Der Equal Pay-Grundsatz setzt der Privatautonomie Grenzen: Das Gebot zur gleichen Vergütung von Männern und Frauen für gleiche oder gleichwertige Arbeit kann nicht durch geschickte Gehaltsverhandlungen umgangen werden, so das BAG.
Nach den grundlegenden Entscheidungen aus den Jahren 2020 (Urt. v. 25.06.2020, Az. 8 AZR 145/19) und 2021 (Urt. v. 21.01.2021, Az. 8 AZR 488/19) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Konturen des Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) nachgeschärft und klargestellt, dass Verhandlungsgeschick allein kein geeignetes objektives Kriterium zur Rechtfertigung einer Entgeltungleichheit zwischen Männern und Frauen darstellt (Urt. v. 16.02.23, Az. 8 AZR 450/21).
Geklagt hatte eine im Vertrieb beschäftigte Außendienstmitarbeiterin, welche im Vergleich zu ihren zwei männlichen Kollegen auf derselben Position weniger verdiente. Sie verlangte die Zahlung der monatlichen Differenzbeträge sowie einer einmaligen Entschädigung.
Zur Ausgangslage
Als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb eines Unternehmens der Metall- und Elektroindustrie verdiente die Klägerin anfangs 3.500 Euro brutto, nebst einer seit dem 1. November 2017 geltenden und vom erzielten Umsatz abhängige Erfolgskomponente. Ab dem 1. August 2018 richtete sich ihre Vergütung nach einem Haustarifvertrag; die für die Tätigkeit der Klägerin maßgebliche Entgeltgruppe sah ein Grundentgelt in Höhe von 4.140,00 Euro brutto vor. Für die Jahre 2018 bis 2020 sah der Tarifvertrag eine Regelung vor, nach dem die Anpassung bei 120,00 Euro brutto gedeckelt war. In Anwendung dieser Bestimmung zahlte die Beklagte der Klägerin ab dem 1. August 2018 ein Grundentgelt in Höhe von 3.620,00 Euro brutto, das in jährlichen Schritten weiter angehoben werden sollte.
Neben der Klägerin waren als Außendienstmitarbeiter im Vertrieb der Beklagten zwei männliche Arbeitnehmer beschäftigt, einer davon seit dem 1. Januar 2017. Auch diesem Arbeitnehmer hatte die Beklagte ein Grundgehalt in Höhe von 3.500,00 Euro brutto angeboten, was dieser jedoch ablehnte. Er verhandelte mit der Beklagten für die Zeit bis zum Einsetzen einer zusätzlichen leistungsabhängigen Vergütung, das heißt für die Zeit bis zum 31. Oktober 2017 eine höhere Grundvergütung in Höhe von 4.500,00 Euro brutto. Dem Mitarbeiter wurde zudem in Aussicht gestellt, als Ersatz für eine ausscheidende Kollegin später als "Leiter Vertrieb Bahntechnik" tätig werden zu können.
Den vertraglichen Vereinbarungen entsprechend zahlte die Beklagte an den Mitarbeiter von 1. Januar 2017 bis 31. Oktober 2017 ein monatliches Grundgehalt von 4.500,00 Euro brutto, ab 1. November 2017 ein monatliches Grundgehalt von 3.500,00 Euro, nebst dem ab diesem Zeitpunkt geltenden erfolgsabhängigen Entgeltbestandteil. Die Beklagte und der Mitarbeiter vereinbarten im Folgenden ab 1. Juli 2018 eine Entgelterhöhung auf monatlich 4.000,00 Euro brutto sowie die Weiterbeschäftigung als "Leiter Vertrieb Bahntechnik/Sprechtechnik/GSM (- R)" und eine neue Regelung der erfolgsabhängigen Gehaltskomponente. Zur Begründung berief sich die Beklagte darauf, dass der Arbeitnehmer einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei.
Ein anderer Kollege, der bereits seit über 30 Jahren bei der Beklagten arbeitete, erhielt als "Leiter Vertrieb Gehäuse- und Kommunikationstechnik", ein außertarifliches Grundgehalt von 4.500 Euro brutto.
BAG folgt den Vorinstanzen nicht
Sowohl das Arbeitsgericht Dresden (Urt. v. 04.10.2019, Az. 5 CA 638/19) als auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Sachsen (Urt. v. 03.09.2021, Az. 1 SA 358/19) sahen in dieser Konstellation keinen Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot. Der zeitgleich mit der Klägerin eingestellte Kollege sei lediglich zu einem höheren Gehalt bereit gewesen, den Job anzunehmen. Das Interesse des Unternehmens an der Mitarbeitergewinnung sei ein objektives Kriterium, das die Gehaltsunterschiede rechtfertige. Es hätten folglich ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht der Klägerin zu deren ungünstigerer Behandlung geführt. Dem widersprach nun das BAG.
Nach Auffassung des BAG hat die Mitarbeiterin einen Anspruch aus Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG auf das gleiche Grundentgelt wie ihr männlicher Kollege. Der Umstand, dass die Klägerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhalten hat als ihr männlicher Kollege, begründe die Vermutung nach § 22 AGG, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt sei. Der Beklagten sei es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Insbesondere könne sich die Beklagte nicht darauf berufen, das höhere Grundentgelt des männlichen Kollegen beruhe nicht auf dem Geschlecht, sondern auf dem Umstand, dass dieser ein höheres Entgelt ausgehandelt habe oder dass er einer besser vergüteten ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt sei.
Im Ergebnis hat das BAG damit klargestellt, dass allein das Verhandlungsgeschick von Beschäftigten keine geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung rechtfertigt. Das BAG setzt der Vertragsautonomie folglich Grenzen.
Darlegungs- und Beweislast bei Equal Pay-Ansprüchen
Im vorliegenden Fall war unstreitig, dass die Vergütung der Klägerin geringer ausfiel als die ihrer vergleichbaren männlichen Beschäftigten auf einer gleichwertigen Position. Streitig war dagegen, ob die Ungleichbehandlung durch objektive Kriterien gerechtfertigt war, mithin nicht im Geschlecht begründet war.
Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Rechtsstreit um Equal Pay richtet sich nach § 22 AGG, der eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vorsieht. Gelingt es dem beziehungsweise der benachteiligten Beschäftigten, Indizien zu beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Folglich muss im Rechtsstreit um gleiches Entgelt für gleiche beziehungsweise gleichwertige Arbeit der oder die benachteiligte Beschäftigte darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass der Arbeitgeber ihm beziehungsweise ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als vergleichbaren Beschäftigten des anderen Geschlechts. Zudem muss er oder sie aufzeigen, die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit zu verrichten, so dass dem ersten Anschein nach eine Benachteiligung nur mit dem unterschiedlichen Geschlecht zu erklären ist.
Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber Beschäftigte verschiedenen Geschlechts mit vergleichbarer Tätigkeit unterschiedlich bezahlt, genügt folglich, um die Vermutung einer unmittelbaren Entgeltbenachteiligung "wegen des Geschlechts" im Sinne von § 22 AGG zu begründen (vgl. bereits BAG, Urt. v. 21.01.2021, Az. 8 AZR 488/19).
Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, muss der Arbeitgeber Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegt, sondern ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben.
Dem beklagten Arbeitgeber ist es im zugrundeliegenden Fall offensichtlich nicht gelungen, die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Ungleichbehandlung zu widerlegen. Aus Sicht des BAG genügte hierfür offenbar weder der Verweis auf ein besseres Verhandlungsergebnis noch das Interesse des Arbeitgebers an der Gewinnung des Arbeitnehmers.
Spannungsfeld zwischen Vertragsfreiheit und Equal Pay
Die Ansicht des BAG überzeugt im Ergebnis. Sie ist nicht weniger als ein Meilenstein auf dem Weg zu echter Entgeltgleichheit und hat enorme praktische Relevanz. Die Vorinstanz stellte noch darauf ab, dass die Beklagte ein legitimes Interesse daran habe, einen neuen Mitarbeiter zu gewinnen und dieses Ziel nicht habe erreicht werden können, hätte die Beklagte dem Mitarbeiter nicht ein höheres Grundgehalt als der Klägerin angeboten. Die Argumentation des LAG beruhte insoweit auf der Erwägung, dass die individuelle Aushandlung von höherem Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit dem objektiven Interesse des Arbeitgebers an der Gewinnung eines Arbeitnehmers diene und somit keine geschlechtsbezogene Diskriminierung darstelle.
Der Grundsatz der Privatautonomie bei Verhandlung und Abschluss von Arbeitsverträgen wird jedoch gerade durch das Gebot der Entgeltgleichheit begrenzt. Dieses Gebot verfolgt das Ziel, die bestehende Lücke zwischen den Gehältern von Männern und Frauen – den sogenannten "Gender Pay Gap" – zu schließen. Dieses Ziel würde jedoch konterkariert, wenn es Arbeitgebern möglich wäre, bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit mit Arbeitnehmern eines Geschlechts individuell ein vergleichsweise höheres Gehalt gegenüber Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts zu verhandeln, ohne dass über das Aushandeln hinaus weitere objektive Differenzierungskriterien ersichtlich sind. Mit der aktuellen Entscheidung verhilft das BAG der Entgeltgleichheit zu effektiver Durchsetzbarkeit.
Man wird bereits bezweifeln dürfen, ob es sich bei der individuellen Aushandlung eines höheren Gehalts um einen "objektiven Faktor" handelt, der zur Widerlegung der Vermutung des § 22 AGG geeignet ist. Studien belegen, dass Frauen ihr Entgelt seltener verhandeln als Männer und zudem schlechtere Verhandlungsergebnisse erzielen. Dies wird zum Teil mit sozialtypischen Verhaltensweisen von Männern und Frauen sowie der subjektiven Wahrnehmung von weiblichen Bewerberinnen durch männliche Verhandlungsführer begründet – beruht also faktisch nicht selten auf geschlechtsspezifischen Gründen.
Darüber hinaus wird man von dem Arbeitgeber, der sich auf ein berechtigtes Interesse an der Besetzung einer offenen Stelle beruft, verlangen müssen, dass er jedenfalls darlegt, dass er die Stelle ohne Gewährung einer vergleichsweise höheren Vergütung nicht in absehbarer Zeit anderweitig hätte besetzen können. Die Beklagte hatte hierzu jedoch gerade nicht weitergehend vorgetragen, wie lange die Stelle bereits unbesetzt war und wie viele weitere Bewerber ein Angebot bisher ablehnten.
Differenzierungen aufgrund objektiver Gründe bleiben zulässig
Gleichwohl darf nicht übersehen werden: Differenzierungen in Bezug auf die Entgelthöhe bleiben selbst zwischen Beschäftigten verschiedener Geschlechter weiterhin zulässig – sie müssen nur objektiv und geschlechtsneutral begründet sein. Hierzu zählen insbesondere Berufserfahrung und Qualifikationen. Die Pressemitteilung des BAG verhält sich nicht dazu, inwieweit auch eine Entgeltungleichheit zwischen der Klägerin und dem "Leiter Vertrieb Gehäuse- und Kommunikationstechnik", der bereits seit 30 Jahren bei der Beklagten beschäftigt war, vorlag. Unabhängig davon, ob dieser mit der Klägerin im zugrundeliegenden Fall nach arbeitsplatzbezogenen Kriterien vergleichbar war, liegt die Vermutung nahe, dass die vergleichsweise höhere Vergütung zulässigerweise jedenfalls aufgrund der ungleich längeren Betriebszugehörigkeit und hiermit verbundenen Berufserfahrung des Beschäftigten gerechtfertigt ist (hierzu bereits BAG, Urt. v. 21.01.2021, Az. 8 AZR 488/19).
Arbeitgeber sind jedenfalls gut beraten, bei unterschiedlich hoher Vergütung für vergleichbare Beschäftigte unterschiedlichen Geschlechts, objektive Differenzierungskriterien zu dokumentieren, die sich nicht allein in einem unterschiedlichen Ergebnis der individuellen Gehaltsverhandlungen erschöpfen. Andernfalls ist eine Gleichbehandlung durch Anpassung der Vergütung nach oben geboten. Zudem lassen sich unbewusste geschlechtsspezifische Differenzierungen und Diskriminierungen durch tarifliche oder betriebliche Vergütungssysteme mit Gehaltsbändern und objektiver Gradingsystematik vermeiden.
Blick nach vorn
Die Entscheidung, die bislang lediglich als Pressemitteilung vorliegt, hat enorme praktische Relevanz für die Frage der Vergütungsgerechtigkeit zwischen Männern und Frauen. Es ist zu erwarten, dass Auskunftsansprüche nach dem EntgTranspG eine Renaissance erleben und sich Leistungsklagen im Falle eines festgestellten Gender Pay Gap häufen werden. Arbeitgeber müssten dann jeweils darlegen, welche objektiven Gründe eine unterschiedliche Vergütung im Einzelfall rechtfertigen.
Mit Spannung ist zudem die schriftliche Urteilsbegründung abzuwarten, aus der sich vermutlich ergeben wird, ob die Entscheidung des BAG lediglich einen Einzelfall betrifft oder die von vielen erhoffte grundsätzliche Bedeutung hat.
Sören Seidel ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS in Hamburg.
Kristina Walter ist Rechtsanwältin und Associate bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS in Hamburg.
Hintergründe und Auswirkungen des Urteils zu Equal Pay: . In: Legal Tribune Online, 17.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51096 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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