Kleinteilige Verbote sollen die Ausbreitung von Corona bremsen. Hoteliers können sie kaum umsetzen, Bürger fürchten um ihre Herbstferien. Darf der Staat Hoteliers belasten, um den Bürgern die Lust am Reisen zu nehmen, fragt Stephan Vielmeier.
Nach ruhigen Sommermonaten hat Corona die Republik wieder im Griff; im Wochentakt verkündet die Politik neue Beschränkungen. Ein Element dabei: Beherbergungsverbote, also das Verbot für Hoteliers, Menschen aus innerdeutschen Risikogebieten übernachten zu lassen.
Die rechtspolitische Kritik an den Beherbergungsverboten ist bekannt: Wöchentlich wechselnde Beschränkungen sind selbst Spezialisten nicht mehr im Detail bekannt. Geschäftsreisen waren sogar in der Corona-Hochzeit im Frühjahr erlaubt. Hoteliers müssen täglich amtlich verkündete Postleitzahlenkolonnen mit ihren Buchungen abgleichen und Ausnahmeberechtigungen der Gäste prüfen. Bürger haben das Nachsehen, wenn wenige Tage vor ihrem Urlaub ihre Heimat zum Risikogebiet wird.
Nicht zuletzt ist der Föderalismus herausfordernd; NRW-Ministerpräsident Armin Laschet weist zu Recht auf die höhere Corona-Mathematik hin, dass der Mainzer in Köln übernachten darf, aber nicht umgekehrt, obwohl beide Städte Risikogebiet gemäß RKI sind. Sogar das BVerfG ist betroffen, die Verhandlung im Organstreitverfahren zum Freihandelsabkommen Ceta am heutigen Dienstag wurde von 10 auf 12 Uhr verschoben, weil Berliner Beamte nicht in Karlsruhe übernachten dürfen. Praxistipp: In Lauterbourg (Frankreich) darf sogar der Berliner weiter übernachten – samt quarantänefreier Rückreise. Zumindest Stand heute.
Ist "Vergrämen" der Bürger ein legitimes staatliches Instrument?
Ein Grund für das Unbehagen gegen das Beherbergungsverbot mag sein, dass es sich um eine atypische Maßnahme handelt. Der Staat verbietet kein Verhalten, das er für gefährlich hält; er will vielmehr durch ein Verbot mittelbar ein anderes Verhalten reglementieren. Niemand behauptet, die Übernachtung im Hotel selbst stelle eine relevante Corona-Gefahr dar – zumindest folgt das nicht aus der Studie zum Infektionsumfeld des RKI.
Ziel des Beherbergungsverbots ist es vielmehr, innerdeutsches Reisen zu erschweren. Indes scheuen sich die Bundesländer vor Einreise- oder gar Ausreiseverboten oder entsprechenden Quarantänepflichten, die unmittelbar das regeln würden, was man nun mittelbar erreichen will. Eine harte Ausgangssperre kannte bisher (fast) nur Bayern und selbst dort will man zu ihr nicht zurück, nachdem der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) sie letztlich für rechtswidrig gehalten hat (Beschl. v. 12.05.2020, Az. 20 NE.969).
Warum nicht gleich eine nächtliche Minirockpflicht?
Darf der Staat also auch Verhalten verbieten, das nicht unmittelbar selbst gefährlich ist, aber vielleicht mittelbar Einfluss auf gefährliches Verhalten hat? Oft wird von Kritikern vorschnell behauptet, die Maßnahmen seien "offensichtlich unverhältnismäßig". Dieses Verdikt verkennt, dass die Gerichte im IfSG großzügig mit dem Handeln der Exekutive sind.
Grundlage fast aller Corona-Beschränkungen ist § 28 Abs. 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG), die seuchenpolizeiliche Generalklausel. Hiernach ist lediglich erforderlich, dass "Kranke, Krankheitsverdächtige, […] festgestellt" werden. Sodann darf die Behörde, so das vorherrschende Verständnis der Verwaltungsgerichte, alle verhältnismäßigen Maßnahmen ergreifen.
Erster Prüfungspunkt: ist ein Beherbergungsverbot geeignet zur Corona-Bekämpfung? Meines Erachtens nicht – das Verbot eines ungefährlichen Verhaltens ist schon untauglich. Anders sieht diese Rechtsfrage ausdrücklich der BayVGH in seiner Münchner Alkoholverbotsentscheidung (Az. 20 CS 20.1962): Geeignet sei, was irgendwie nutzen kann – und sei es mittelbar, weil die Menschen ohne Alkohol womöglich früher nach Hause gehen und so Ansteckungen vermieden werden. Hiernach wäre auch das Beherbergungsverbot geeignet, weil es das Reisen irgendwie verleidet.
Diese Rechtsprechung überzeugt indes nicht: Auch eine Pflicht, nach 20 Uhr Miniröcke zu tragen, würde bei herbstlichen Temperaturen den Bürgerinnen den Aufenthalt im Freien erschweren – und trotzdem wird man sie nicht für geeignet halten können. Es fehlt an einem hinreichend nachweisbaren Einfluss – und einem tauglichen Gesamtkonzept.
Sind Beherbergungsverbote nur in manchen Bundesländern erforderlich?
Zweiter und dritter Prüfungspunkt: ist ein Beherbergungsverbot erforderlich und angemessen zur Corona-Bekämpfung – oder gibt es mildere Mittel? Mit Recht betont etwa der BayVGH: Weil der Tatbestand der § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG so weit ist, müssen besonders strenge Anforderungen an die Erforderlichkeit gestellt werden.
Auffällig: Nicht alle Bundesländer halten Beherbergungsverbote für erforderlich. Gerade Bundesländer mit niedrigen Infektionszahlen schotten sich ab, während andere Bundesländer die Beherbergung nicht regeln oder innerhalb des Bundeslandes unbegrenzt lassen. Wieso ist in Mecklenburg-Vorpommern erforderlich, was in NRW trotz viel höherer Zahlen nicht erforderlich ist? Der Saarländische VerfGH hat seinerzeit u.a. mit diesem Argument die dortige Ausgangsperre gekippt – weil es keine Sondererkenntnisse für das Bundesland gab.
Ein isoliertes Beherbergungsverbot ist auch deshalb nicht erforderlich, weil es auf halber Strecke stehenbleibt: Tagesreisen samt Kneipentour oder Altstadtbesuch und Übernachtungen im privaten Umfeld ("bei Oma") bleiben unberührt. Es fehlt ein schlüssiges Gesamtkonzept.
Schließlich schonen unmittelbare Maßnahmen unbeteiligte Dritte: Bei einem Einreiseverbot muss nicht der Hotelier Ausnahmen prüfen, sondern die Behörde. Und der belastete Bürger kann sich unmittelbar gegen staatliche Maßnahmen wehren, anstatt wie beim Beherbergungsverbot "hilflos" zu sein, weil nur der Hotelier in Spezialgrundrechten betroffen ist, während für den potenziellen Gast (wenn überhaupt) ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit vorliegt
Die RKI-Zahlen sind als Referenzwert formell untauglich
Schließlich wird ein formeller Aspekt oft übersehen: Einige Bundesländer referenzieren auf die RKI-Zahlen – bei Überschreiten soll die Beschränkung automatisch in Kraft treten. Diese Referenz ist schon deshalb schwierig, weil die RKI-Zahlen veraltet sind – für München werden etwa 75.000 Einwohner im Divisor unterschlagen. Zudem weist der BayVGH nebenbei darauf hin, dass ein Automatismus für den Bürger nicht nachvollziehbar und deshalb rechtswidrig ist.
Gleiches gilt für die Landkreisbetrachtung des RKI. Der BayVGH hat bereits im Juli in seiner ersten Entscheidung zum Beherbergungsverbot darauf hingewiesen, dass nicht alle Orte in Landkreisen gleich betroffen sind, so dass eine wertende Entscheidung der Verwaltung notwendig ist. Kluge Bundesländer schalten deshalb inzwischen eine Bekanntmachung durch die eigenen Behörden dazwischen. Beherbergungsverbote sind also aus formellen und materiellen Gründen rechtswidrig. Die Politik tut klug daran, sie noch in dieser Woche aufzuheben, auch um Entschädigungszahlungen an betroffene Hoteliers zu vermeiden, wenn Gerichte die Maßnahmen außer Vollzug setzen.
Der Autor Dr. Stephan Vielmeier ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Vielmeier Rieble in München. Er hat mehrere erfolgreiche IfSG-Verfahren geführt, unter anderem zum Alkoholverbot München und zu Bayerns erster Demonstration. Hauptberuflich berät er Arbeitgeber im Arbeitsrecht.
Umstrittene Beherbergungsverbote: . In: Legal Tribune Online, 13.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43085 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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