Spätestens mit einer Entscheidung des BVerfG schien das Geschäftsmodell der Werbeblocker im Netz rechtlich abgesichert. Doch plötzlich erzählt der Kartellsenat des BGH die Geschichte von David und Goliath neu.
Das mittlerweile bundesweit bekannte Kölner Unternehmen Eyeo nutzt mit seinem Werbeblocker womöglich eine marktbeherrschende Stellung aus und wäre damit kartellrechtswidrig. Ein Blocker im Internet, der über ein sogenanntes Whitelisting-Modell den Betreibern von Webseiten anbietet, blockierte Werbung gegen Entgelt wieder freizuschalten, ist dann marktbeherrschend, wenn die Betreiber keine andere wirtschaftlich sinnvolle Zugangsmöglichkeit zu den Nutzern haben, die den Blocker einsetzen. Das hat der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) am 8. Oktober von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt entschieden. Nun liegen die Urteilsgründe (Az. KZR 73/17 - Werbeblocker III) vor.
Das in zweiter Instanz entscheidende Oberlandesgericht (OLG) München habe den relevanten Markt nicht richtig bestimmt, so die Karlsruher Richter. Das beklagte Kölner Unternehmen Eyeo könnte sehr wohl marktbeherrschend sein - und dann auch missbräuchlich handeln, zumindest indem es seinen Werbeblocker mit der Möglichkeit koppelt, angemessene Werbung gegen Entgelt doch wieder schalten zu können.
Mit diesem Urteil aus Karlsruhe könnte sich der Wind drehen, der den Medienunternehmen im Kampf gegen die Werbeblocker im Internet bisher eher hart ins Gesicht blies. Es ist nicht das erste Verfahren gegen das umstrittene Geschäftsmodell. Bisher hatten die Unternehmen sich aber, nicht allzu erfolgreich, auf andere, vor allem wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte gestützt. Nun muss das OLG München neu entscheiden. Aus dem David könnte dann ein Goliath werden. Selbst die Parteien scheinen davon etwas überrascht zu sein.
BGH, Wettbewerbssenat: Eyeo ist nicht wettbewerbswidrig
Kläger in dem Verfahren vor dem BGH ist RTL, in diesem Verfahren vertreten von einem Team von McDermott Will und Emery. Dr. Wolfgang Freiherr sowie Dr. Christian L. Masch berieten medienrechtlich, für die kartellrechtlichen Aspekte zeichnete Christian Krohs aus der Düsseldorfer Dependance verantwortlich. Beim BGH traten die BGH-Anwälte von Rohnke Winter auf. RTL steht stellvertretend für eine ganze Branche, die seit Jahren gegen die sogenannten Adblocker vorgeht.
Diese bieten Internetnutzern die Möglichkeit, unliebsame Werbung im Netz zu blockieren. Geld verdient Eyeo dabei mit dem sogenannten Whitelisting: Wer mit der Kölner GmbH einen Vertrag schließt, kann seine Werbung durch Aufnahme in die "Whitelist" doch anzeigen lassen, wenn diese von Eyeo aufgestellte Kriterien an "akzeptable Werbung" erfüllt. Solche Verträge schließt Eyeo nach eigenem Bekunden mit kleinen Netzanbietern unentgeltlich, von den Großen nimmt sie dafür ein Entgelt.
In ihrem Kampf gegen dieses Modell von Eyeo, die regelmäßig von CMS Hasche Sigle, dort von Medienrechtler Dr. Pietro Graf Fringuelli und Wettbewerbsrechtlerin Heike Blank, vertreten werden, waren die Medienhäuser zumindest auf höchstrichterlicher Ebene nicht sehr erfolgreich. So nahm zuletzt am 8. Oktober das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde des Axel Springer Verlags nicht zur Entscheidung an. Damit wurde ein Urteil des BGH rechtskräftig, mit dem der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat sowohl die Software von AdBlock Plus als auch das damit gekoppelte Geschätsmodell des Whitelisting für rechtmäßig erklärt hatte. Eyeo stelle, so der I. Zivilsenat, lediglich ein Produkt bereit, über dessen Anwendung allein der Internetnutzer entscheide.
Eine wettbewerbsrechtliche Behinderung liege nicht vor. Laut Wettbewerbssenat ist es nicht Aufgabe des Wettbewerbsrechts, "bestehende wettbewerbliche Strukturen zu bewahren und wirtschaftlichen Entwicklungen entgegenzusteuern, in denen die bisherigen Marktteilnehmer eine Bedrohung ihres Kundenstamms erblicken". Offen blieb, darauf wiesen die Verlage zunehmend leiser hin, noch die Bewertung über das Urheberrecht, in dem sie sich durch die Werbeblocker ebenfalls verletzt sehen.
BGH, Kartellsenat: Eyeo könnte marktbeherrschende Stellung ausnutzen
Vor allem in der Netzcommunity wurde die Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde von Springer als praktisch endgültiger Sieg gefeiert. Als Sieg eines modernen, kleinen Internetunternehmens, das sich im Dienste der Allgemeinheit gegen die Verlagsgiganten wehrt, die an einem überkommenen Geschäftsmodell festhalten wollen und sich gegen unliebsame Konkurrenz rechtlich wehren, statt ihr wirtschaftlich zu begegnen.
Der Kartellsenat des BGH erzählt nun eine andere Geschichte. Im relevanten Markt nämlich könnte Eyeo nicht der David sein, als der das Unternehmen sich gerne gibt. Gegenüber den großen Medienhäusern, die ihre redaktionellen Inhalte, für die Internetnutzer nicht zu zahlen bereit sind, mit Werbung finanzieren müssen, könnte Eyeo laut den BGH-Richtern vielmehr der Goliath sein, der missbräuchlich seine marktbeherrschende Stellung ausnutzt.
Eyeo, bei CMS in diesem Verfahren noch zusätzlich unterstützt durch den Kartellrechtler Kai Neuhaus aus Brüssel, die BGH-Anwälte kamen aus der Kanzlei Dr. Mennemeyer und Dr. Rädler, werde auf einem zweiseitigen Markt zwischen Internetnutzern einerseits und Seitenbetreibern andererseits tätig. So verortet der Kartellsenat die GmbH als ganz besonderen Intermediär: Der Adblocker-Anbieter verlange von den großen Seitenbetreibern Geld dafür, dass er ein Zugangshindernis zu den Nutzern beseitigt, dass er mit dem Werbeblocker zuvor selbst geschaffen habe. Das Whitelisting-Modell sei vom Werbeblocker für die Bestimmung des relevanten Markts nicht zu trennen, argumentieren die Bundesrichter.
Ob die großen Verlage, wenn sie sich nicht in die Weiße Liste einkaufen wollen, auf irgendeine andere Art mit ihrer Werbung wieder Zugang zum Nutzer bekommen könnten, dazu finde sich im Urteil des OLG München nicht genug. Für "von vorneherein unerheblich" erklärt der BGH-Senat das Argument, die Verlage könnten schließlich eine Bezahlschranke für die redaktionellen Inhalte einrichten. Bezahlschranke statt Werbefinanzierung, das wäre schlicht ein anderes Geschäftsmodell. Auch die Werbeblocker-Blocker, also die Möglichkeit, Nutzer, die einen Werbeblocker verwenden, technisch von ihrer Seite auszuschließen, oder aber Inhalte bei eingeschaltetem Werbeblocker nur in schlechter Qualität zu zeigen, sehen die Richter nicht als ernsthafte Alternative.
BGH, Kartellsenat: Wettbewerbsrechtliche ok heißt nicht kartellrechtlich ok
Nun muss das OLG München neu abwägen. Auf der einen Seite werden Berufs- und Pressefreiheit der Medienunternehmen stehen; die offene Frage, ob auch die Einblendung von Werbung unter den Schutz der Pressefreiheit fällt, beantwortet der BGH ohne weitere Begründung implizit positiv.
Auch für Eyeo streiten aber wiederum die Berufsfreiheit sowie die Tatsache, dass das erfolgreiche Dienstleistungsangebot den Bedürfnissen vieler Internetnutzer entspreche und somit "Teil des Wettbewerbsprozesses bei Dienstleistungen der Online-Werbung" sei, betonen die Richter.
Dass Nutzer Internetangebote ohne Werbung nutzen wollten, hält der Senat für nicht ohne weiteres schutzwürdig. Schließlich wollten sie andererseits nicht dafür bezahlen, redaktionelle Inhalte zu konsumieren. Aber man könne es den Nutzern eben auch nicht verbieten, keine störende Werbung sehen zu wollen - und damit auch Eyeo nicht, ihnen ein entsprechendes Angebot zu machen.
Der Kartellsenat weist darauf hin, dass das OLG München bei seiner Entscheidung das Urteil der Kollegen vom I. Zivilsenat berücksichtigen muss, die das Geschäftsmodell von Eyeo für nicht wettbewerbswidrig erklärten hatten. Aber diese lauterkeitsrechtliche Bewertung bedeute nicht, dass das Business damit auch kartellrechtlich in Ordnung sei, so Deutschlands oberste Kartellrichter. "Dem Marktbeherrscher können besondere Verhaltenspflichten auferlegt sein, die für das Marktverhalten anderer Unternehmen nicht gelten", heißt es in der Entscheidung. Dieser Unterschied dürfe, werden die Richter deutlich, bei der parallelen Anwendung von Lauterkeits- und Kartellrecht nicht unberücksichtigt bleiben.
Und noch einen weiteren Hinweis geben sie mit nach München: Der OLG-Senat solle doch, da die Klageanträge bisher durch die wettbewerbsrechtlichen Angriffe geprägt gewesen seien, bitte darauf hinwirken, dass sachgerechte Anträge gestellt würden und die Parteien die für die kartellrechtliche Beurteilung maßgeblichen Gesichtspunkte stärker herausarbeiteten, heißt es im Urteil. Dass nun das Kartellrecht womöglich die Adblocker doch noch blockt, hat offenbar sogar die Parteien überrascht. Weder die Verantwortlichen bei CMS Hasche Sigle noch bei McDermott Will & Emery wollten sich auf Anfrage von LTO bis zur Veröffentlichung dieses Artikels zu dem laufenden Verfahren äußern.
Überraschendes BGH-Urteil: . In: Legal Tribune Online, 23.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38343 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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