Der BayVerfGH weist ein Prestigeprojekt von Ministerpräsident Markus Söder in die Schranken. Die Klage der Grünen erzielte einen Teilerfolg. Christian Rath war dabei.
Bayern durfte zwar eine eigene Grenzpolizei einrichten, diese darf aber keine grenzpolizeilichen Befugnisse haben. Zu diesem ebenso rätselhaft wie salomonisch klingenden Urteil kam am Freitag der Bayerische Verfassungsgerichtshof (VerfGH) in München. Das Urteil beendet einen Streit, der aus einer Zeit stammt, als Markus Söder noch kein Bienenversteher war, sondern sich als strammer Konservativer gab.
Eigentlich sind die Grenzkontrollen zwischen den EU-Staaten ja abgeschafft. Allerdings wurden Ende 2015 zwischen Bayern und Österreich mit Blick auf den Flüchtlingsandrang wieder vorübergehende Grenzkontrollen eingeführt, die bis heute immer wieder verlängert wurden. Wegen der Rolle von Grenzen bei der Migrationskontrolle ist Grenzschutz aus konservativer Sicht ein identitätsstiftendes Thema.
Bayerischer Sonderweg
Für den Grenzschutz ist in Deutschland die Bundespolizei zuständig, die bis 2005 Bundesgrenzschutz hieß. Bayern hat 2018 jedoch als erstes und einziges Bundesland eine eigene bayerische Grenzpolizei eingeführt. Der damals neue Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte dies gleich in seiner ersten Kabinettssitzung im März 2018 an. Im Juli 2018 nahm die neue Grenzpolizei ihren Dienst auf - als Teil der Landespolizei mit eigenem Abzeichen. In Bayern hat Deutschland 1200 km Grenze zu Österreich und Tschechien.
Die zunächst 500 Beamten der Bayerischen Grenzpolizei wurden nicht neu eingestellt, sondern umgruppiert. Sie waren bisher schon in der Schleierfahndung der Landespolizei tätig, also in der grenznahen Fahndung im Korridor von 30 Kilometern zur Grenze. Sie sollen bis 2023 auf 1.000 Beamte aufgestockt werden. Derzeit gibt es in Bayern rund 750 Grenzpolizisten.
Söder knüpfte an eine alte Tradition an. Schon von 1946 bis 1998 gab es eine bayerische Grenzpolizei - als Symbol der bayerischen Staatlichkeit. Als jedoch 1995 Österreich der EU beitrat, wurde die Grenzpolizei als eigenständiger Verband aufgelöst und in die Landespolizei integriert.
Die Wieder-Einführung der Bayerischen Grenzpolizei war 2018 ein hochpolitischer Akt. Es war der Sommer, in dem die CSU offen gegen Kanzlerin Merkels Flüchtlingspolitik rebellierte und die Zurückweisung fast aller Flüchtlinge an der Grenze forderte. Söder wollte sich vor der bayerischen Landtagswahl im Herbst 2018 vor allem mit konservativen Positionen profilieren. Hierzu gehörte auch eine Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) und die Vorgabe, dass im Eingangsbereich jeder Landesbehörde ein Kreuz hängen muss.
Schon Seehofer stoppte Söder
Dass nun aber die bayerische Grenzpolizei im Alleingang die bayerischen Grenzen schließt, verhinderte ausgerechnet der damalige CSU-Chef Horst Seehofer. Als Bundes-Innenminister ist er nämlich auch für die Bundespolizei zuständig. Im Juli 2018 stellte er in einer Vereinbarung mit Bayern klar, dass die bayerische Grenzpolizei "nur auf Anforderung oder mit Zustimmung" der Bundespolizei eigene Grenzkontrollen durchführen kann. Für Zurückweisungen von Ausländern soll ausschließlich die Bundespolizei zuständig sein.
Die bayerischen Grünen klagten 2019 dennoch gegen die weitergehenden Änderungen im bayerischen Polizeirecht. Konkret gab es eine abstrakte Normenkontrolle (die in Bayern "Meinungsverschiedenheit" heißt") der grünen Landtagsfraktion und eine Popularklage der Fraktionsvorsitzenden Katharina Schulze. Vertreten wurden die Grünen vom Regensburger Rechtsprofessor Thorsten Kingreen.
Name ja, Befugnisse nein
Beim bayerischen Verfassungsgerichtshof bekamen die Kläger nun teilweise Recht (Urt. v. 28.08. 2020, Az. Vf. 10-VIII-19). Zunächst entschieden die sieben Richter unter Vorsitz von Gerichtspräsident Peter Küspert allerdings, dass Bayern durchaus die eigene Grenzpolizei wiedereinrichten durfte. Artikel 5 des Polizeiorganisationsgesetzes (POG) verstoße nicht gegen die bayerische Landesverfassung. Es handele sich hier nur um eine polizeiinterne Zuständigkeitsverteilung, mit der keine neuen Befugnisse geschaffen würden. Die Schleierfahndung sei gem. Artikel 13 Abs. 1 Nr. 5 Polizeiaufgabengesetz (PAG) bereits eindeutig eine Aufgabe der Landespolizei.
Allerdings durfte der bayerische Landtag der bayerischen Grenzpolizei keine eigenständigen grenzpolizeilichen Befugnisse zuweisen. Denn für den Grenzschutz habe der Bund gem. Art 93 Abs. 1 Nr. 5 Grundgesetz (GG) die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz. Das eher CSU-freundliche bayerische Verfassungsgericht konnte an diesem Punkt kaum anders entscheiden, denn das Bundesverfassungsgericht hatte bereits Ende 2018 in seiner Entscheidung zur Kfz-Kennzeichenfahndung (Beschl. v. 18. Dez. 2018, Az. 1 BvR 142/15; Rz 57) festgestellt, dass Bayern keine Gesetze zum Grenzschutz beschließen darf.
Artikel 29 PAG ist deshalb nichtig, stellte Richter Küspert fest. Eine Norm, die ohne Gesetzgebungskompetenz beschlossen wurde, verstößt nach ständiger Rechtsprechung des BayVerfGH gegen das Rechtsstaatsprinzip der bayerischen Landesverfassung.
Es ändert sich nichts
Das Urteil ist nun zwar peinlich für Söder und die CSU. Praktisch ändert sich aber nichts. Wie schon bisher kümmert sich die bayerische Grenzpolizei vor allem um die Schleierfahndung, Gelegentlich hilft die Grenzpolizei auch der Bundespolizei bei Grenzkontrollen. Dies ist deshalb weiter möglich, weil die bayerische Grenzpolizei dabei keinen Gebrauch von den Befugnissen machen muss, die der BayVerfGH nun für nichtig erklärte. Schon in der Vereinbarung mit Minister Seehofer hatte die Grenzpolizei darauf faktisch verzichtet.
Nach der Verkündung des Urteils im bayerischen Justizpalast sagten sowohl Katharina Schulze, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, als auch Tobias Reiß, der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Fraktion, sie seien sehr zufrieden mit der Entscheidung der bayerischen Verfassungsrichter.
Urteil des BayVerfGH: . In: Legal Tribune Online, 28.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42635 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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