Potenzsteigernde Mittel sind von der beamtenrechtlichen Beihilfe grundsätzlich ausgeschlossen. Das entschied das OVG Münster und liegt damit ganz auf der Linie der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Gleichwohl scheint sich die Justiz schwer zu tun mit der rechtlichen Einordnung von Erektionstörungen. Das Problem wird nur der Gesetzgeber lösen können. Von Michal Deja.
Die Rechtslage sei eindeutig, so die Richter in ihrem Urteil vom 10. Dezember 2010. (Az. 1 A 565/09): Die Beihilfeverordnung für Beamte verweise auf die Arzneimittelrichtlinien, wonach Medikamente nicht beihilfefähig sind, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion oder der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz dienen.
Dieser Ausschluss gelte unabhängig davon, ob eines der erfassten Arzneimittel der Behandlung des durch eine Krankheit bzw. deren Behandlung hervorgerufenen irregulären Zustandes dient, oder ob das Mittel – ohne Vorliegen einer Erkrankung – ausschließlich zur Erhöhung der Lebensqualität und zur Bedürfnisbefriedigung eingesetzt wird. Vorausgesetzt werde lediglich, dass bei der Anwendung des verordneten Arzneimittels – typischerweise – die Erhöhung der Lebensqualität "im Vordergrund steht".
Folgerichtig wies das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster die Klage eines Beamten ab, der infolge eines Prostatakarzinoms an einer erektilen Dysfunktion litt und die Kosten für Viagra vom Dienstherrn erstattet bekommen wollte.
Pauschale Gleichbehandlung der Fallgruppen rechtlich kritisch
Tatsächlich sind die zitierten Regelungen alles andere als unbedenklich: Sie lassen weder die konkrete Betrachtung des einzelnen Behandlungsfalls zu, noch die Bildung von Fallgruppen. Die betroffenen Medikamente werden generalisierend als der Erhöhung der Lebensqualität dienend eingestuft. Damit wird die Anwendung des Ausschlusstatbestands auch in solchen Fällen impliziert, in denen es bei der Verwendung des Mittels um die Behandlung einer erektilen Dysfunktion als Krankheit im eigentlichen Sinne und nicht als Folge des "normalen" Alterungsprozesses geht.
Eine pauschale Gleichstellung der beiden Gruppen ist rechtlich kritisch, zumal die erektile Dysfunktion nachweislich eine Krankheit darstellt, deren Behandlung medizinisch indiziert ist. Man könnte darin eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) erkennen, der es gebietet, wesentlich Ungleiches auch ungleich zu behandeln.
Das OVG Münster geht zwar offenbar von einer unterschiedlichen Situation der beiden Gruppen aus, hält die ungleiche Behandlung letztlich jedoch für gerechtfertigt.
OVG: Sexuelle Bedürfnisse nicht gleichzusetzen mit biologisch-medizinischen Erfordernissen
Dabei knüpft das Gericht an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an. Dieses hatte bereits in einer Entscheidung aus dem Jahr 2008 (Az. 2 C 24/07) entschieden, dass sich die Rechtfertigung des vollständigen Ausschusses der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen zur Behandlung der erektilen Dysfunktion in der Erwägung findet, dass dieses Leiden sich unabhängig davon auswirkt, ob es die Folge einer behandlungsbedürftigen Erkrankung wie etwa eines Prostatatumors ist oder ob es als Folge des natürlichen Alterungsprozesses eintritt.
Das Gericht folgt der Ansicht, dass die Behandlungsbedüftigkeit des regelwidrigen Gesundheitszustands sich vorwiegend aus sexuellen Bedürfnissen und damit nicht aus biologisch-medizinischen Erfordernissen ergibt, wie etwa beim behandlungsbedürftigen Bluthochdruck, beim Diabetes oder anderen Erkrankungen. Letztere könnten unbehandelt unzumutbare Beschwerden und weitere körperliche Krankheitserscheinungen auslösen.
Entscheidend sei jedoch, dass die Auswirkungen der "beihilfefähigen" Erkrankungen nicht der willentlichen Steuerung des Menschen unterliegen. Hingegen könne der Betroffene in diesem Fall ohne die Gefahr weitergehender gesundheitlicher Beeinträchtigungen oder Schädigungen auf die Behandlung je nach seinen individuellen Lebensbedürfnissen zumindest teilweise verzichten.
Psychische und psychosomatische Folgen der Krankheit nicht außer Acht lassen
Eine andere Beurteilung der Sachlage folgt für das OVG Münster auch nicht aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Diese ergänzt die ebenfalls durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Alimentationspflicht des Dienstherrn und fordert, dass der Dienstherr den amtsangemessenen Lebensunterhalt der Beamten und ihrer Familien auch in besonderen Belastungssituationen wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit sicherstellt. Der Fürsorgegrundsatz verlangt allerdings weder, dass Aufwendungen der Beamten in Krankheitsfällen durch Leistungen einer beihilfekonformen Krankenversicherung und ergänzende Beihilfen vollständig gedeckt werden, noch, dass die von der Beihilfe nicht erfassten Kosten in vollem Umfang versicherbar sind.
Daher kann die Erstattung von Behandlungskosten aus triftigen Gründen, nach medizinischer Einschätzung auch im Einklang mit dem Fürsorgegrundsatz beschränkt oder ausgeschlossen werden. Dies jedoch nur, wenn die pauschalen Ausschlüsse von der Beihilfegewährung im Einzelfall zu einer erheblichen finanziellen Belastung des Beamten führen würde. Hierfür müsste wohl geprüft werden, ob durch die Mehraufwendungen des Beamten für Medikamente seine Besoldung nicht mehr amtsangemessen ist. Dann wäre auch das Alimentationsprinzip verletzt. Eine Situation die zwar nicht undenkbar – und insofern auch vom Gericht angedeutet –, aber im Einzelfall nur schwer nachweisbar ist.
In jedem Fall verlangen die denkbaren Alternativen gesetzgeberische Aktivitäten. Zunächst könnte der ohnehin rechtlich bedenkliche Verweis auf die Arzneimittelrichtlinie abgeschafft werden. Zudem ist die Behandlung der Beihilfefähigkeit durch die Gerichte widersprüchlich. Die erektile Dysfunktion wird zunächst als Krankheit eingeordnet. Durch den Verweis auf die willentliche Steuerung der Auswirkungen der Krankheiten als Kriterium für die Beihilfefähigkeit der Medikamente wird dann eine zusätzliche Kategorisierung geschaffen. Dadurch werden wichtige Aspekte der Folgen der erektilen Dysfunktion ausgeblendet.
Die Gerichte scheinen nämlich vergessen zu haben, dass es neben den rein körperlichen Auswirkungen auch psychische und psychosomatische Folgen der Krankheit gibt, die nicht weniger bedeutend sind und deshalb unbedingt bei der rechtlichen Bewertung berücksichtigt werden sollten.
Der Autor Michal Deja, LL.M. ist Doktorand am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Europarecht der Europa-Universität in Frankfurt an der Oder. Er ist außerdem wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Zeitschrift für Beamtenrecht.
Mehr auf LTO.de:
Bayerisches Beamtenrecht: Rechtsgeschichte statt Ruhestand
VG Düsseldorf: Brustkrebs von Lehrerin keine Berufskrankheit
Michal Deja, Beihilfezahlung für Viagra: . In: Legal Tribune Online, 01.02.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2454 (abgerufen am: 17.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag