Das Patentamt in Indien hat entschieden, dass die einheimische Firma Natco künftig das Krebsmittel Nexavar des Pharmakonzerns Bayer herstellen darf. Es soll billiger verkauft und so die Versorgung aller Bevölkerungsschichten sichergestellt werden. Dabei kann ein schwacher Patentschutz für die Inder mittelfristig zum Bumerang werden, meinen Gisbert Hohagen und Sara Burghart.
Eine Entscheidung aus Indien hat Anfang März die Pharmaindustrie in Aufruhr versetzt: Das indische Patentamt hat der Firma Natco, einem einheimischen Generika-Hersteller, an dem Patent von Bayer für das Krebsmedikament Nexavar eine Zwangslizenz erteilt.
Das zuständige Patentamt in Mumbai sah dies unter Berufung auf Artikel 84 des indischen Patentgesetzes aus gleich drei Gründen gerechtfertigt: Erstens werde der angemessene Versorgungsbedarf der Bevölkerung nicht gedeckt. So habe Bayer in den letzten vier Jahren das Medikament lediglich für zwei Prozent der behandlungsbedürftigen Patienten in Indien zur Verfügung gestellt. Zweitens habe der Pharmakonzern das Medikament nicht zu einem angemessenen Preis angeboten: Monatlich umgerechnet rund 4.200 Euro seien für den Großteil der indischen Bevölkerung schlicht unbezahlbar. Schließlich werde die patentgemäße Erfindung von Bayer nicht in angemessenem Umfang in Indien hergestellt, sondern nur importiert.
Im Rahmen der Zwangslizenz ist Natco nun berechtigt, eine Monatspackung Nexavar für umgerechnet rund 132 Euro zu verkaufen. Darüber hinaus muss die Firma das Medikament jährlich mindestens 600 mittellosen Patienten kostenlos zur Verfügung stellen. Die Lizenzgebühr für Bayer liegt bei sechs Prozent des Nettoumsatzes von Natco. Im Übrigen ist die Lizenz an zahlreiche weitere Bedingungen geknüpft.
Für die einen ein Meilenstein, für die anderen eine Aushöhlung des Patentrechts
Zwangslizenzen sind in der Pharmaindustrie grundsätzlich nichts Neues. Was macht diese Entscheidung also so brisant? Nexavar ist kein Medikament zur Bekämpfung von Armutskrankheiten oder sonstigen Epidemien in der Dritten Welt, für die derartige Lizenzen schon mehrfach erteilt wurden. Es handelt sich vielmehr um ein lebensverlängerndes Mittel gegen Leber- und Nierenkrebs, zwei auch in Industrienationen auftretende Krankheiten.
Sehr unterschiedlich fallen daher die Reaktionen auf die Entscheidung des indischen Patentamts aus: Für die einen, namentlich Hilfsorganisationen, bedeutet sie einen Meilenstein im Streit um den Zugang armer Bevölkerungsschichten zu lebensnotwendigen Medikamenten. Vertreter der Pharmabranche sehen in der Entscheidung indes eine beginnende Aushöhlung des im internationalen Handelsabkommen TRIPS geschützten Patentrechts, mit der in Wahrheit nur die Interessen der heimischen Generika-Industrie gefördert werden sollen.
Wann Zwangslizenzen erteilt werden, ist grundsätzlich in Artikel 31 TRIPS geregelt und an zahlreiche Voraussetzungen geknüpft: Eine entsprechende Lizenz darf etwa nur erfolgen, nachdem die Umstände im Einzelfall geprüft wurden. Zudem muss vorab verhandelt werden, ob der Patentinhaber eine Lizenz freiwillig vergibt. Allerdings kann hierauf beispielsweise in Fällen des nationalen Notstandes oder äußerster Dringlichkeit verzichtet werden, um in derartigen Krisensituationen eine flexible Reaktion zu ermöglichen. Eine Zwangslizenz ist zeitlich und inhaltlich zu begrenzen, darüber hinaus darf sie nur als nichtausschließliche und grundsätzlich nicht übertragbare Lizenz erteilt werden. Nur im Ausnahmefall ist eine Herstellung zwangslizensierter Produkte für den Export erlaubt. Schließlich erteilt die zuständige nationale Behörde die Zwangslizenz nur gegen Zahlung einer "angemessenen Vergütung".
Hierbei soll der wirtschaftliche Wert der Erlaubnis, d.h. die Umsatz- und Gewinnmarge des Lizenznehmers, berücksichtigt werden. In der Praxis wird in der Regel, abhängig vom Erlös des Generikums, eine Lizenzgebühr zwischen null und sechs Prozent gewährt. Die Entscheidungen darüber, ob die Zwangslizenz erteilt oder in welcher Höhe eine Lizenzgebühr festgelegt wird, werden nach Artikel 31 TRIPS durch ein übergeordnetes Gericht o-der eine übergeordnete Behörde kontrolliert.
Zwangslizenzen sind aber nicht nur bei einem nationalen Notstand oder in Fällen äußerster Dringlichkeit erlaubt, wie etwa zur Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria oder Tuberkulose. Den TRIPS-Mitgliedstaaten steht es vielmehr frei, im nationalen Recht weitere Fall-gruppen für die Erteilung von Zwangslizenzen vorzusehen. In der Ministererklärung von Doha vom 14. November 2001 zum TRIPS-Übereinkommen und zur Volksgesundheit wurde ausdrücklich klargestellt: Die Mitgliedstaaten sind berechtigt, Maßnahmen zum Schutz der Volksgesundheit zu ergreifen, insbesondere den Zugang der Bevölkerung zu Medikamenten zu fördern.
Je geringer der Schutz, desto kleiner der Anreiz für Forschung und Entwicklung
Allerdings ist äußerst zweifelhaft, ob sich hieraus stets ein unbedingter Vorrang des nationalen öffentlichen Gesundheitsschutzes vor dem Patentrecht ableiten lässt. Denn der letzte Halbsatz von Artikel 8 TRIPS, wonach die Maßnahmen der Mitglieder stets mit "diesem Übereinkommen vereinbar" sein müssen, stellt ausdrücklich klar, dass das im Rahmen von TRIPS etablierte System zum Schutz des geistigen Eigentums grundsätzlich Bestand haben muss - und nicht einseitig zu Lasten des Patentschutzes aufgeweicht werden darf.
Sollte Bayer gegen die Entscheidung Rechtsmittel einlegen, gilt es abzuwägen zwischen den Interessen des Konzerns an einer Ausschließlichkeitsstellung und dem allgemeinen Interesse der Volksgesundheit. An einer angemessenen Interessenabwägung dürfte nicht zuletzt auch der indischen Regierung selbst gelegen sein. Denn ein schwacher Patentschutz lässt mittelfristig jeglichen Anreiz dafür schwinden, in Forschung und Entwicklung neuer Medikamente oder Verfahren zu investieren. Und auch wenn Indiens Pharmaindustrie, immerhin die drittgrößte weltweit, momentan fast ausschließlich Generika herstellt, befindet sich der forschende Zweig dort inzwischen ebenfalls im Aufbruch. Die indischen Pharmaproduzenten könnten daher in nicht allzu ferner Zukunft mit denselben Problemen konfrontiert sein wie Bayer heute.
Dr. Gisbert Hohagen ist Partner und Sara Burghart Senior Associate im Münchner Büro der internationalen Wirtschaftskanzlei Taylor Wessing. Beide Autoren sind auf Geistiges Eigentum und hierbei insbesondere Patentrecht spezialisiert.
Zwangslizenz für Krebsmittel von Bayer: . In: Legal Tribune Online, 03.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5930 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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