Atomrecht und Verfassung: Der Aus­s­tieg ist mit dem Eigen­tums­recht ver­einbar

Die aktuelle deutsche Atomrechtsdebatte fokussiert einseitig die Atomthematik und forciert zu wenig eine echte Energie- und Klimawende. Das zentrale Verfassungsproblem der Atomenenergie wird zudem falsch verortet: Die Eigentumsgarantie ist durch den Atomausstieg nicht verletzt, ebenso wenig wie die Berufsfreiheit der AKW-Betreiber. Ein Kommentar von Felix Ekardt.

Das deutsche Atomrecht steht wieder einmal im Zentrum der umweltrechtlichen und umwelt-rechtspolitischen Debatte, die Energiewende soll mit dem Beschluss des Bundestags vom Donnerstag nun beschlossene Sache sein. Gestritten wird aktuell darüber, ob der Bundesgesetzgeber einige Atomkraftwerke nach der Fukushima-Katastrophe sofort und andere sukzessive vom Netz nehmen, ihnen also nachträglich die Genehmigung befristen darf.

Zuletzt war an dieser Stelle zu lesen, dass § 18 des Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie (AtG) letztlich schon ohne Gesetzesänderung einen Widerruf der Genehmigungen erlaubt, weil es neue Erkenntnisse zur fehlenden AKW-Sicherheit gegen Flugzeugabstürze gebe und damit kein sicherer AKW-Betrieb mehr gewährleistet sei.

Zwar ist die Begründung ein wenig schief; denn dass deutsche AKWs keinen Absturz einer Passagiermaschine (etwa bei einem Terroranschlag nach Art des 11. September) aushalten, ist keine neue Erkenntnis, sondern war schon zum Zeitpunkt der Errichtung der deutschen Kraftwerke bekannt und wurde in der Öffentlichkeit sträflich heruntergespielt. Dennoch stimmt es, dass § 18 AtG im Grunde schon ohne Atomnovelle einen Atomausstieg ermöglichen dürfte. Warum ist dies so?

Widerruf der Atomkraftwerksgenehmigungen

Selbst in der Logik der relativ atomfreundlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wurde seit dem Kalkar-Urteil von 1978 stets verlangt, dass Gesetzgebung und Verwaltung auf einen wachsenden Kenntnisstand zu möglichen atomaren Gefahren reagieren müssten. Das BVerfG hat seitdem betont, dass die Atomenergie mit dem Recht auf Leben und Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 GG nur "derzeit" noch vereinbar sei, da das atomare Gefährdungspotenzial bisher nur theoretisch vorstellbar sei.

Und heute, nach Fukushima, kann man bei den japanischen Erfahrungen mit den Folgen stromausfallbedingt ausfallender Kühlsysteme nicht wie bei Tschernobyl sagen, dies sei in Deutschland ausgeschlossen. Für Stromausfälle braucht es auch kein Erdbeben und keinen Tsunami. Insofern erzwingt Art. 2 Abs. 2 GG vor dem Hintergrund der aktuellen Erfahrungen einen Atomausstieg.

Auch wenn man einen explizit gesetzlich geregelten Atomausstieg für nötig hält, so ist zumindest dieser rechtlich nicht zu beanstanden. Da die vorhandenen deutschen Kraftwerke schon lange laufen und sie in puncto Forschung, Errichtung und Endlagerung vielfach staatlich subventioniert sind, muss für den Atomausstieg auch keine Entschädigung an die Unternehmen nach den Grundsätzen einer ausnahmsweise ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung des Eigentums gezahlt werden.

Entschädigungspflichtig wäre nur eine Enteignung. Die liegt hier aber nicht vor, weil der Staat sich ja nicht die Kraftwerke aneignet, sondern schlicht eine Politik der Risikominimierung betreibt. Zudem blendet die Eigentumsdebatte regelmäßig die nötige Ausbalancierung mit dem Recht auf Leben und Gesundheit aus, das – siehe oben – gerade den Atomausstieg nahelegt. Hier zeigt sich, dass die deutsche Debatte die Schutzgrundrechte gegenüber den Abwehrgrundrechten traditionell unterbelichtet und sie gern als nachrangig und nur ausnahmsweise einschlägig präsentiert.

Energiewende statt Atomdebatte

Befürworter und Gegner haben in Deutschland freilich unverändert ein Problem: Sie reden hauptsächlich über die Atomenergie statt insgesamt über die Energie- und Klimawende. So fällt kaum jemandem auf, dass die Begleitgesetze zum Atomausstieg darauf hinauslaufen werden, Atomkraftwerke einfach durch Kohle- und Gaskraftwerke zu ersetzen – mit fatalen Folgen für den Klimaschutz.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird durch die geplanten neuen Gesetze wie etwa die EEG-Novelle eher gebremst werden. Zudem ist der einseitige Blick auf den Stromsektor irreführend. Von den Energiebereichen Strom, Wärme und Treib-stoff ist Strom nämlich der kleinste; zum Gesamtenergiebedarf weltweit trägt Atomenergie bisher nur rund 3 Prozent bei.

Erst recht unangetastet bleibt in der bisherigen Diskurslogik der Grunddefekt der bisherigen Energie- und Klimapolitik: Mehr erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz, also "technische Lösungen", genügen nicht. Wegen des Klimawandels und wegen der Endlichkeit der fossilen Brennstoffe muss vielmehr auch die absolute Energieverbrauchsmenge verringert werden. Allein mehr Effizienz verhindert das nicht. Denn werden wir immer reicher, frisst dies eine steigende Energieeffizienz ganz oder teilweise auf; wir haben dann vielleicht effizientere Autos, aber gleichzeitig immer mehr Autos (Rebound-Effekt).

Außerdem leidet die bisherige Energiepolitik daran, dass sie am einzelnen Betrieb, am einzelnen Auto oder der einzelnen Tätigkeit ansetzt. Damit werden neben Rebound-Effekten auch Verlagerungseffekte ausgelöst: Der Energieverbrauch und die Klimabelastung weichen einfach in andere Länder, in andere Energiesektoren oder auf andere Ressourcen aus – statt fossilen Brennstoffen etwa auf die Bioenergie, die für das Klima und die Welternährung ihrerseits problematisch ist.

Letztlich erfordert eine wirksame Klima- und Energiepolitik schlicht höhere Preise für fossile Brennstoffe (und für die Landnutzung). Eine europaweit einheitliche Abgabe oder ein künftig an Primärenergieträgern orientierter Emissionshandel könnten das übernehmen. Auf diese Weise steigende Energiepreise würden ohne Verlagerungs- oder Rebound-Effekte insgesamt die Energie- und Klimafrage angehen. Als Ergänzung nötig wären – welthandelsrechtlich zulässige – Ökozölle für Im- und Exporte, um Emissionsverlagerungen in Nicht-EU-Staaten zu verhindern. Im Gegenzug könnte man auf wesentliche Teile des bisherigen Energie- und Klimaschutzrechts verzichten.

Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A. Jurist, Philosoph und Soziologe, Universität Rostock, Leiter der Forschungsgruppe Nachhaltigkeit und Klimapolitik, Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie ist politikberatend national und international im Klimaschutz tätig und arbeitet vor allem in den Bereichen Energie- und Klimaschutzrecht, WTO-Recht, Gerechtigkeits- und Menschenrechtstheorie und transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung

 

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Zitiervorschlag

Felix Ekardt, Atomrecht und Verfassung: . In: Legal Tribune Online, 30.06.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3635 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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