Aufhebungsvertrag unter Druck unterzeichnet: Ab wann wird es unfair?

Gastbeitrag von Prof. Dr. Michael Fuhlrott

24.02.2022

Ein Aufhebungsvertrag kann für Arbeitnehmer eine attraktive Option sein. Setzt der Arbeitgeber sie vor Unterzeichnung aber massiv unter Druck, verletzt das das Gebot fairen Verhandelns. Michael Fuhlrott zu einer aktuellen BAG-Entscheidung.

Auch wenn aussagekräftige Statistiken fehlen, dürften die meisten arbeitgeberseitig initiierten Beendigungen von Arbeitsverhältnissen nicht im Wege einer Kündigung, sondern vielmehr durch einen Aufhebungs- bzw. Abwicklungsvertrag enden. 

Für beide Arbeitsvertragsparteien bringt ein solches Vorgehen regelmäßig Vorteile: Das Unternehmen hat Sicherheit, dass sich um die Wirksamkeit einer ansonsten notwendigen Kündigung kein Rechtsstreit mehr anschließt und entgeht damit etwaigen Annahmeverzugslohnansprüchen. Die Stelle kann zudem schnell neu besetzt werden, ein bestehender Betriebsrat muss nicht beteiligt werden und etwaige behördliche Genehmigungen für die Kündigung sondergeschützter Arbeitsverhältnisse müssen ebenfalls nicht eingeholt werden. 

Zudem können alle offenen Punkte wie noch zu zahlende Gehaltssummen oder die Höhe von Bonuszahlungen geregelt werden. Der Arbeitnehmer dagegen lässt sich seine Unterschrift unter einen Aufhebungsvertrag regelmäßig durch eine Abfindung versilbern. Und: Wer möchte schon gerne in dem Wissen weiterarbeiten, nicht mehr erwünscht zu sein? Na eben.

Pacta sunt servanda vs. Gebot fairen Verhandelns 

Im Idealfall gehen die Parteien nach einer einverständlich vereinbarten Trennung ihre Wege künftig getrennt, durch den Aufhebungsvertrag sind dabei alle bis dahin offenen Punkte abschließend geklärt. 

Wenn sich eine Partei aber nach den Aufhebungsvertragsverhandlungen über den Tisch gezogen fühlt und im Nachhinein bei ihr Vertragsreue einsetzt, wird sie versuchen, den nunmehr als nachteilig empfundenen Vertrag zu beseitigen. Neben der Möglichkeit der Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung (§§ 123 Abs. 1, 2. Alt, 142 Abs. 1 BGB) rückt die Rechtsprechung in jüngeren Entscheidungen (u.a. LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 19.5.2020, Az.: 5 Sa 173/19) nach einer Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 2019 (Urt. v. 7.2.2019, Az.: 6 AZR 75/18) zunehmend auch einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns in den Raum.

Unerwarteter Aufhebungsvertrag als unfaires Vorgehen?

So war die Konstellation auch im jüngst vom Bundesarbeitsgericht (Urt. v. 24.02.2022, Az.: 6 AZR 333/21) verhandelten Fall einer Arbeitnehmerin, die als Teamkoordinatorin eines Verkaufsteams im Bereich Haustechnik seit April 2015 bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt war. Laut ihrem Arbeitsvertrag galt eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Monatsende. Zudem war auch ihr Ehemann im Unternehmen beschäftigt. 

An einem Novembermittag 2019  bat der Geschäftsführder der später klagenden Arbeitnehmerin sie völlig unerwartet zu einem Gespräch, das in dessen Büro stattfand. Zugegen war auch der spätere Prozessbevollmächtigte des Unternehmens, der sich als "Rechtsanwalt für Arbeitsrecht" gegenüber der Arbeitnehmerin vorstellte. Im darauf folgenden Gespräch warfen die beiden Männer der Frau sodann vor, in der Vergangenheit unberechtigt Einkaufspreise für Waren in der EDV des Unternehmens abgeändert bzw. absprachewidrig vor dem Verkauf reduziert zu haben. Dass diese Vorwürfe Inhalt des Gesprächs werden sollten, wusste die Frau vorher nicht. 

Im Gesprächsverlauf legten Chef und Anwalt der Mitarbeiterin dann gleich einen vorbereiteten Aufhebungsvertrag vor, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch zu Ende November 2019 vorsah. Das Arbeitsverhältnis sollte zudem bis dahin noch regulär abgerechnet werden, der Dienstwagen durfte ebenfalls noch bis zum Ende des Monats privat genutzt werden. 

Hinzu kamen aber noch weitere Klauseln: So sah der Aufhebungsvertrag die Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses vor und er sollte die Arbeitnehmerin weiterhin zum Stillschweigen über vertrauliche Angelegenheit verpflichten. Eine Abfindung war hingegen nicht vorgesehen, dafür aber eine umfassende Erledigungsklausel aller wechselseitigen Ansprüche. 

Nach einer rund zehnminütigen Gesprächspause als "Bedenkzeit", bei der die beiden Männer und die Frau aber noch immer im selben Raum saßen, unterzeichnete die Arbeitnehmerin schließlich den ihr vorgelegten Vertrag. Im Anschluss war der Ehemann der später klagenden Frau an der Reihe, der nach einem ebenfalls auf diese Art und Weise geführten Gespräch einen Aufhebungsvertrag unterschrieb.

Vertragsreue vs. widerrechtliche Drohung

Eine Woche später reute die Arbeitnehmerin ihre Unterschrift. Mit anwaltlichem Schreiben gleich Ende November 2019  erklärte sie die Anfechtung des Aufhebungsvertrags. Sie habe diesen nur unterzeichnet, da man ihr widerrechtlich mit einer fristlosen Kündigung, einer Strafanzeige und "sonstigen negativen Weiterungen" gedroht habe. Nur aufgrund dieser Umstände habe sie den Vertrag unterzeichnet. 

Das Unternehmen reagierte umgehend und sprach unmittelbar nach Anfechtungserklärung eine fristlose Kündigung aus. Die Frau trug im Laufe der Gerichtsverfahren durch die Instanzen immer wieder vor, dass sie sich in dem Gespräch unter Druck gesetzt gefühlt habe. Die ihr gemachten Vorhaltungen habe sie teilweise gar nicht verstanden. Sie habe sich bemüht, die ihr gestellten Fragen so gut es ging zu beantworten. Ihrer Bitte um Bedenkzeit und Einholung anwaltlichen Rats habe das Unternehmen nicht entsprochen. Vielmehr habe man ihr gesagt, dass ein Verlassen des Raumes, sei es auch nur zum Toilettengang, dazu führte, dass man ihr den Aufhebungsvertrag dann nicht mehr anböte. Der Anwalt habe ihr dazu erklärt, dass ihre Akte dann bei der Staatsanwaltschaft landen und man ihr fristlos kündigen werde. 

Das beklagte Unternehmen hielt dagegen: Die Vorwürfe gegen die Mitarbeiterin seien massiv und berechtigt, die Lieferpreise durch die Arbeitnehmerin mehrfach grundlos und abstimmungswidrig reduziert worden. Drohungen mit einer Strafanzeige habe es nicht gegeben. Der angebotene Aufhebungsvertrag sei Ziffer für Ziffer vorgelesen worden. Die Arbeitnehmerin habe dann um eine Nachdenkzeit gebeten, die ihr gewährt worden sei. Anschließend habe sie mitgeteilt, sie ziehe eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor und habe den Vertrag unterzeichnet.

ArbG und LAG: Streit über wirksame Aufhebung

Das erstinstanzlich erkennende Arbeitsgericht (ArbG Paderborn, Urt. v. 03.08.2020, 2 Ca 1619/19) gab der klagenden Arbeitnehmerin nach der Beweisaufnahme Recht. Die in Aussicht gestellte fristlose Kündigung und die avisierte Erstattung einer Strafanzeige habe es zur Überzeugung des Gerichts so gegeben. Diese seien widerrechtlich gewesen, da ein verständiger Arbeitgeber eine Strafanzeige und eine fristlose Kündigung nicht habe ernsthaft in Erwägung ziehen dürfen. 

Auch sei das Gebot fairen Verhandelns verletzt, da die Frau einer Überrumpelungssituation ausgesetzt worden sei. Diese werde dadurch noch verstärkt, dass die Arbeitgeberin einen Rechtsanwalt zum Gespräch hinzugezogen habe, durch den die Anschuldigungen noch ein höheres Gewicht erhalten hätten. 

Das durch den Arbeitgeber gegen diese Entscheidung angerufene Landesarbeitsgericht (LAG Hamm, Urt. v. 17.05.2021, 18 Sa 1124/20) sah die Sache hingegen anders. Drohungen mit einer Strafanzeige oder einer fristlosen Kündigung seien nicht widerrechtlich, wenn erhebliche Pflichtverletzungen im Raum stünden. Es lägen nämlich hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die Arbeitnehmerin wegen Untreue bzw. versuchten Betrugs strafbar gemacht habe. Eine Unwirksamkeit eines Vertrags wegen eines Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns sei nur auf besondere Ausnahmefälle beschränkt. Eine derartige besonders rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der Frau habe vorliegend nicht bestanden. 

BAG: Keine Verletzung des Gebots fairen Verhandelns

So sahen dies im Ergebnis auch die Bundesarbeitsrichter (Urt. v. 24.02.2022, Az.: 6 AZR 333/21). Ein Aufhebungsvertrag könne zwar unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen und damit unwirksam sein. Ob dies der Fall sei, müsse aber anhand der Gesamtumstände der Verhandlungssituation im Einzelfall entschieden werden – so die recht pauschalen Ausführungen der gerichtlichen Pressemitteilung, die bis zur Veröffentlichung dieses Artikels allein vorliegt. 

Nur der Umstand, dass die Annahme des Aufhebungsvertrags lediglich sofort möglich sei, begründe für sich genommen aber noch nicht die Annahme, dass solche besonderen Gesamtumstände vorgelegen haben. Dies gelte selbst dann, wenn das angedrohte “Platzenlassen” des Deals bei Verlassen des Raumes dazu führt dass die Frau keinen Rechtsrat eingeholt und keine weitergehende Bedenkzeit erhalten hat. Vorliegend habe ein verständiger Arbeitgeber nämlich - anders als noch das ArbG – sehr wohl eine Kündigung in Aussicht stellen und eine Strafanzeige in Erwägung ziehen dürfen. Die Entscheidungsfreiheit der Frau sei damit nicht ungebührlich eingeschränkt gewesen. 

Ob das BAG bestimmte Fallgruppen bejaht, in denen eine solche ungebührliche Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit grundsätzlich möglich erscheint, ist der Pressemitteilung nicht zu entnehmen. Da wird man auf die Urteilsbegründung warten müssen. Das Berufen auf die Umstände des Einzelfalls deutet aber darauf hin, dass sich die Richter hier einen weiten Einschätzungsspielraum vorbehalten wollen. Insoweit bleibt aber abzuwarten, ob sich noch weitere Hinweise ergeben werden.

Anfechtung nach allgemeinem Vertragsrecht reicht aus

Wird eine Person durch eine widerrechtliche Drohung in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt, kann eine in dieser Situation abgegebene Willenserklärung nach den allgemeinen Anfechtungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs beseitigt werden. Ein Arbeitnehmer, der dem grundlos auf ihn ausgeübten massiven Druck zur Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrags nachgibt, ist also nicht schutzlos gestellt. 

Hierzu hat das BAG bereits in der Vergangenheit konkrete Leitlinien entwickelt, wann eine solche Situation gegeben ist. Hätte ein verständiger Arbeitgeber eine Kündigung nicht ernsthaft in Betracht gezogen, kann ein Anfechtungsrecht bestehen. Hingegen ist es nicht erforderlich, dass tatsächlich ein wichtiger Kündigungsgrund bestand (vgl. BAG, Urt. v. 15.12.2005, Az.: 6 AZR 197/05). Auch der bloße Zeitdruck allein begründet noch keinen Anfechtungsgrund (BAG, Urt. v. 30.09.1993, Az.: 2 AZR 268/93). 

Erweiterungen dieses Lösungsrechts von einem abgeschlossenen Vertrag bedürfen damit einer besonderen Rechtfertigung. Es ist richtig, dass das BAG die von ihm entwickelte Rechtsfigur des Gebots des fairen Verhandelns daher sehr restriktiv einsetzt. Im Vordergrund steht die Vertragstreue - und danach muss man grundsätzlich auch ein Rechtsgeschäft gegen sich gelten lassen, dass man ex post womöglich anders bewertet und nunmehr gerne rückgängig gemacht hätte.

Zitiervorschlag

Aufhebungsvertrag unter Druck unterzeichnet: . In: Legal Tribune Online, 24.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47643 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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