BAG-Urteil zum Betriebsübergang: Nicht jede Abteilung ist auch ein Betriebsteil

Dr. Erwin Salamon

20.10.2011

2009 hatte der EuGH dem BAG in punkto Bewahrung der organisatorischen Selbständigkeit von Betriebsteilen klar widersprochen. Nun entschieden die Bundesrichter abschließend den Fall des Ingenieurs Dietmar Klarenberg, der nach der Übernahme seiner Abteilung durch eine andere Firma entlassen worden war. Warum es dabei letztlich gar nicht auf den EuGH ankam, erklärt Erwin Salamon.

Die Revisionsentscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Fall "Klarenberg" sollte Klarheit schaffen, inwieweit durch geschickte Gestaltungen die Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs gemäß § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) weiterhin vermieden werden können – tatsächlich aber lässt das Urteil die Umsetzung der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) offen.

Nach Auffassung der Erfurter Richter handelte es sich bei den im konkreten Fall übertragenen Betriebsmitteln schon nicht um einen Betriebsteil (Urt. v. 13.10. 2011, Az. 8 AZR 455/10). Damit stellte sich die vom EuGH behandelte Frage einer fortbestehenden organisatorischen Selbstständigkeit beim Erwerber überhaupt nicht.

LAG Düsseldorf wertete BAG-Rechtsprechung als europarechtswidrig

Entscheidend für den Anwendungsbereich des § 613a BGB ist, ob ein Betrieb oder Betriebsteil auf ein anderes Unternehmen übergeht. Dafür muss eine bereits beim veräußernden Unternehmen hinreichend abgrenzbar strukturierte und selbstständige wirtschaftliche Einheit feststellbar sein, die unter Wahrung ihrer Identität auf ein anderes Unternehmen durch Rechtsgeschäft übertragen wird.

Nach bisher ständiger Rechtsprechung des BAG war ein Betriebsteilübergang ausgeschlossen, wenn ein Betriebsteil vollständig in die deutlich größere Organisationsstruktur eines anderen Unternehmens eingegliedert wird. Im Fall Dietmar Klarenberg war umstritten, ob das Arbeitsverhältnis des gelernten Ingenieurs im Wege des Betriebsteilübergangs auf ein anderes Unternehmen übergegangen war. Die andere Firma hatte einzelne materielle und immaterielle Betriebsmittel sowie vier von 13 Arbeitnehmern der Abteilung übernommen, die Klarenberg leitete. Nach der Übernahme fanden sich die bisherigen Strukturen dieser Abteilung allerdings nicht wieder.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf hatte in der Abteilung einen Betriebsteil gesehen, dessen wesentliche materielle sowie immaterielle Betriebsmittel auf den Erwerber übertragen wurden. Allerdings stellte die Abteilung nach der Übernahme keine organisatorisch abgrenzbare Einheit im Sinne der BAG-Rechtsprechung mehr dar. Die Düsseldorfer Richter hielten indessen mit Blick auf Gestaltungs- und damit Missbrauchsmöglichkeiten die Rechtsprechung zum Ausschluss des Betriebsteilübergangs bei vollständiger Eingliederung in eine deutlich größere Organisationsstruktur für europarechtswidrig und riefen den EuGH an.

EuGH-Urteil führte in der Praxis zu Unklarheiten

Der EuGH teilte die Bedenken des LAG: Ein Betriebsteilübergang kann auch dann vorliegen, wenn der übertragene Betriebsteil seine organisatorische Selbstständigkeit verliert. Allerdings muss laut den Luxemburger Richtern die "funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren beibehalten bleiben und sie es dem Erwerber erlauben, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen".

Infolge dieser Entscheidung kam es in der arbeitsrechtlichen Praxis zu erheblichen Unklarheiten über die Bedeutung dieser weiteren Voraussetzung. Entsprechend gespannt erwartete man eine Klarstellung durch das BAG, nachdem das LAG im Fall "Klarenberg" einen Betriebsteilübergang angenommen hatte.

Die Erfurter Richter entschieden nun aber, ohne dass es auf die vom LAG aufgeworfene Vorlagefrage an den EuGH überhaupt ankam: Die Abteilung stelle, soweit sie nur punktuell übertragen worden sei, nicht einmal einen übergangsfähigen Betriebsteil im Sinne des § 613 a BGB dar.

Änderung der Rechtsprechung nur eine Frage der Zeit

Entscheidend war für das BAG, dass die übertragenen einzelnen Betriebsmittel sowie vier Arbeitnehmer bereits vor der Übertragung keinen Betriebsteil darstellten. Es handele sich nicht um eine organisierte Gesamtheit, die ausreiche, um die für die wirtschaftliche Tätigkeit dieses Arbeitgebers charakteristischen Leistungen ohne Inanspruchnahme anderer wichtiger Betriebsmittel zu erbringen.

Damit präzisiert das BAG seine Anforderungen an den Betriebsteilbegriff. Für die Bewertung eines Betriebsteils soll es auf die übertragenen Betriebsmittel und deren Einsatzbereitschaft ankommen.

Aber noch ein Weiteres zeigt der Fall: Das LAG schreibt über den EuGH zwar Rechtsgeschichte – mit der Folge, dass das BAG zukünftig in Fällen, in denen es wirklich darauf ankommt, zur Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung gezwungen ist. Insoweit steht eine Klarstellung der von Luxemburg aufgestellten Voraussetzungen weiterhin aus. Allerdings wird anhand des Klarenberg-Falls auch deutlich, dass voreilige Vorlagebeschlüsse zum EuGH in Fragen, die letztlich nicht entscheidungserheblich sind, für die Parteien des Rechtsstreites "Steine statt Brot" sind, da sie einen Rechtstreit immens verzögern.

Der Autor Dr. Erwin Salamon ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der multidisziplinären Sozietät Esche Schümann Commichau in Hamburg. Er berät in allen Fragen des kollektiven und Individualarbeitsrechts, wobei ein Schwerpunkt in der Begleitung von Umstrukturierungen liegt.

 

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Zitiervorschlag

BAG-Urteil zum Betriebsübergang: . In: Legal Tribune Online, 20.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4606 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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