Der Mitarbeiter eines Sicherheitsunternehmens soll eine CD-ROM voller Grundrisse des Bundestags an den russischen Geheimdienst geschickt haben. Zum Prozessauftakt schwieg er - und es wurde deutlich, wie mühsam die Beweisaufnahme werden könnte.
Im Spätsommer 2017 gerät ein per Post verschickter Din-A-4-Umschlag in die Hände der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Er ist adressiert an die Botschaft Russlands in Berlin, Unter den Linden. Ein Absender fehlt. In dem Umschlag befindet sich eine CD-ROM, darauf gespeichert sind 385 Grundrissen von Gebäuden und Liegenschaften des Bundestages. Handschriftlich hat jemand "besondere Wichtigkeit" auf die CD-ROM geschrieben - auf Russisch. Die Bundesanwaltschaft glaubt zu wissen, wer sie verschickt hat: Jens F., Mitarbeiter einer Firma, die mehrfach beauftragt wurde, elektrische Geräte im Bundestag zu überprüfen.
Am Mittwoch fand der Auftakt zu dem Prozess am Kammergericht (KG) in Berlin statt, dem 56-jährigen Deutschen aus Potsdam wird geheimdienstliche Agententätigkeit nach § 99 Strafgesetzbuch (StGB) vorgeworfen. Ihm droht bei einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe bis maximal fünf Jahre.
Ist der Briefumschlag in der russischen Botschaft angekommen?
Der Vorsitzende Richter des Staatsschutzsenats Andreas Müller hatte im Vorlauf zur Verhandlung eine Verständigung angeregt, sollte F. ein umfassendes Geständnis ablegen und auch seine Motive offenlegen. Er hätte dann laut Müller mit einem Jahr und acht Monate bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung rechnen müssen. Dazu kam es nicht. Und auch zum Prozessauftakt am Mittwoch schwieg der Angeklagte.
F. soll nicht angeworben worden sein. Er habe aus eigenem Entschluss gehandelt, hieß es bei Anklageerhebung vor sechs Monaten. Außerdem sollen nach Informationen von LTO die Ermittlungen keine Hinweise auf weitere mutmaßliche Tätigkeiten F.s für den russischen Geheimdienst ergeben haben. F. verfolgte am Mittwoch die Verhandlung aufmerksam, zog bei der ein oder anderen Ausführung die Augenbraue hoch. Er befindet sich nicht in Untersuchungshaft, eine Fluchtgefahr soll nicht bestehen.
Sein Verteidiger sagte am Rande der Verhandlung, es gebe keine Beweise, wer 2017 eine CD mit Grundrissdateien verschickt habe. Und schon der erste Verhandlungstag bot einen Eindruck davon, wie mühsam die Beweisaufnahme werden könnte. Denn schon die Ermittlungen nach dem Absender zogen sich über Jahre hin, Spuren wurden kleinteilig zusammengetragen.
Am Anfang hatten die Ermittler nur die Informationen zu Briefumschlag und CD-ROM auf dem Tisch, von beiden existiert nur eine Kopie. Wo die Originalsendung verblieben ist, dazu wurde am Mittwoch in der Verhandlung viel ausweichend gesprochen. Details dazu betreffen die Arbeitsweise des Inlandsgeheimdienstes, Teile der Akte sind geschwärzt und eingestuft, ein Vertreter des Verfassungsschutzes ist bislang noch nicht als Zeuge geladen. Der Senat interessiert sich aber für das Schicksal der Sendung, denn ob die Sendung schließlich in der russischen Botschaft angekommen ist, entscheidet auch über die Strafhöhe im Fall einer Verurteilung.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf Postsendungen öffnen und einsehen, das erlaubt das sogenannte G-10-Gesetz, ein spezielles Gesetz für Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 Grundgesetz - und zwar soweit das der Abwehr drohender Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder aus Sicherheitsgründen für den Bund, ein Land oder stationierten Nato-Truppen dient. Laut G-10-Gesetz muss eine abgefangene Sendung dem Postverkehr wieder unverzüglich zugeführt werden. So ist also auch davon auszugehen, dass am Ende die Sendung auch den damaligen Verteidigungsattaché in der russischen Botschaft erreichte, an den sie adressiert war.
Die Sache wurde ein Fall für den Generalsbundesanwalt, zuständig für die Verfolgung von Spionage. Die Bundesanwaltschaft geht laut Anklage davon aus, dass der damalige russische Verteidigungsattaché ein getarnter Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdienstes GRU gewesen ist. Die Ermittlungen zu dem Fall übernahm das Bundeskriminalamt (BKA).
Suche nach CD-Rohlingen und Briefmarken mit Elbphilharmonie-Motiv
Am Mittwoch hörte das Gericht einen an den Ermittlungen beteiligten BKA-Mitarbeiter. Aus seinen Aussagen wird deutlich, wie sich die Ermittlerinnen und Ermittler über Nachforschungen im Bundestag zu einem privaten Unternehmen vorarbeiteten, das im Auftrag des Bundestags bewegliche Geräte wie etwa Wasserkocher oder Druckergeräte in den Räumen einer regelmäßigen Sicherheitsprüfung unterzogen. Die Überprüfung wird von der gesetzlichen Unfallversicherung vorgeschrieben. Dazu erhielten die Mitarbeiter Lagepläne der Liegenschaften vom Bundestag. Am Ende fokussierten sich die Ermittler laut Anklage auf den Mitarbeiter F., er war für die Verteilung der Pläne an die Mitarbeiter zuständig.
Neben der Beschriftung der CD-ROM enthielt die abgefangene Postsendung wenige Anhaltspunkte auf ihren Absender. Auf dem Umschlag klebte eine Briefmarke mit dem Motiv der Elbphilharmonie. Als die Ermittler die Geschäftsräume bei F. durchsuchten, fanden sie laut dem BKA-Zeugen eine Spindel mit CD-Rohlingen, deren Seriennummer zu der abgefangenen CD-ROM mit den Grundrissen passen soll. Sie fanden auch einen Satz Briefmarken mit dem Motiv der Elbphilharmonie. Allerdings war das im Jahr 2017 bundesweit auch eine Standardbriefmarke für alle Postsendungen im Wert von 1,45 Euro.
Es bleiben noch zahlreiche Fragen offen. Vor allem auch danach, wie sensibel die pdf-Dateien mit den Bundestagsgrundrissen eigentlich waren. Darauf kommt es für die Verwirklichung des Spionagevorwurfs nicht an, aber für das Strafmaß im Fall einer Verurteilung. Laut Aussagen des BKA-Zeugen waren auf den Lageplänen zu den Bundestagsräumlichkeiten keine Namen von Abgeordneten oder Mitarbeiterinnen eingetragen.
Der Verteidiger von F. erklärte, keines der Dokumente habe einen Geheimvermerk getragen. Nach seinem Gefühl "wurde in dem Verfahren etwas über das Ziel hinausgeschossen". Sein Mandant sei ein Offizier in der Nationalen Volksarmee der DDR gewesen sei, so der Verteidiger. Es könnte sein, dass im Verfahren deshalb "Rückschlüsse" gezogen worden seien. In Bezug auf Medienberichte über eine angebliche Tätigkeit seines Mandanten als Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR sagte der Anwalt, er kenne keine entsprechenden Akten.
Es ist eines von mehreren Spionageverfahren mit Russland-Bezug, das die Bundesanwaltschaft derzeit verfolgt. Zuletzt war Anfang August in Potsdam ein Mitarbeiter der britischen Botschaft festgenommen worden, der gegen Geld einem russischen Geheimdienst Dokumente verschafft haben soll.
Der Prozess gegen F. wird am 15. September fortgesetzt, dann sollen Mitarbeiter aus der Bundestagsverwaltung und ein damaliger Arbeitskollege von F. als Zeugen vernommen werden.
Spionageprozess startet in Berlin: . In: Legal Tribune Online, 01.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45895 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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