Eigentlich war die Diskussion bereits verstummt, doch nun hat der II. Zivilsenat des BGH in Karlsruhe erklärt, er sehe das Verbot eines beruflichen Zusammenschlusses von Rechtsanwälte mit Ärzten und Apothekern als verfassungswidrig an. Wenn das BVerfG sich dem anschließt, könnte sich im anwaltlichen Berufsrecht so einiges verändern. Martin W. Huff analysiert den Beschluss aus Karlsruhe.
Leise, ohne Presseerklärung und ohne Leitsatz hat der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt einen Beschluss vom 16.5.2013 (II ZB 7/11) auf seiner Homepage veröffentlicht, der für die deutsche Anwaltschaft erheblichen Sprengstoff enthält. Im Tenor heißt es lapidar: "Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu folgender Frage eingeholt: Ist § 59a Abs. 1 BRAO mit Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar?"
Dahinter versteckt sich eines der spannendsten berufsrechtlichen Verfahren der vergangenen Jahre. Ein Ehepaar, er Rechtsanwalt, sie Ärztin und Apothekerin, gründeten eine Partnerschaftsgesellschaft nach dem Partnerschaftsgesellschaftsgesetz (PartGG), die unter dem Namen "RA A. und Ärztin/Apothekerin B. – interprofessionelle Partnerschaft für das Recht des Arztes und des Apothekers" firmieren sollte.
Im Gesellschaftsvertrag wurde festgelegt, dass die Ärztin keine Heilkunde am Menschen ausüben und keine Apotheke betreiben, sondern nur beratend tätig sein sollte. Dies ist aus Sicht der Heilberufe notwendige Voraussetzung für die Möglichkeit eine Zusammenarbeit.
Der Zug durch die Instanzen – BGH bricht mit AG und OLG
Doch das Registergericht beim Amtsgericht (AG) Würzburg und das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg lehnten den Antrag auf Eintragung der Partnerschaftsgesellschaft ab. Ihre Begründung, wie auch die der Rechtsanwaltskammer München, bestand im Wesentlichen darin, dass § 59a Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) Rechtsanwälten nur erlaube, eine Partnerschaftsgesellschaft zusammen mit anderen Rechtsanwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern auszuüben, nicht aber mit sonstigen verkammerten Berufen.
Verfassungsrechtliche Bedenken hatten die Gerichte nicht, denn aus Gründen des Gemeinwohls sei es geboten, Rechtsanwälten nur die Zusammenarbeit mit bestimmten Berufen zu gestatten. Anders sahen dies sowohl die Ärzte- als auch die Apothekerkammer, die den Zusammenschluss für unproblematisch hielten.
Nun mischt sich auch der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des BGH mit einer deutlich abweichenden Auffassung ein. In einer 40seitigen Begründung legen die Richter dar, warum das Sozietätsverbot des § 59a BRAO gleich gegen mehrere Vorschriften des Grundgesetzes verstoße und verfassungswidrig sei. Da es auf die Auslegung der Vorschrift ankomme und der Senat keine Befugnis habe, ein Gesetz für verfassungswidrig zu erklären, hat er das Verfahren nach Art. 100 Grundgesetz (GG) ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Entscheidung vorgelegt. Dort wird sich wohl der 1. Senat und innerhalb dieses der für Art. 12 GG zuständige Richter Reinhard Gaier mit den verfassungsrechtlichen Bedenken befassen müssen.
Ausreichende Gründe des Gemeinwohls nicht ersichtlich
Die BGH-Richter begründen ihre Ansicht im Wesentlichen wie folgt: Zunächst verstoße das Sozietätsverbot gegen die in Art. 12 GG statuierte Berufsfreiheit. Eingriffe in die freie Berufsausübung, die auch das Recht umfasse, sich zur Zusammenarbeit zusammenzuschließen, seien nur erlaubt, wenn sie durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden könnten. Das aber sei bei dem Sozietätsverbot nicht der Fall.
Der Senat legt dar, dass der Schutz des nur seinem Mandanten verpflichteten Rechtsanwalts ein wichtiges Rechtsgut sei. Besonders die Verschwiegenheitsverpflichtung, die Aussageverweigerungsrechte und die Beschlagnahmeverbote seien von hoher Bedeutung. Daher dürfe der Gesetzgeber grundsätzlich die Zusammenarbeit der Anwälte auf solche Berufe beschränken, die diese Voraussetzungen ebenfalls erfüllten.
Doch gerade bei Ärzten und Apothekern sei dies der Fall. Sie unterlägen insoweit den gleichen Kernpflichten wie ein Anwalt. Ein Blick in § 203 Strafgesetzbuch (StGB), die Zeugnisverweigerungsrechte der diversen Prozessordnungen sowie die Beschlagnahmeverbote der Strafprozessordnung (StPO) und der Abgabenordnung (AO) belegten dies. Auch auf den besonderen Schutz der Anwälte gemäß § 160a Abs. 1 StPO könne sich ein Sozietätsverbot nicht stützen, denn auch Steuerberater, mit denen ein Anwalt sich zusammenschließen darf, unterfielen nicht der Bestimmung. Zudem sei nicht zu erkennen, warum der Umgang mit Interessenkollisionen für die Heilberufe schwieriger sei, als für Anwälte. Schließlich sei es hier möglich, andere, weniger einschränkende berufsrechtliche Regeln zu finden, wenn man dies von Seiten des Gesetzgebers für erforderlich halte.
Spannend ist darüber hinaus der Hinweis der Richter, dass § 44b der Wirtschaftsprüferordnung dieser Berufsgruppe einen Zusammenschluss mit den Heilberufen erlaube. Auch das Argument, dass wirtschaftliche Aspekte Anwälten näher lägen als medizinische, lassen die Richter nicht gelten. Denn gerade für im Medizinrecht tätige (Fach)anwälte seien Kenntnisse in beiden Gebieten unerlässlich.
Berufs- und Vereinigungsfreiheit betroffen
Doch die Richter lassen es nicht mit der Prüfung des Art. 12 GG bewenden. Sie stützen ihre Einschätzung zusätzlich auf Art. 9 GG, das Recht auf Vereinigungsfreiheit. Es sei wenig verständlich, wenn ein Anwalt selber bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen als Arzt oder Apotheker zugelassen werden könne und die Titel nebeneinander führen dürfe, es ihm aber verboten sei, sich mit einem Vertreter der Heilberufe zusammenzuschließen.
Auch Gründe für eine berechtigte Ungleichbehandlung nach Art. 3 GG vermochte der BGH nicht zu erkennen. Die Unterschiede zwischen den rechts- und wirtschaftsberatenden Berufen und zwischen den jeweiligen Aufsichtsregeln seien so gering, dass sie eine Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen könnten.
Jetzt darf mit Spannung erwartet werden, wie die Anwaltschaft auf die deutliche und gut begründete Argumentation reagiert und welche Stellung die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Anwaltverein beziehen werden. Schließt sich das Bundesverfassungsgericht der Auffassung des BGH an, so steht die Anwaltschaft vor einem großen Wandel in der Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen. Anwälten müsste dann wohl die Bildung von Sozietäten – und nicht nur wie bisher lockere Kooperationen – zusammen mit allen verkammerten Berufen, die einer eigenen Aufsicht und verpflichtenden Berufshaftpflichtversicherung unterliegen, erlaubt sein. Denkbar wären etwa Zusammenschlüsse mit Architekten und Ingenieuren. Eine solche Entwicklung hätte das Potential, das Bild der Anwaltssozietät nachhaltig zu verändern.
Martin W. Huff, BGH zum Zusammenschluss von Anwälten, Ärzten und Apothekern: . In: Legal Tribune Online, 12.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9129 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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