Ein Pendler aus Regensburg klagt gegen die Erfassung seines Kennzeichens und dessen Abgleich mit polizeilichen Fahndungsdateien. Nun prüft der Bayerische VGH, ob die gesetzliche Grundlage der Erfassung in Ordnung ist. Die Fahndungsmethode an sich allerdings hat das BVerfG längst akzeptiert. Dieter Müller über Gefahrenabwehr, die vorsorgliche Bewegungsprofile nicht ermöglicht.
Vor dem Verwaltungsgericht München war ein Regensburger, der auf dem Weg zur Arbeit viel Zeit auf der Autobahn verbringt, mit seiner Unterlassungsklage gescheitert. In zweiter Instanz prüft nun der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH), ob der Freistaat überhaupt dafür zuständig ist, eine Norm zur automatischen Kennzeichenerfassung zu erlassen und ob die praktische Erfassung der Daten verhältnismäßig ist. Bei der zu überprüfenden Norm handelt es sich um die Vorschrift des Art. 33 Abs. 2 Polizeiliches Aufgabengesetz Bayern (PAG).
Das Verfahren der polizeilichen Kennzeichenerfassung, gegen das der Pendler sich wehrt, praktizieren zahlreiche europäische Staaten und mehrere deutsche Bundesländer schon seit einigen Jahren.
Dabei fertigt das u.a. von der Firma Bosch angebotene System der automatischen Kennzeichenerfassung (Automatic License Plate Recognition = ALPR) digitale Videos oder Fotos von Fahrzeugkennzeichen an, wandelt deren Inhalte in digitale Codes um gleicht sie mit Daten aus Fahndungsdateien des Landeskriminalamtes ab, das für das betreffende Bundesland zuständig ist. Wird eine Übereinstimmung eines erfassten mit einem zur Fahndung ausgeschriebenen Kennzeichen festgestellt, müssen die zuständigen polizeilichen Ermittler diesen so genannten Treffer ("Hit") überprüfen. Dazu werten die Beamten das betreffende Video oder Foto zusammen mit den gleichzeitig erfassten Metadaten zu Fahrzeugtyp, Ort und Zeit der Aufnahme aus.
BVerfG: Informationelle Selbstbestimmung fordert sofortiges Abgleichen und Löschen
Die bayerischen Verwaltungsrichter sind nicht die ersten, die sich mit dem Erfassungssystem auseinandersetzen müssen. Im Jahr 2008 erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG,Urt. v. 11.03.2008, Az. 1 BvR 2074/05; 1 BvR 1254/07) die hessischen und schleswig-holsteinischen Vorschriften für die automatische Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen für nichtig (BVerfG, Urt. v. 01.03.2008, Az.1 BvR 2074/05, 1 BvR 1254/07).
Die wichtigsten Fragen zur rechtlichen Bewertung der Systeme und zu ihren gesetzlichen Grundlagen sind also höchstrichterlich bereits geklärt. Der Müncher VGH muss bei seiner Entscheidung die vom höchsten deutschen Gericht aufgestellten Auslegungsgrundsätze berücksichtigen.
Dieses urteilte damals, dass eine automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen mit nachfolgendem Abgleich mit dem Fahndungsbestand dann in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) eingreift, wenn der Abgleich nicht unverzüglich erfolgt und das Kennzeichen nicht ohne weitere Auswertung sofort und spurenlos gelöscht wird.
BVerfG: Grundrechtseingriff nur mit konkretem Anlass und nicht flächendeckend
Die notwendige Ermächtigungsgrundlage müsse sich, so die Verfassungsrichter, nach dem Gewicht der Beeinträchtigung richten. Wie schwerwiegend diese sei, richte sich vor allem nach der Art der erfassten Informationen, dem Anlass und den Umständen ihrer Erhebung, aber auch der betroffene Personenkreis und die Art der Verwertung der Daten beeinflussten die Schwere des Grundrechtseingriffs. Es reiche jedenfalls nicht aus, das Kraftfahrzeugkennzeichen mit einem gesetzlich nicht näher definierten Fahndungsbestand abgleichen zu wollen, erklärte das BVerfG mit Blick auf die erforderliche Normenbestimmtheit.
Für die polizeiliche Umsetzung der gesetzlichen Grundlagen gaben die Verfassungsrichter vor, dass eine automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen nicht ohne konkreten Anlass erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden darf.
Als konkrete Einsatzanlässe forderte Karlsruhe konkrete Gefahrenlagen oder allgemein gesteigerte Risiken, dass Rechtsgüter gefährdet oder verletzt würden. Datenschutzrechtlich relevant seien solche Abgleiche überdies immer dann, wenn die allgemein erhobenen Fahrzeugdaten bestimmten Personen wie zum Beispiel dem Fahrzeughalter zugeordnet und daraufhin gespeichert würden.
Eine gesetzliche Grundlage des Landesrechts, die diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht entspricht, wäre also rechtswidrig. Selbst wenn die Verwaltungsrichter dies feststellten, hieße das aber nur, dass ein neues Landesgesetz her müsste, das sich an die verfassungsrechtlichen Vorgaben hält. Nicht zwangsläufig hingegen, dass die automatischen Kennzeichenerfassungssysteme damit dauerhaft als Fahndungsmethode vom Tisch wären.
Kriminalität verhindern: Organisierte Banden – und Bürger mit Fahrverbot
Die Polizei setzt sie u.a.zur Gefahrenabwehr an gefährlichen Orten oder im Umfeld gefährdeter Objekte sowie zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität etwa gegenüber Autodieben aus benachbarten Staaten ein. Dabei sind die Gründe, aus denen Kennzeichendaten in die Fahndungsdateien gelangen, ganz unterschiedlich. Vor allem geht es aber um gewichtige Straftaten der Organisierten Kriminalität, also von Banden verübte Verbrechen in den Bereichen Betäubungsmittel, Waffenhandel und Menschenhandel.
Der den Abgleich der erfassten Kennzeichen mit polizeilichen Fahndungsdatenbeständen beinhaltende Katalog des § 33 Abs. 2 PAG ist abschließend. Er erlaubt den Datenabgleich für über Kraftfahrzeuge oder Kennzeichen, die durch Straftaten oder sonst abhanden gekommen sind und über "Personen, die ausgeschrieben sind zur polizeilichen Beobachtung, gezielten Kontrolle oder verdeckten Registrierung, aus Gründen der Strafverfolgung, Strafvollstreckung, Auslieferung oder Überstellung, zum Zweck der Durchführung ausländerrechtlicher Maßnahmen, wegen gegen sie veranlasster polizeilicher Maßnahmen der Gefahrenabwehr".
Nur die "polizeilicher Maßnahmen der Gefahrenabwehr" sind ein rechtlich unbestimmter Auffangtatbestand, der einen Auslegungsspielraum zulässt.
An diesem Punkt könnte der bayerische Landesgesetzgeber zur juristischen Nachbesserung verpflichtet werden, weil zumindest die Gefahr einer unverhältnismäßigen Ausweitung des Datenabgleichs besteht. Eine genauere Formulierung der erlaubten Maßnahmen der Gefahrenabwehr wäre wünschenswert, damit sich die Bürger darauf einrichten können, zum Beispiel als Fahrer identifiziert zu werden, die ihr Auto trotz eines Fahrverbots nutzen.
Für sämtliche Deliktsgruppen sind Kraftfahrzeuge unverzichtbare Tatmittel. Die Daten von dabei entwendeten Pkw oder Kfz-Kennzeichen kommen in die Fahndungsdateien. Kriminelle nutzen zur Vorbereitung oder Begehung ihrer Taten mit diesen Kraftfahrzeugen sehr oft Autobahnen, weil dort anonymer und vor allem schneller Verkehr möglich ist.
Keine vorsorgliche Erstellung von Bewegungsprofilen
Es gibt also nur eine einzige praktisch sinnvolle Möglichkeit, die automatisierte Kennzeichenerfassung einzusetzen. Die Kennzeichenerfassung muss mit einer Anhaltekontrolle für diejenigen Kraftfahrzeuge verbunden werden, denen sofort im Anschluss an die Erfassung ein Treffer zugeordnet wurde. Da die Täter, die derartige Delikte begehen, regelmäßig bewaffnet sind, ist es sinnvoll, ihnen auf den von ihnen genutzten Verkehrswegen zu begegnen und die Bürger vor den von ihnen ausgehenden Gefahren zu schützen.
Würde die Polizei aufgrund eines Treffers den betreffenden Fahrer einfach entkommen lassen, wäre zwar ein Mosaikstück für ein eventuell hilfreiches Bewegungsprofil vorhanden, jedoch wäre die Chance vertan, eine konkrete Gefahrensituation durch Anhalten der Person zu klären und womöglich zu entschärfen. Dies aber ist der eigentliche Sinn des Verfahrens der automatischen Kennzeichenerfassung.
Der durchschnittliche Bürger ist also von der Erfassung und dem Abgleich des Kennzeichens nur in sehr geringem Ausmaß betroffen. Zwar werden sein Kfz und dessen Kennzeichen erfasst. Sie müssen aber, weil der unmittelbar durchzuführende Abgleich mit der Fahndungsdatei nichts ergibt, -wie es die Vorschrift des § 38 Abs. 3 PAG verbindlich vorschreibt – im Regelfall sofort wieder gelöscht werden.
Eine Zuordnung zu seiner Person oder gar die Erstellung eines Bewegungsprofils darf nach den Vorgaben der Karlsruher Richter nur auf der Grundlage einer genau und abschließend formulierten Eingriffsermächtigung erfolgen. Eine automatische Kennzeichenerfassung darf demnach keineswegs dazu dienen, über diese konkrete Fahndungsmaßnahme eine flächendeckende polizeiliche Beobachtung zu installieren und „rein vorsorglich“ eine neue polizeiliche Datensammlung über Bewegungsprofile von Fahrzeugen und deren Fahrern zu erschaffen.
Die Kennzeichenerfassung ist kein Bundestrojaner
Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um Bundes-Trojaner sind viele Bürger zu Recht für die Thematik staatlicher Polizeiarbeit und speziell für das Sammeln von Daten sensibilisiert. Diese Diskussion ist jedoch nicht mit der automatischen Kennzeichenerfassung vergleichbar.
Zwar mögen die gleichen Gruppen von Kriminellen mit diesen Ermittlungsmethoden verfolgt werden. Die Einsatzgebiete aber könnten unterschiedlicher kaum sein. Während Trojaner direkt in den privaten Datensammlungen bestimmter Personen aktiv werden und ausgewählte Informationen unmittelbar an die Kriminalpolizei übermitteln, ordnet die Kennzeichenerfassung lediglich ein ausgeschriebenes Kennzeichen einem konkreten Ermittlungsfall zu. Die Intensität beider Eingriffe in die Intimsphäre und damit in Grundrechte der betroffenen Bürger ist von der Qualität daher nicht einmal ansatzweise vergleichbar.
Wer sich also gegen eine automatische Erfassung seines Kfz-Kennzeichens wehrt, sollte zwischen dieser wichtigen Fahndungsmethode, die die Öffentlichkeit vor Schwerkriminellen schützen kann einerseits, und einer womöglich zu weit reichenden gesetzlichen Grundlage andererseits unterscheiden.
Aufgabe der Gerichte ist es, unverhältnismäßig gestaltete Rechtsgrundlagen für eine automatische Kennzeichenerfassung auf das verfassungsrechtlich zulässige Maß zurechtzustutzen. Bei konkreten Verdachtsmomenten für eine Überregulierung also sollten sich Bürger wehren.
Auch ein selbstbewusster, auf den Datenschutz und die Beachtung der Grundrechte bedachter Bürger aber hat keinen Anlass, sämtliche polizeilichen Ermittlungsmethoden pauschal abzulehnen. Eine solche Haltung würde den weit überwiegend nach den Maßstäben des Rechtsstaats arbeitenden Polizeibeamten zu Unrecht eine bürgerfeindliche Verfolgungsmentalität unterstellen.
Der Autor Prof. Dr. Dieter Müller ist Fachbereichsleiter für Verkehrswissenschaften an der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH), wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten Bautzen und Autor zahlreicher Publikationen zum Verkehrsrecht.
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Dieter Müller, Automatische Kennzeichenerfassung: . In: Legal Tribune Online, 21.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4616 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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