Die Beziehung war schon gescheitert, doch die Frau wollte ein weiteres Kind. Das Sperma ihres Exfreundes war in einer Kinderwunschklinik versehentlich noch eingefroren, sein Einverständnis fälschte sie. Für das ungewollte Kind kann der Arzt unterhaltspflichtig sein, entschied das LG Dortmund. Herbert Grziwotz rät: Immer schön aufpassen, auch bei künstlicher Zeugung.
Ein Prozent der Kinder in Deutschland wird bereits durch künstliche Befruchtung gezeugt. Eher ungewöhnlich ist es allerdings, dass auf diesem Wege ungewollte Kinder entstehen. So geschehen aber im Bezirk des Landgerichts (LG) Dortmund. Ein mit seiner Partnerin in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammenlebender Mann hatte 2004 sein zuhause gewonnenes Sperma in einer Kinderwunschklinik abgegeben. 2005 wurde aufgrund künstlicher Befruchtung der erste Sohn des Paares geboren. Allerdings behauptete der Mann, er sei von einer "natürlichen Empfängnis" ausgegangen.
Spätestens 2005 sollte sein Sperma, das eingefroren worden war, nach der zwischen ihm und der Klinik getroffenen Vereinbarung vernichtet werden. Dies wurde in der Arztpraxis allerdings übersehen.
Als die Beziehung des Paares 2007 bereits kriselte, nahm die Klinik nochmals eine Zeugung im Reagenzglas vor, deren Ergebnis Zwillinge waren. Die Frau behauptete dabei in der Kinderwunschklinik, ihr Partner halte sich im Ausland auf und könne seine Zustimmung nicht persönlich oder schriftlich erteilen. Ein männlicher Anrufer bestätigte dies gegenüber einer Praxisangestellten.
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergaben, dass die Frau tatsächlich einige Unterschriften des Mannes gefälscht hatte. Dieser hatte seine Zustimmung zur nochmaligen Zeugung von Kindern mittels seines Spermas nicht erteilt. Die Frage, über die das Landgericht (LG) Dortmund nun zu entscheiden hatte, lautete: Müssen die Ärzte für die Kinder zahlen, die sie im Reagenzglas ohne Zustimmung des gar nicht so glücklichen Vaters für diesen gezeugt hatten?
Sex und vergessene Pille
Früher war es noch relativ einfach: Vater wurde ein Mann nur durch erfolgreichen Vollzug des Geschlechtsverkehrs mit einer Frau. Wurde diese Tätigkeit gezielt zu diesem Zwecke ausgeübt, handelte es sich um ein Wunschkind oder, noch pathetischer ausgedrückt, um ein "Kind der Liebe".
Aber es gab auch immer schon die "passierten Kinder", wenn die diesbezüglichen Aktivitäten sozusagen "nur zum Vergnügen", das heisst nicht mit der Absicht ausgeübt wurden, die Nachfahren zu vermehren. Und dann existierten auch noch die abredewidrig empfangenden Kinder, wenn die Frau dem Mann wahrheitswidrig erklärte, es könne nichts passieren, entweder wegen "ungefährlicher Tage" oder weil sie die Pille nehme.
Vor nicht allzu langer Zeit musste der Schwängerer die "geschwächte" Dame dann sogar zwangsweise heiraten. Heute muss er zumindest Unterhalt für die Frau (§ 1615 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB) und das Kind (§§ 1603 ff. BGB) bezahlen. Er kann sich nicht darauf berufen, reingelegt worden zu sein. Denn, so der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 17.04.1986, Az. IX 200/85), zwei volljährige Partner wollen "beim freiwilligen Geschlechtsverkehr nicht nur ihr sexuelles Bedürfnis befriedigen", sondern haben dabei stets vor Augen, dass sie das "Entstehen von Leben" zu verantworten haben. Und das auch dann, wenn die Partnerin fälschlicherweise versichert, die Pille zu nehmen.
Die neuen Fortpflanzungstechniken
Heute wollen immer mehr Paare erst im vierten oder sogar im fünften Lebensjahrzehnt ein Kind. Dann ist man zwar noch nicht "jenseits von Gut und Böse", aber viele Paare bleiben kinderlos. Unfruchtbarkeit liegt bei Paaren vor, wenn eine Schwangerschaft trotz regelmäßigen ungeschützten Geschlechtsverkehrs über 12 Monate ausbleibt.
Mit zunehmendem Alter ist dies immer häufiger der Fall. Schon ab 30 Jahren nimmt die Fruchtbarkeit ab. Ab 35 wird eine Schwangerschaft von Jahr zu Jahr unwahrscheinlicher. Bei Männern nimmt mit zunehmendem Alter die Spermienmenge und die Zahl der lebensfähigen Spermien rapide ab. Deshalb wird die Fortpflanzungs- oder, wie es wenig motivierend heißt, Reproduktionsmedizin immer wichtiger.
Das in einer Arztkabine oder in häuslicher Umgebung gewonnene Sperma des Mannes wird aufbereitet, um die müde gewordenen Spermien zu einem Sprint zur Einzelle zu motivieren. Zur Zeit des Eisprungs wird dann das auf diese Weise gleichsam trainierte Sperma vom Arzt injiziert (artifizielle Insemination). Klappt auch das nicht, kann die Vereinigung von Samen- und Eizelle auch - wenig romantisch - im Reagenzglas durch ärztlichen Akt vollzogen werden (In-vitro-Fertilisation). Das befruchtete Ei wird der Frau eingepflanzt, die dann das Kind austrägt.
Vertragswidrig produziertes Reagenzglaskind
Der BGH (Urt. v. 9.11.1993n- VI ZR 62/93) hat es als Körperverletzung angesehen, wenn Sperma, das mit Blick auf eine vorhersehbare Unfruchtbarkeit eingefroren wurde, versehentlich vernichtet wird. Der Samenspender erhielt sogar ein Schmerzensgeld.
Die Dortmunder Richter mussten demgegenüber entscheiden, ob ein abredewidrig im Reagenzglas gezeugtes Kind ein Schaden ist, für den der Arzt der Kinderwunschklinik haftet. Sie folgten der Rechtsprechung des BGH (z.B. Urt. v. 31.01.2006, Az. - VI ZR 135/04) in den Fällen einer ungewollten Schwangerschaft.
Wenn es infolge eines ärztlichen Kunstfehlers zur Geburt eines Kindes kommt, weil eine Sterilisation der Frau oder des Mannes fehlgeschlagen ist, oder die Frau zu spät davon erfährt, dass eine rechtmäßige Abtreibung in Betracht kommt, wird für die Unbill, die mit dem Austragen des Kindes verbunden ist, ein Schmerzensgeld gewährt, selbst wenn die Geburt komplikationslos verläuft.
Kein Schmerzensgeld für normale Mühen und Plagen
Auch die mit der Geburt eines nicht gewollten Kindes für die Eltern verbundenen wirtschafltichen Belastungen, insbesondere dei Aufwendungen für dessen Unterhalt, stellen einen ersatzpflichtigen Schaden dar. Dieser ist begrenzt auf den Ersatz des durchschnittlichen Auskommens und bemisst sich am Mindestunterhalt (§ 1612a BGB). Die Verletzung des ärztlichen Behandlungsvertrags, die Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs ist, liegt nach Ansicht der Dortmunder Richter darin, dass das Sperma nicht vertragsgemäß vernichtet und zusätzlich nicht sichergestellt wurde, dass seine Verwendung nur mit dem nachgewiesenen Einverständnis des Spenders erfolgte.
Der schadensersatzpflichtige Arzt der Kinderwunschklinik, der sonst nur mit Eltern zu tun hat, die sich über das mit ärztlicher Hilfestellung gezeugte Kind freuen, kann lediglich versuchen, bei der betrügerisch handelnden Frau Rückgriff zu nehmen. Ob diese allerdings leistungsfähig ist, ist eine andere Frage.
Der Mann, dessen Sperma verwendet wurde, bleibt ungewollter Vater. Für ihn hat das unterhaltsrechtliche Konsequenzen über den vom Arzt geschuldeten Unterhalt hinaus. Den Unterhaltsaufwand, der sich aus den gehobenen wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern ergibt und welcher unter dem Gesichtspunkt der Teilhabe der Kinder an den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Familie zu entrichten ist, muss er selbst zahlen. Außerdem sind seine so gezeugten weiteren Kinder ihm gegenüber erb- und pflichtteilsberechtigt. Sie haben auch ein Umgangsrecht gegen über ihrem Vater. Für diese "normalen Mühen und Plagen", die mit der Erziehung von Kindern verbunden sind, erhält der ungewollte Vater kein Schmerzensgeld.
Aufpassen - auch bei künstlicher Zeugung
Fazit: Wenn man nicht von dem Grundsatz "Jedes Kind ist ein Geschenk Gottes" (Franz Beckenbauer) ausgeht, ist Ärzten, die im Rahmen der assistierten Reproduktionsmedizin tätig werden und Samenbanken verwalten, dringend zu empfehlen, wie dies bei Finanzbanken längst üblich ist, die Identifizierung der Beteiligten sauber zu dokumentieren.
Gegebenenfalls sollten die Unterschriften der künftigen Eltern und eventuell sogar ihre Einwilligungserklärungen zu Beweiszwecken notariell beurkundet werden. Dies wird in der Praxis von zahlreichen Kinderwunschkliniken bereits so praktiziert, auch wenn der bürokratische Aufwand wenig stimulierend wirkt.
Wollen Männer, die ihr Sperma konservieren lassen, nicht später ungewollt Vater werden, müssen sie dafür sorgen, dass es wirklich vernichtet wird. Oder scherzhaft gesagt: Aufpassen gilt auch bei der künstlichen Fortpflanzung.
Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und Zwiesel.
Herbert Grziwotz, Unterhaltspflicht des Arztes bei Samenraub: . In: Legal Tribune Online, 30.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6103 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag