Showdown für das Entgelttransparenzgesetz: Das BAG muss entscheiden, ob die Gehaltsauskunft als Indiz für eine AGG-Diskriminierung gelten kann - mit deutlichen Folgen für die Rechtsdurchsetzung bei der Entgeltgleichheit, meint Nora Markard.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Juni 2020 verschaffte der preisgekrönten Frontal21-Journalistin nach fünf Jahren ihren ersten gerichtlichen Sieg. 2015 hatte sie das ZDF verklagt, weil sie herausgefunden hatte, dass ihre männlichen Redaktionskollegen mehr verdienten als sie, ohne dass sich dies mit rationalen Faktoren wie Berufserfahrung oder Qualifikation widerspruchsfrei erklären ließ. Sie verlangte Gleichbezahlung; um ihre Klage korrekt beziffern zu können, begehrte sie zudem – in der ersten Stufe – offizielle Gehaltsauskunft.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg befand, es werde ihr auch mit der Gehaltsauskunft nicht gelingen, den Anscheinsbeweis der Diskriminierung zu führen. Denn dass die Männer mehr verdienten, ohne dass erkennbar sei warum, genüge ebenso wenig wie die von ihr vorgetragenen Indizien für eine Kultur der Diskriminierung beim ZDF. Es brauche mehr. Die Revision ließ der 7. Senat des BAG nicht zu.
Für wen gilt das Entgelttransparenzgesetz?
Aber die Klägerin hatte zusätzlich auch ein neues Gesetz mobilisiert. Nachdem das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) 2017 in Kraft getreten war, hatte die Klägerin vor dem LAG auch hiernach Auskunft begehrt. Dieses Gesetz soll es Beschäftigten unbürokratisch ermöglichen, den Gehalts-Median des anderen Geschlechts zu erfragen, wenn es mindestens sechs Vergleichspersonen gibt.
Allerdings erfasst das Gesetz "Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen" und erwähnt (anders als das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das AGG) nicht ausdrücklich die "arbeitnehmerähnlichen Beschäftigten". Als "Fest-Freie" sei die Klägerin aber gerade keine Arbeitnehmerin, so das LAG.
Die Klägerin legte Revision ein. Sie argumentierte, da das EntgTranspG Europarecht umsetze, müsse der weite unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff gelten, der auch Fest-Freie umfasse.
Milchzähne für das EntgTranspG
Zuständig für die Revision war der 8. Senat des BAG. Dort sitzt mit Dr. Regine Winter eine Spezialistin in Sachen Entgeltgleichheit, die zudem eine Abordnung als Rechtsreferentin beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) hinter sich hat und das Europarecht damit von innen kennt.
Und der Senat gab der Klägerin auf voller Linie Recht. Weder der alte § 612 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) noch die "für die juristische Methodik des deutschen Rechts 'außergewöhnliche' Art der Normierung einer Anspruchsgrundlage" im AGG habe das Europarecht bisher ausreichend umgesetzt. Daher müsse auch beim EntgTranspG der weite unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff gelten. Mehr noch: Aus Effektivitätsgründen ist es egal, ob die Anfrage an den Arbeitgeber oder den Betriebs- oder Personalrat geht.
Über Verfahren und Kriterien der Entgeltfindung muss die Klägerin nun sofort Auskunft erhalten. Für den Median der Kollegengehälter muss das LAG noch bestätigen, dass sie ausreichend viele Vergleichspersonen benannt hat. Sicherheitshalber hat das BAG ihm hierfür noch ein paar "weiterführende Hinweise" mit auf den Weg gegeben, z.B. dass ihr Auskunftsrecht wirklich das gesamte Bruttogehalt umfasst, auch die Sachleistungen.
Mehr war aus diesem Fall in Sachen EntgTranspG nicht herauszuholen; der "Papiertiger" hat nun zumindest Milchzähne bekommen. Das Hauptproblem bleibt freilich, dass das Gesetz keine Folgen vorsieht, wenn der Median zeigt, dass die Männer mehr verdienen.
Echte Zähne: Der Median als Indiz für Diskriminierung?
Denn was mit diesem Median eigentlich anzufangen sein soll, ist bisher nicht klar – hier könnte aber das Europarecht dem EntgTranspG noch wirklich Biss verleihen.
Denn nach Europarecht dreht sich die Beweislast um, wenn dem ersten Anschein nach eine Diskriminierung vorliegt; so setzte es auch § 22 AGG um. Und der EuGH hat klargestellt, dass es als Indiz genügt, wenn die Männer mehr verdienen. Dann ist es am Arbeitgeber, sich vom Verdacht der Geschlechtsdiskriminierung zu entlasten, indem er zeigt, dass die Gehaltsunterschiede rational begründet sind und nicht auf Diskriminierung beruhen.
Nicht nur das LAG Berlin-Brandenburg stellte im ZDF-Fall strengere Anforderungen. Auch das LAG Niedersachsen ging in dem Fall einer Abteilungsleiterin davon aus, dass es noch kein Indiz für Diskriminierung sei, wenn die männlichen Abteilungsleiter in dem Unternehmen mehr verdienen; im Fall der dortigen Klägerin sogar 8 Prozent mehr – im Median.
Nun muss das BAG entscheiden, ob dieser Median die Beweiserleichterung des § 22 AGG auslösen kann. Wäre das der Fall, gerieten Arbeitgeber allein durch den Median unter Rechtfertigungsdruck; vor Gericht müssten sie nachweisen, dass eine Gehaltsdifferenz nicht auf dem Geschlecht beruht. Für die Klägerinnen, die ja keinen Einblick in die Einzelheiten der fremden Gehaltsvereinbarungen haben und daher auf investigative Indizienrecherchen angewiesen sind, wäre das eine riesige Erleichterung. Das EntgTranspG hätte plötzlich Biss.
Klar ist jedenfalls, dass es spannend wird. Denn zuständig ist – anders als für die Diskriminierungsfragen im ZDF-Verfahren – auch hier wieder der 8. Senat (Az. 8 AZR 488/19).
Die Autorin Prof. Dr. Nora Markard, MA (King’s College London) ist Inhaberin des Lehrstuhls für Internationales Öffentliches Recht und Internationalen Menschenrechtsschutz an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Sie ist Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Journalistin berät, sie aber nicht anwaltlich vertritt.
BAG entscheidet über Entgelttransparenzgesetz: . In: Legal Tribune Online, 20.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44047 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag