Ab 2013 sollen Eltern, die ihre Kinder zuhause betreuen und nicht in eine Kita geben, monatlich ein Erziehungsgeld erhalten. Ein Glaubenskrieg zwischen der schnellen Rückkehr in den Job und der Achtung der Familienarbeit spaltet seitdem über Parteigrenzen hinweg das Land - auch unter den Juristen. Zwei Familienrechtler/innen, zwei Meinungen.
Frauendiskriminierung und Vertiefung sozialer Unterschiede? Die Gegner des Betreuungsgeldes negieren nicht nur die Realität, sondern diskriminieren ihrerseits, meint Herbert Grziwotz: Familienarbeit muss zunehmend honoriert werden.
Was haben das Ungeheuer von Loch Ness und die Herdprämie gemeinsam? Wenn Journalisten und Politikern nichts mehr einfällt, graben sie alte Kamellen aus. Das gilt auch für die EU-Kommission, die statt des wohl nicht mehr zu lösenden währungspolitischen Euro-Desasters lieber bundesdeutsche Frauen davor bewahren will, Windeln zu wechseln, Mittagessen zu kochen und Wäsche zu waschen.
Die geplante Einführung eines Betreuungsgeldes in Deutschland wird in der politischen Diskussion bereits begrifflich zur Herdprämie abgewertet. Dieser Begriff wurde allerdings schon im Jahre 2007, als das Betreuungsgeld erstmals die Gemüter erregte, zum Unwort des Jahres erklärt. Begründung: Er diffamiere Eltern, insbesondere Frauen, die ihre Kinder zu Hause erziehen. In der Tat erregt er Assoziationen zu dem landwirtschaftlichen Terminus der Mutterkuhprämie.
Auch fünf Jahre später ist über die Honorierung der heimischen Kinderbetreuung durch Eltern ein Glaubenskrieg entstanden. Während in seltener Einigkeit Feministen um Alice Schwarzer, die Arbeitgeberverbände und die Sozialdemokraten fordern, Frauen müssten möglichst schnell nach der Geburt eines Kindes wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, besteht vor allem die bayerische CSU auf der Einführung des in der Koalitionsvereinbarung festgeschriebenen Betreuungsgeldes.
Entweder Arbeit gegen Lohn oder Kinder, Küche, Kirche?
Aber geht es beim Betreuungsgeld wirklich um die Zementierung patriarchalischer Macht- und Rechtsstrukturen nach dem Motto "Kinder, Küche, Kirche" oder "Ich leite ein erfolgreiches kleines Familienunternehmen", wie eine bekannte Staubsaugerreklame dies modern ausdrückt?
Es ist, daran besteht kein Zweifel, nicht zu schaffen, wie geplant bis zum Jahr 2013 jedem Kleinkind einen Krippen- und einen Kindergartenplatz zu garantieren. Maximal jedes dritte Kind kann in einer diesbezüglichen Einrichtung untergebracht werden.
Zur Trennung von Familie und Betrieb, von Haushalt und Erwerb kam es im 19. Jahrhundert. Erst die kapitalistische Produktionsweise führte unter der ökonomischen Parole "Arbeit gegen Lohn" zur Abgrenzung zwischen entgeltlicher Erwerbsarbeit und unentgeltlicher Haus- und Familienarbeit. Geld bekommt nur noch, wer etwas in der Arbeitswelt leistet. Allerdings verliert auch dieses Prinzip zunehmend an Geltung. Am meisten Geld verdient man nämlich zwischenzeitlich auch in kapitalistischen Wirtschaftssystemen ohne Arbeit, insbesondere mit Börsenspekulationen.
Familie oder Staat – die Lüge von der Alternative
Tatsache ist aber auch, dass die Menschen in unserem Land aufgrund der demographischen Entwicklung in gar nicht so ferner Zukunft ohne Haus- und Familienarbeit nicht werden überleben können. Die Diskussion über das Betreuungsgeld wird zu einseitig geführt: Es wird verschwiegen, dass Familienarbeit nicht nur Kindererziehung ist.
Die Arbeit Angehöriger ist auch für Kranke und Behinderte unverzichtbar. Eltern, die nicht in ein Heim abgeschoben werden, sondern in ihrer gewohnten Umgebung in Würde alt werden möchten, bedürfen ebenso der Betreuung durch ihre Familien.
Solange in Deutschland keine Pflegeplätze für alte Menschen bestehen, die ein Normalverdiener mit Hilfe seiner Rente und dem Pflegegeld bezahlen kann, bleibt die Familienarbeit in diesem Bereich wie auch in dem der Kindererziehung ohne Alternative. Staatliche Einrichtungen sind jedenfalls derzeit noch kein Ersatz. Für die Haus- und Familienarbeit werden mehr Arbeitsstunden aufgewendet als für die Erwerbsarbeit. Gleichwohl wird sie von der Gesellschaft bisher nicht ausreichend honoriert.
Die wirklich überfällige Diskussion: Honorierung der Familienarbeit
Das Betreuungsgeld könnte, wenn man die ideologischen Scheuklappen ablegt, ein Einstieg in die angemessene Honorierung der Familienarbeit sein – einer Arbeit, die Männer im Übrigen ebenso gut leisten könnten und sollten wie Frauen. Darüber, wie die Arbeitswelt so umgestaltet werden kann, dass Männer und Frauen ohne Karriereknick und ohne schlechtes Gewissen Familie und Beruf vereinbaren können, sollten vor allem die Arbeitgeberverbände nachdenken. Die Frauen gleich nach der Entbindung wieder arbeiten zu lassen, wird dagegen zur Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland nicht beitragen.
Wenn die Politik aber weiterhin die Diskussionen des aufstrebenden Kapitalismus aus dem vorletzten Jahrhundert führen will, sollte sie das ehrlich und nicht diskriminierend tun. Zur Aufrichtigkeit der Arbeitgeberverbände würde es gehören, zuzugeben, dass die Übernahme der Familienarbeit durch staatliche Einrichtungen derzeit und in absehbarer Zukunft nicht bezahlt werden kann.
Fast schon beleidigend ist es, das Betreuungsgeld deshalb abzulehnen, weil Kinder aus der Arbeiterschicht in öffentlichen Einrichtungen besser aufgehoben seien als in ihren Familien. Diskriminierend ist auch das hinter vorgehaltener Hand geäußerte "Argument", in sozial schwachen Familien würde das Betreuungsgeld ohnehin nur in Zigaretten und Alkohol investiert. Soll wirklich ernsthaft behauptet werden, Müttern aus der Arbeiterschicht oder auch solchen mit Migrationshintergrund sei nicht zuzutrauen, ihre Kinder richtig zu betreuen und sie zu erfolgreichen Menschen, was immer das heißen mag, zu erziehen? Stattdessen sollte eine Diskussion über Chancengleichheit im Berufsleben geführt werden. Dabei könnte man auch einmal ermitteln, wie viele weibliche und männliche Arbeiterkinder Führungspositionen innehaben.
Wer in der Diskussion über das Betreuungsgeld wirklich Familien, Geschlechter- und Bildungsgerechtigkeit als ernsthafte Ziele verfolgt, der sollte auch hierüber reden und nicht über alte Rollenklischees.
Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und Zwiesel und Historiker. Er ist Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen unter anderem zum Familienrecht.
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Es gibt keine politisch sinnvolle und akzeptable Begründung für eine staatliche Subvention, die den klammen Kommunen Geld sparen und Kinder aus sozial schwachen Familien weiter benachteiligen würde. Betreuungsgeld – nein danke, kommentiert Jutta Wagner.
Erstaunlich, was die Republik in diesen Tagen so bewegt und was zur Koalitionskrise führen könnte. Es ist nicht die Eurokrise und die riesige Staatsverschuldung. Es ist nicht die Bedrohung durch das iranische Atomprogramm. Es ist nicht das länderübergreifende unbemerkte Wirken einer rechtsextremen Mörderbande. Nein: Es ist die Frage, ob dem über Jahrzehnte gewucherten, undurchdringlichen und undurchschaubaren Gestrüpp der Familienförderung eine weitere Subvention in Form des so genannten Betreuungsgeldes hinzugefügt wird.
Bezeichnend auch, dass nicht einmal feststeht, wie genau diese Subvention ausgestaltet werden soll. Soll sie 100 Euro monatlich oder 150 Euro monatlich betragen? Soll sie an diejenigen gezahlt werden, die selbst ihr Kind zu Hause betreuen oder sollen sie alle erhalten, die ihr Kind nicht in eine öffentliche Betreuungseinrichtung bringen? Das zuständige Ministerium scheint es mit der Ausarbeitung des Entwurfs nicht eilig zu haben. Und das ist auch gut so, aus den verschiedensten Gründen.
Nun kann man ja schon grundsätzlich merkwürdig finden, eine staatliche Subvention dafür zu zahlen, dass staatliche Einrichtungen, die ihrerseits in der Regel ja kostenpflichtig sind, nicht genutzt werden. Mit dem gleichen Recht könnten chronische Opernfeinde verlangen, einen Bonus dafür zu bekommen, dass sie die Opernhäuser meiden. Auch über einen Bonus für das Nichtbenutzen öffentlicher Verkehrsmittel könnte man ernsthaft nachdenken. Soll demjenigen, der sein Kind nicht in eine öffentliche Schule schickt, nicht auch eine Subvention zustehen?
Im Ernst: Welche Berechtigung soll ein Betreuungsgeld neben dem staatlichen Kindergeld, das nach dem Gießkannenprinzip gezahlt wird, neben den steuerlichen Kinderfreibeträgen und neben dem Erziehungsgeld noch haben? Eine Zahlung dafür, eine öffentliche Einrichtung nicht in Anspruch zu nehmen, ist systemfremd. Ob sie rechtlich überhaupt zulässig ist, wird zu klären sein.
Nur fehlerhafte Motive: Schwindel, Fehlinvestition oder Wahlgeschenk
Eine andere Frage ist, welchen politischen Zweck dieses Betreuungsgeld haben soll und ob dieser Zweck damit überhaupt erreichbar ist.
Will man einen billigeren Weg finden, Eltern davon abzuhalten, ihren Anspruch auf einen Betreuungsplatz für ihre Kinder durchzusetzen und den Kommunen damit längst fällige Investitionen ersparen? Das wäre ein unzulässiger Etikettenschwindel und würde die Überlegung, die der Gesetzgeber sich vor der Einführung des Anspruchs auf einen Betreuungsplatz gemacht hat, konterkarieren.
Hält man die eigenen Betreuungsangebote für so schlecht, dass man die Kinder vor deren Besuch durch eine kleine Belohnungszahlung an die Eltern schützen will? Dann wäre das Geld besser bei Investitionen in die Betreuungseinrichtungen aufgehoben.
Will man Elternteile, in der Regel Mütter, dazu motivieren, bis zur Einschulung der Kinder zu Hause zu bleiben? Das wird so nicht funktionieren. Wer einen einigermaßen ordentlich bezahlten Arbeitsplatz hat, wird diesen, unter anderem nach Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs und Erziehungsgeldes, nicht wegen 150 Euro oder 100 Euro im Monat aufgeben.
Oder könnte es vielleicht sein, dass eine im idyllischen Süden dieser Republik beheimatete Partei ihre Klientel, wohnhaft in mit Betreuungseinrichtungen katastrophal unterversorgten ländlichen Gegenden, mit einem kleinen Wahlgeschenk erfreuen will?
Fazit: Es gibt keine politisch sinnvolle und akzeptable Begründung für die Einführung des Betreuungsgeldes.
Die wirklich überfällige Diskussion: Ehegattensplitting und staatliches Kindergeld
Um zu diesem Schluss zu kommen, ist es nicht einmal nötig, mit Missbrauchsgefahren und Fehlanreizen zu argumentieren, die ein solches Betreuungsgeld mit sich bringen könnte.
Selbstverständlich und glücklicherweise sind die große und leider zu oft schweigende Mehrheit der Eltern in unserer Republik Menschen, die sich verantwortungsbewusst um ihre Kinder kümmern und nur das Beste für sie wollen. Genauso selbstverständlich allerdings hat man gerade in einer Großstadt wie Berlin Eltern vor Augen, denen man eher ein Betreuungsgeld zahlen sollte, damit sie ihre Kinder in eine Betreuungseinrichtung bringen, ihnen den Erwerb der Landessprache ermöglichen und manch andere Förderung auch. Heuchlerisch, wer das negiert.
Vollends abstrus wird das Ganze, wenn man es im Zusammenspiel mit den Regelungen des seit dem 1.Januar 2008 geltenden reformierten Unterhaltsrechts sieht. Dort wird den Eltern, vulgo, Müttern, ausdrücklich bescheinigt, dass ihre Kinder ab dem dritten Geburtstag jedenfalls grundsätzlich keine mütterliche Betreuung mehr brauchen. Dieser Zeitraum ist aber bereits durch Erziehungsurlaub und gegebenenfalls Erziehungsgeld abgedeckt. Familienrechtsanwältinnen und -anwälte werden wissen, zu welchen Spitzenleistungen anwaltlicher und gerichtlicher Akribie, was Betreuungsbedarf und Betreuungsmöglichkeiten angeht, der § 1570 Bürgerliches Gesetzbuch in der derzeitigen Fassung führt.
Also weg mit den politischen Eitelkeiten und durchsichtigem Populismus. Wenn der Staat, die Kommunen Geld auszugeben haben, dann dahin, wo es den Kindern direkt zugute kommt und den Eltern, vor allem den berufstätigen Müttern, das Leben erleichtert. Investitionen in öffentliche Betreuungseinrichtungen und Schulen sind dringend und zukunftsorientiert. Dafür dürften auch ruhig, längst überfällig, das überhaupt nicht familien- und kinderorientierte Ehegattensplitting abgeschafft werden und das Gießkannenprinzip beim staatlichen Kindergeld.
Jutta Wagner ist Fachanwältin für Familienrecht und Notarin in Berlin. Sie ist Past President des Deutschen Juristinnenbundes und Verfasserin zahlreicher Veröffentlichungen unter anderem zum Ehe- und Familienrecht.
Herbert Grziwotz, Pro & Contra Betreuungsgeld: . In: Legal Tribune Online, 20.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6041 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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