2/2: Dem LAG reichte die normative Kraft des Faktischen
In dem Rechtsstreit, der am Dienstag vor dem BAG endete, ging es am Ende nur noch darum, ob die Behauptungen der Klägerin zutrafen, sie sei eine gute Mitarbeiterin gewesen. Da dies zwischen den Parteien streitig war, hätte das LAG also Beweis erheben müssen.
Das Gericht der Vorinstanz verhalf der Klägerin aber trickreich ohne Beweisaufnahme zu der von ihr begehrten guten Gesamtbewertung. Dazu berief es sich auf zwei Studien, welche durch Untersuchung von insgesamt 1.802 Arbeitszeugnissen zu dem Ergebnis kamen, dass statistisch gesehen die meisten Zeugnisse mit guten oder sehr guten Gesamtbewertungen erteilt wurden. Nach Ansicht der Richter sei wegen dieser durch die Studien belegten Praxis darauf abzustellen, ob eine befriedigende Leistungsbewertung nach dem heutigen Verständnis des Wirtschaftslebens noch als durchschnittliche Beurteilung angesehen werden kann. Da 87,3 Prozent der 2011 ausgewerteten Zeugnisse beziehungsweise 68,3 Prozent der 2010 ausgewerteten Zeugnisse gute oder sehr gute Bewertungen enthalten, nahm das LAG dies zum Anlass, eine gute Leistungsbewertung als statistischen Durchschnitt anzusehen.
Insoweit konsequent erlegte das Gericht dem Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für eine unterdurchschnittliche Bewertung auf, die nach seiner Ansicht damit schon bei einer befriedigenden Bewertung vorlag. Dieser sei der Arbeitgeber aber nicht nachgekommen, so dass dem Antrag der Klägerin auf eine gute, nach dieser Ansicht nun durchschnittliche Bewertung ohne Beweisaufnahme stattgegeben wurde.
BAG: Viele Gefälligkeitszeugnisse ändern nicht die Rechtslage
Die LAG-Richter waren sich darüber im Klaren, dass sie mit dieser Entscheidung wohl nicht auf der bisherigen Linie des BAG lagen, denn sie ließen die Revision dorthin zu. Das Bundesgericht machte in seinem am Dienstag verkündeten Urteil die Berufung auf die normative Kraft des Faktischen aber nicht mit. Ob die in den Studien beurteilten Arbeitnehmer auch tatsächlich entsprechende Leistungen erbracht hätten, sei nicht feststellbar.
Der Senat bemängelte, dass den Studien möglicherweise viele Gefälligkeitszeugnisse zugrunde lagen, die dem Wahrheitsgebot des Zeugnisrechts nicht entsprächen. Einen Gleichbehandlungsanspruch in der Unwahrheit gebe es im Zeugnisrecht aber genauso wenig wie einen Anspruch auf ein Gefälligkeitszeugnis. Damit erteilte es einer statistisch belegten Praxis auch für die Zukunft eine Absage.
Der Senat blieb damit bei seiner Rechtsprechung, nach der die Nulllinie bei der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bei einem befriedigend als allgemein anerkannter Durchschnittsnote liegt. Damit bleibt es bei dem Rechtsanspruch der Klägerin auf ein wahres Zeugnis.
Überdurchschnittliche Leistungen hatte aber auch das LAG nicht festgestellt. Konsequent verwies das BAG den Rechtsstreit daher zur Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Diese wird nun, gegebenenfalls durch eine Beweisaufnahme, klären müssen, ob die Klägerin tatsächlich die von ihr behaupteten überdurchschnittlichen Leistungen gezeigt hat.
Rein kosmetische Verbesserung hätte niemandem geholfen
Die Zahnarzthelferin wird also noch eine Weile auf ihr Zeugnis warten müssen. Frühestens 2015, nach erneuter Entscheidung des LAG, kann sie hoffen, das letztlich verbindliche Abschlusszeugnis zu erhalten, also mehr als vier Jahre nach ihrem Ausscheiden. Die Lücke, die in ihrem Lebenslauf entstanden ist, wird für die Arbeitnehmerin wohl einiges mehr an Rückfragen nach sich ziehen als das Zeugnis allein.
Da die Rechtsprechung des LAG Berlin bisher keine Zustimmung durch andere Arbeitsgerichte gefunden hat, ist damit zu rechnen, dass die Arbeitsgerichte der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ohne Wenn und Aber folgen werden.
Für Arbeitnehmer ist die Entscheidung verkraftbar, denn sie führt zum einen zu keiner Verschlechterung der bisherigen Rechtslage. Zum anderen hätte die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg nur zu einer kosmetischen Verbesserung von Zeugnissen geführt. Durch Gefälligkeitszeugnisse wird das Arbeitszeugnis in der Praxis ohnehin bereits deutlich entwertet. Die quasi selbstreferenzielle Bezugnahme auf die statistische Lage würde diesen Trend weiter verstärken. Wenn am Ende alle durchschnittlichen Zeugnisse schon gut wären und nur die überdurchschnittlichen sehr gut, wäre für alle Beteiligten nichts gewonnen.
Der Autor Michael W. Felser ist als Rechtsanwalt insbesondere auf das Arbeitsrecht spezialisiert. Zudem ist er Verfasser einiger Fachbücher, schreibt für Fachzeitschriften und Rechtsrubriken in Publikumszeitschriften und gibt regelmäßig Interviews in den Medien für arbeitsrechtliche Themen.
BAG zur Bewertung in Arbeitszeugnissen: . In: Legal Tribune Online, 19.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13855 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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