BAG zum Nachtzuschlag: Berech­nungs­grund­lage ist der Min­dest­lohn

von Dr. Jochen Keilich, LL.M.

21.09.2017

Muss die Berechnung von Nachtzuschlägen auf Grundlage des Mindestlohns erfolgen? Das BAG meint ja und schließt damit eine weitere Lücke für Arbeitgeber, die Lohnuntergrenze zu umgehen. Jochen Keilich erläutert das Grundsatzurteil.

Die Höhe der Entgeltfortzahlung an Feiertagen bestimmten sich – soweit kein höherer tariflicher oder vertraglicher Vergütungsanspruch besteht – nach § 2 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) i.V.m. § 1 Mindestlohngesetz (MiLoG). Mit dieser Entscheidung vom Mittwoch hat das BAG zu einer wichtigen praktischen Frage Stellung genommen (Urt. v. 20.09.2017, Az. 10 AZR 171/16).

Die klagende Arbeitnehmerin ist bei der beklagten Arbeitgeberin seit 1990 als Montagekraft beschäftigt und Mitglied der IG Metall. Im Wege der Nachwirkung findet auf das Arbeitsverhältnis ein Manteltarifvertrag (MTV) Anwendung, aus dem sich für die Klägerin ein Stundenlohn in Höhe von. sieben Euro brutto ergibt und der unter anderem einen Nachtzuschlag in Höhe von 25 Prozent des Stundenverdienstes vorsieht. Dazu ein Urlaubsentgelt, dass sich nach dem Eineinhalbfachen des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes bemisst, den der Arbeitnehmer in den letzten drei Kalendermonaten vor Beginn des Urlaubs erhalten hat.

Auf dieser Grundlage hatte die Arbeitgeberin für Januar 2015 Lohn und Nachtzuschlag auf Basis eines Stundenverdienstes von sieben Euro brutto in berechnet. In der Lohnabrechnung wurden zu sämtlichen Lohnbestandteilen außer dem Nachtzuschlag auch Urlaubslohn und das in dem MTV festgeschriebene Urlaubsgeld addiert und darüber hinaus ein als "Zuschlag nach dem Mindestlohn" bezeichneter Betrag von 215,65 Euro hinzugerechnet. Das Unternehmen rechnete der Frau das damit gezahlte "Urlaubsgeld" auf ihre Mindestlohnansprüche an. Insgesamt ergab sich so nach dieser Rechnung ein Monatsbruttogehalt in Höhe von 1489,63 Euro und ein Nachtzuschlag von 8,75 Euro für die entsprechend geleisteten fünf Stunden.

Mehr Geld nach dem Mindestlohn

Die Mitarbeiterin begehrte mit ihrer Klage eine Differenzzahlung, deren Höhe sich ergebe, wenn man Nachtzuschlag und die übrigen Lohnbestandteile nach dem zu dieser Zeit geltenden Mindestlohn berechnete. Auch habe das Urlaubsentgelt nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden dürfen. Der Mindestlohn von 8,50 Euro habe vielmehr bei allen Lohnbestandteilen zugrunde gelegt werden müssen, wodurch nach ihrer Berechnung zuzüglich Urlaubsentgelt ein Bruttogehalt in Höhe von 1523,54 Euro fällig geworden wäre.

Die Frau bekam damit bereits sowohl vor dem Arbeitsgericht Bautzen (Az. 1 Ca 1094/15) und dem Sächsischen Landesarbeitsgericht (Az. 2 Sa 375/15) Recht. Die Gerichte argumentierten im Wesentlichen, dass der Nachtzuschlag laut der Regelungen des MTV auf Basis des "tatsächlichen Stundenverdienstes" erfolgen müsse, der wiederum seit dem Inkrafttreten des MiLoG 8,50 Euro brutto betrüge.

Eine Ausnahme könne hier auch nicht nach § 24 Abs. 1 S. 1 MiLoG im Sinne einer Übergangsregelung für bis zum 31. Dezember 2017 bestehende abweichende Regelungen eines Tarifvertrages repräsentativer Tarifvertragsparteien gelten, da die tariflichen Bestimmungen nicht im Sinne des Gesetzes "verbindlich" gemacht worden seien.

Auch sei das tarifliche Urlaubsgeld nicht auf den Mindestlohn anrechenbar, entschieden die Vorinstanzen. Es stünde im vorliegenden Fall gerade nicht als eine Leistung im Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung, sondern sei vielmehr als Zusatz zum Grundlohn ausgezahlt worden – und zwar ohne, dass dadurch eine Leistung des Arbeitnehmers abgegolten wurde.

BAG: Mindestberechnungsgrundlage ist der Mindestlohn

Die Erfurter Richter haben mit ihrem Urteil die Vorinstanzen bestätigt, die Revision des beklagten Unternehmens blieb damit ohne Erfolg. Das BAG führte aus, dass das MiLoG zwar nur Ansprüche für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden gewähre. Das Entgeltausfallprinzip des EFZG gelte aber auch, wenn sich die Höhe des Arbeitsentgelts nach dem MiLoG bestimme. Ein Rückgriff des Arbeitgebers auf eine vertraglich vereinbarte niedrigere Vergütung scheide damit aus. Der tarifliche Nachtarbeitszuschlag und das tarifliche Urlaubsentgelt müssten nach den Bestimmungen des MTV ebenfalls (mindestens) auf Grundlage des (damals geltenden) gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro berechnet werden, da dieser Teil des "tatsächlichen Stundenverdienstes" im Sinne des MTV sei.

Wenig überraschend schließt das BAG damit für Arbeitgeber eine weitere Lücke, den gesetzlichen Mindestlohn bei Zuschlägen zu umgehen. Die BAG-Entscheidung vom 25. Mai 2016 konnte sich noch positiv für dem Arbeitgeber auswirken, weil zumindest je nachdem, ob Sonderzahlungen auch eine Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung darstellen, diese im Fälligkeitszeitraum zur Erfüllung des Mindestlohnes angerechnet werden können.

Über zwei Jahre nach Inkrafttreten des MiLoG ist damit wieder eine wichtige Praxisfrage entschieden, die zu mehr Rechtssicherheit führt.

Der Autor Dr. Jochen Keilich, LL.M. (Exeter) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er ist Partner bei Pusch Wahlig Legal in Berlin.

Zitiervorschlag

BAG zum Nachtzuschlag: . In: Legal Tribune Online, 21.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24635 (abgerufen am: 07.11.2024 )

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