Wegen Rechtsbeugung wird praktisch nie jemand verurteilt. Seit jeher wenden die Gerichte diese Strafnorm restriktiv an. Manchmal aber sehen sich selbst Richter am BGH gezwungen einzugreifen. Dies zeigt der Fall eines kürzlich freigesprochenen Proberichters. Ein Beitrag von Holm und Christina Putzke.
Richter sind Machthaber. Das sieht die Verfassung so vor. Sie verfügen über Wertungsspielräume und unterliegen keinen Weisungen. Sie sind laut Art. 97 des Grundgesetzes (GG) unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Beugt ein Richter das Recht, missbraucht er nicht nur seine Macht, sondern schädigt das Vertrauen in den Rechtsstaat. Solche Richter zu bestrafen, ist notwendig.
Was passieren muss, damit ein Richter eine Verurteilung wegen Rechtsbeugung riskiert, zeigt der Fall des Landgerichts (LG) Kassel. In einem Verfahren wegen Exhibitionismus bestritt der Angeklagte die Vorwürfe. Den Richter – überzeugt von der Schuld des Angeklagten – versetzte dies in Rage. Er wirkte – wie in allen seinen Prozessen gewohnt – lautstark und mit harter Strafe drohend auf den Mann ein, um ein Geständnis und danach bei überraschend milder Strafe einen Rechtsmittelverzicht zu erlangen.
Der Angeklagte aber ließ sich nicht beeindrucken und blieb standhaft. Daraufhin holte der Richter einen Justizbeamten und ließ den Angeklagten in eine Gewahrsamszelle im Keller einsperren – mit den Worten: "Ich zeige Ihnen mal, wie Ihre Zukunft aussehen kann." Völlig verunsichert nach dieser Machtdemonstration, zeigte sich der widerspenstige Mann schließlich doch gefügig, legte ein Geständnis ab, willigte in eine Therapie ein und verzichtete auf Rechtsmittel.
Zwang zum Nachteil einer Partei
Die Richter des LG Kassel waren überzeugt davon, dass der Proberichter durch sein Verhalten ein Geständnis erzwingen wollte. Dies ist ein elementarer Verfahrensverstoß. Denn § 136a Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO) verbietet es, die Aussage eines Angeklagten zu erzwingen.
Ein bewusster Gesetzesverstoß genügt aber nicht für eine Verurteilung wegen Rechtsbeugung. Vielmehr muss der Richter den Angeklagten bewusst unrechtmäßig bevorzugen oder benachteiligen. Dies verneinte das LG Kassel. Der Proberichter hatte behauptet, dass es in dem Verfahren nur noch um die Höhe der Strafe gegangen sei. Die Frage der Schuld des Mannes und damit auch sein Geständnis seien – entgegen der anderslautenden Urteilsbegründung – nicht mehr relevant gewesen. Deshalb habe er nicht "zum Nachteil einer Partei" gehandelt. Dem folgten die Kasseler Richter und sprachen den Proberichter frei.
Gegen diesen Freispruch legte die Staatsanwaltschaft Revision ein. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hob das Urteil daraufhin auf und verwies die Sache an eine andere Strafkammer zurück (BGH, Beschl. v. 31.05.2012, Az. 2 StR 610/11). Das LG Kassel habe sich nicht damit auseinandergesetzt, ob der Proberichter auch eine Einwilligung in die verhängte Therapie und den Rechtsmittelverzicht erzwingen wollte, so der Vorwurf aus Karlsruhe. Wäre dies der Fall gewesen, hätte er bewusst zum Nachteil des Angeklagten gehandelt und sich schon allein deshalb wegen Rechtsbeugung strafbar gemacht.
Auch hinter leiseren Tönen können Drohungen stecken
Der Fall wirft Fragen auf. Wenn es stimmt, dass ein Geständnis für die Entscheidung gar nicht relevant war: Wozu dann das ganze Theater? Und weiter: Warum hat von Seiten der Staatsanwaltschaft niemand eingegriffen?
Wie auch immer das Verfahren gegen den Richter noch enden wird: Die Probezeit hat er nicht überstanden. Das ist eine gute Nachricht. Denn wer verbal-aggressiv Angeklagte einschüchtert, um ein Geständnis zu erlangen, und systematisch danach trachtet, seine Fälle mithilfe von Rechtsmittelverzichten möglichst schnell abzuschließen, der ist für den Richterberuf ungeeignet.
Über das Schicksal des Kasseler Richters hinaus, hat das Urteil aber auch eine generelle Bedeutung: Bei einer Praxis, die Verfahren zunehmend mit Urteilsabsprachen abschließt, können auch hinter leiseren Tönen Drohungen stecken.
Ob der ehemalige Proberichter noch als Rechtsanwalt arbeiten darf, muss das Ende des neuen Verfahrens zeigen. Denn eine Verurteilung wegen Rechtsbeugung hat weitreichende Folgen: Eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr droht und auch die juristische Karriere kann vorbei sein. Wer wegen eines Verbrechens verurteilt wird, wozu Rechtsbeugung zählt, scheidet nicht nur zwingend aus dem Richteramt aus und verliert seine Dienstbezüge sowie Pensionsansprüche. Auch eine Tätigkeit als Staatsanwalt, Notar oder Rechtsanwalt steht dem Verurteilten nicht mehr offen.
Dass ein erneuter Freispruch des Proberichters für das Vertrauen in den Rechtsstaat gut wäre, darf aber bezweifelt werden.
Prof. Dr. Holm Putzke LL.M. ist Professor für Strafrecht an der Universität Passau. Er ist Autor zahlreicher Fachpublikationen zum Strafrecht und Strafverfahrensrecht. Unter anderem ist er Mitautor eines Lehrbuchs zum "Strafprozessrecht". Dr. Christina Putzke ist Rechtsreferendarin am Landgericht Passau. Ihre 2012 erscheinende Dissertation trägt den Titel "Rechtsbeugung in Kollegialgerichten. Zur Bestimmung des tatbestandsmäßigen Verhaltens".
Holm Putzke, BGH kippt Freispruch vom Vorwurf der Rechtsbeugung: . In: Legal Tribune Online, 06.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6344 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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