport- und Medienrechtler Stephan Dittl reagierte ebenfalls enttäuscht: Die Sanktionierung der Vereine als Präventivmaßnahme überzeuge nicht, "denn selbst dann, wenn ein Verein alles Menschenmögliche zur Eindämmung von Fehlverhalten getan hat, kann eine solche Strafe für die Zukunft nichts mehr bewirken. Im Ergebnis haften Vereine damit für ihre Anhänger wie Tierhalter nach § 833 BGB." Allerdings, so Dittl, müsse das nicht das "letzte Wort" sein: "Die Vereine sind schließlich (zumindest mittelbare) Mitglieder der Verbände und könnten so gemeinsam verbandsintern für eine Beseitigung dieses unsäglichen Haftungsmaßstabs sorgen - wenn sie denn wirklich wollen." 

Sportrechtler: BGH entscheidet gegen herrschende Meinung 

Der Kölner Sportrechtler und Vorsitzender Richter am Landgericht Köln, Jan F. Orth, meinte dagegen, die Entscheidung sei "im Ergebnis mit Sicherheit richtig und dem Sport dienlich". Ihn überrasche allerdings etwas "die Einordnung als rein präventive Maßnahme vor dem Hintergrund einer wohl herrschenden und abweichenden Auffassung im Sportrecht". Diesbezüglich sei er auf die schriftlichen Entscheidungsgründe gespannt. 

Im Vorfeld der Entscheidung hatte es Diskussionen gegeben, die Entscheidung könne den Dauerstreit um die Kollektivstrafe neu anfachen. Von einer Kollektivstrafe spricht man, wenn ein Sportgericht einen Club beispielsweise nach Fan-Krawalle dazu verurteilt, Spiele vor leeren Zuschauer-Blöcken oder gar im leeren Stadion auszutragen. Dann müssen auch friedliche Anhänger die Konsequenzen eines Fehlverhaltens anderer tragen. Das Thema ist seit vielen Jahren ein Politikum in den Auseinandersetzungen zwischen der organisierten Fanszene und dem DFB.  

Mit Material der dpa

*Anmerkung:  Reaktion des DFB am 4.11.2021, 12.38 Uhr, nachträglich hinzugefügt.

Zitiervorschlag

BGH zur Sanktionierung von Fußballvereinen: . In: Legal Tribune Online, 04.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46551 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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