Mit einer Gesetzesnovelle wollte die Bundesregierung Fahrverbote vermeiden. Die neuen Regeln wollen deutsche Gerichte aber nicht anwenden, so zuletzt auch der VGH in Baden-Württemberg, zeigt Felix W. Zimmermann.
"Fahrverbote verhindern" ist das Mantra der Bundesregierung in der Dieseldebatte. Allen voran Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer betont wiederkehrend, dass dies die Priorität der Bundesregierung sei. Spätestens als das Bundesverwaltungsgericht letztes Jahr entschied, dass Fahrverbote bei Überschreitung der Emmissionsgrenzwerte möglich sind, wurde klar, dass die Regierung dieses Vorhaben nicht einlösen kann. Unter anderem in Berlin, Bonn, Essen, Stuttgart wurden gerichtlich bereits Fahrverbote verhängt. In circa 60 weiteren Städten drohen noch Fahrverbote.
Statt den Versuch zu unternehmen, die Hersteller zur Nachrüstung zu verpflichten, um die Autos und damit auch die Städte sauberer zu machen, kam die Bundesregierung auf eine andere Idee: Sie brachte eine Novellierung des Bundesimmissionsschutzgesetzes auf den Weg. Nach der Neuregelung sollen Fahrverbote in der Regel nur noch in Gebieten in Betracht kommen, in denen die Stickstoffdioxid-Belastung über 50 Mikrogramm pro Kubikmeter liegt. Der europarechtliche Grenzwert liegt indes bei 40 Mikrogramm. Bei geringerer Grenzwertüberschreitung (also zwischen 41 und 50 Mikrogramm) sollen Fahrverbote nach dem Gesetz in der Regel "unverhältnismäßig" sein. Nur noch in circa 15 deutschen Städten drohten dann Fahrverbote.
Dass mit dieser Regelung de facto Grenzwerte verschoben werden, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel abgestritten. Mitte November 2018 sagte sie, es werde nicht der Grenzwert verändert, sondern nur zwischen geringerer Überschreitung und höherer Überschreitung unterschieden. Vor dem Hintergrund, dass bei geringer Überschreitung keine Folgen eintreten, eine fragwürdige Auffassung.
VGH BaWü: "Klarer Verstoß gegen Vorrang des Unionsrechts"
Europarechtliche Bedenken kümmerten den Bundestag indes nicht. Er verabschiedete das Gesetz Mitte März. Doch die Regelung kann als vorerst gescheitert angesehen werden: In einem jetzt veröffentlichten Urteil hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg das Gesetz als "klaren Verstoß gegen den Vorrang von Unionsrecht" angesehen (Urt. v. 18.03.2019, Az.: 10 S 1977/18).
Obwohl die prognostizierten Stickstoffdioxid-Werte in Reutlingen mit 48 Mikrogramm im gesetzlich intendierten Toleranzrahmen liegen, sprach das Gericht ein Fahrverbot für die Stadt aus. Die neue Vorschrift könne wegen des Vorrangs des Europarechts nicht angewendet werden, da sie massive Grenzwertüberschreitungen von bis zu 25 Prozent toleriere und damit fundamental der europarechtlichen Verpflichtungen widerspreche, Grenzwerte schnellstmöglich einzuhalten.
Dass die Europäische Kommission im Notifizierungsverfahren keine Einwände gegen die Norm hatte, ist für den VGH dabei kein Argument. Denn die Kommission würde dem Gesetz wegen der Verwendung von Formulierungen wie "in der Regel" bei unionskonformer Auslegung schon gar nicht entnehmen, dass hiermit Fahrverbote ausgeschlossen werden sollen.
Auch andere Gerichte sehen Novelle kritisch
Mit seiner Rechtsauffassung ist das VGH Baden-Württemberg nicht allein. Schon bevor das Gesetz vom Bundestag verabschiedet wurde, haben sowohl das Verwaltungsgericht Berlin (Urt. vom 09.10.2018, Az.: 10K 207/16) als auch das Verwaltungsgericht Köln (Urt. v. 08.11.2018, Az.: 13 K 6684/15) und das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Urt. vom 15.11.2018, Az.: 8 K 5068/15) in obiter dicta angekündigt, ein solches Gesetz nicht im Sinne der Bundesregierung anzuwenden.
Die Idee der Bundesregierung Grenzwerte durch die Hintertür mit Toleranzrahmen zu verschieben, treten deutsche Gerichte bislang entschieden entgegen. Fahrverbote lassen sich damit wohl nicht vermeiden, sondern nur verzögern.
"Zeit gewinnen" ist aber nicht nur das Motto der Bundesregierung. Auch für die Grünen in Baden-Württemberg hat freie Fahrt Vorrang vor guter Luft. Ein Sprecher von Landesverkehrsminister Winfried Hermann teilte am Mittwoch mit, dass gegen das Urteil des VGH Revision eingelegt werde. Das Bundesverwaltungsgericht solle in der letzten Instanz klären, ob die Regelungen des Bundes gegen EU-Recht verstoßen oder nicht.
VGH Baden-Württemberg: . In: Legal Tribune Online, 17.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34973 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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