Das Land Berlin stellt eine Lehrerin nicht ein, weil sie ein Kopftuch trägt. Es verweist auf das Berliner Neutralitätsgesetz. Doch bekommt sie dafür auch eine Entschädigung wegen Diskriminierung nach dem AGG?
Muss man hinnehmen, dass eine Lehrerin ein Kopftuch trägt? In Berlin bewarb sich eine das Kopftuch tragende Muslima für diesen Job. Schon beim Erstgespräch sprach sie ein Mitarbeiter der regionalen Schulaufsicht auf ihr Kopftuch und das Verbot des Tragens im Unterricht nach dem Berliner Neutralitätsgesetz an. Das Gesetz regelt in § 2, dass Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole oder Kleidungsstücke tragen dürfen. Ausgenommen davon ist nur der Religions- oder Weltanschauungsunterricht.
Die Frau erklärte dem Mitarbeiter in diesem Gespräch, sie werde das Kopftuch im Unterricht nicht ablegen. Das Land stellte die Frau nicht ein, die daraufhin auf Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) klagte. Sie ist der Überzeugung, aufgrund ihres Kopftuches und damit wegen Diskriminierung aufgrund der Religion nicht eingestellt worden zu sein.
Das Arbeitsgericht Berlin wies die Klage mit Verweis auf das Neutralitätsgesetz ab (ArbG Berlin, Urt. v. 24.05.2018, 58 Ca 7193/17). Das Landesarbeitsgericht (LArbG) Berlin-Brandenburg sprach ihr rund 5000 Euro wegen Diskriminierung zu (Urt. v. 27.11.2018, 7 Sa 963/18). Am Donnerstag wird das Bundesarbeitsgericht den Fall entscheiden (BAG, Az. 8 AZR 62/19).
Pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen ist verfassungswidrig
Die Vorarbeit hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) längst gemacht: Bereits im Jahr 2015 entschied der Erste Senat, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen in öffentlichen Schulen ist nicht mit der Verfassung vereinbar ist (Beschl. v. 27.01.2015, Az. 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10). Denn das verstoße gegen die in Art. 4 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes (GG) garantierte Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Damals ging es allerdings nicht um das Berliner Neutralitätsgesetz, sondern um ein pauschales Kopftuchverbot im nordrhein-westfälischen Schulgesetz (SchulG NRW).
In diesem Fall in NRW hatten allerdings zwei Frauen geklagt, die sich gegen arbeitsrechtliche Sanktionen gewehrt hatten. Die Frauen hatten als Angestellte an öffentlichen Schulen im Dienst ein Kopftuch bzw. als Ersatz hierfür eine Wollmütze getragen und dafür vom Land zunächst Abmahnungen und schließlich die Kündigung erhalten. Mit ihren Verfassungsbeschwerden hatten sie schließlich diese gerichtlichen Entscheidungen als Verstoß gegen ihre Religionsfreiheit gerügt.
Sie waren erfolgreich - das Verbot im SchulG NRW wurde daraufhin aufgehoben und durch eine neue Regelung ersetzt. Demnach ist jetzt jegliches Verhalten untersagt, dass der Neutralität des Landes zuwiderläuft oder den Schulfrieden gefährdet oder stört. Insbesondere darf Lehrpersonal in der Schule nicht gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung, die Freiheitsrechte oder die freiheitlich demokratische Grundordnung auftreten. Ein pauschales Kopftuchverbot besteht nicht mehr. Im Einzelfall kann ein solches ausgesprochen werden, dafür muss jedoch die konkrete Gefahr für den Schulfrieden nachgewiesen werden können.
Eine zweite Entscheidung des BVerfG drehte sich um das Kopftuch im juristischen Referendariat. Der Zweite Senat kam zu dem Schluss, dass die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Pflicht, sich im Rechtsreferendariat in weltanschaulich-religiöser Hinsicht neutral zu verhalten, aus verfassungsrechtlicher Sicht zu respektieren sei (Beschl. v. 14.01.2020, Az. 2 BvR 1333/17). In dem Verfahren ging es darum, dass bei bestimmten dienstlichen Tätigkeiten im Rahmen ihres juristischen Vorbereitungsdienstes kein Kopftuch getragen werden darf. Das gilt dann, wenn die Frauen als Repräsentantinnen der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden können, also insbesondere bei der Sitzungsvertretung für die Staatsanwaltschaft – ansonsten kann das Referendariat auch mit Kopftuch absolviert werden.
AGG und das NeutralitätsG
In dem Berliner Fall geht es nun aber um eine Entschädigung nach dem AGG und damit um die Frage, ob die Bewerberin im Bewerbungsverfahren aufgrund ihrer Religion benachteiligt wurde – und diese Benachteiligung auch rechtswidrig war.
Die LArbG war als Vorinstanz zu dem Ergebnis gekommen, dass das pauschale Verbot im Neutralitätsgesetz das Kopftuchverbot verfassungswidrig sei und damit auch eine rechtswidrige Diskriminierung durch das Land vorgelegen habe. Doch darüber kann man streiten. So sagt Professor Dr. Gregor Thüsing, Leiter des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn: „Der Gleichlauf von Neutralitätsgesetz und AGG, den die Vorinstanz angegeben hat, ist meines Erachtens nach unzutreffend und in der Rechtsprechung des BAG so nicht angelegt“.
Das Neutralitätsgesetz sei nur dann ein Verstoß gegen das AGG, wenn das Verbot eines Kopftuches keine wesentliche entscheide berufliche Anforderung formuliere, so Thüsing: „Der Schulträger darf die Neutralität in der äußeren Erscheinung seiner Lehrerinnen und Lehrer einfordern, schon um die negative Religionsfreiheit der Schüler zu wahren.“
Was sagen EuGH und BAG?
Zudem gehe es hier mit der Entschädigung um Sanktionen, die allein das AGG hergebe. „Das AGG ist autonom und damit europarechtskonform auszulegen“, so Thüsing. „Der EuGH hat in seinen Kopftuchentscheidungen deutlich gemacht, dass er großzügiger als die Karlsruher Richter denkt.“ Der EuGH hat etwa 2017 entschieden, dass eine unternehmensinterne Regel, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens verbietet, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion darstellt (Urt. v. 14.03.2017, Az. C-157/15).
Das BAG selbst hatte einst den Fall einer Krankenschwester zu entscheiden, die im Dienst ein Kopftuch tragen wollte. Da es sich jedoch um ein evangelisches Krankenhaus gehandelt hatte, verstieß die Mitarbeiterin in diesem Fall gegen ihre arbeitsvertragliche Nebenpflicht zu neutralem Verhalten (BAG, Urt. v. 24.09.2014, Az. 5 AZR 611/12).
Die Entscheidung zur Lehrerin in Berlin verkünden die Erfurter Richter am Donnerstag.
Tanja Podolski, BAG zu Diskriminierung wegen der Religion: . In: Legal Tribune Online, 26.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42606 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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