Müller-Urteil zu befristeten Verträgen im Fußball: Den Finger in die Wunde gelegt

von Johannes Arnhold

30.03.2015

2/2: "Verschleiß" und "Abwechslungsbedürfnis der Öffentlichkeit"

Eine sachgerechte und praktikable Begriffseingrenzung, die den Besonderheiten des Sports umfänglich Rechnung tragen würde, gibt es allerdings nicht. Die Rechtsprechung hat bislang – wie nun auch das Arbeitsgericht Mainz -  in den wenigen abzuurteilenden Fällen vor allem auf die "Eigenart der Arbeitsleistung" abgestellt. Anders als die Mainzer Richterin nun wurden jedoch bislang recht großzügig eigens entwickelte Fallgruppen herangezogen.

So hat das BAG bereits in den 1980-er Jahren den Begriff des "Verschleißtatbestands" bei Trainern geprägt: Die Befristung von Arbeitsverträgen ist rechtfertigt, wenn die Gefahr besteht, dass die Fähigkeit eines Trainers zur weiteren Motivation seiner Spieler nachlässt.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg hat zudem mit dem Hinweis auf das "Abwechslungsbedürfnis der Öffentlichkeit" entschieden, dass auch das Interesse des Zuschauers einen befristeten Vertrag rechtfertigen kann.

Diese Figur ist aus dem Bühnen- und Unterhaltungsbereich entlehnt. Die Nürnberger Richter gingen davon aus, dass sich das Publikum im Fußball nach einer gewissen Zeit Abwechslung bei der "Fußballshow" wünsche. Zudem bemühte das OLG   die  Konkretisierungen der "Erfolgsbezogenheit des Fußballs" bzw. der "nachlassenden Leistungsfähigkeit".

Im Fußball geht es um mehr als nur Show

Die Entscheidungen wurden zu Recht kritisiert. Der Verschleißtatbestand ist nicht ohne weiteres auf Spieler zu übertragen. Bei der Anwendung auf Trainer gibt es zumindest prominente Gegenbeispiele als Argumente dafür, dass diese Figur konstruiert erscheint: So waren Otto Rehhagel und später Thomas Schaaf beim SV Werder Bremen über viele Jahre erfolgreich, ohne Anzeichen von Verschleiß zu zeigen. Auch in England gibt es mit Sir Alex Ferguson und Arsène Wenger Anschauungsobjekte für dauerhaften Erfolg von Coachs.

Auch das "Abwechslungsbedürfnis der Öffentlichkeit" mag man bezweifeln, denn das primäre Interesse von Fußballfans dürfte immer noch dem Erfolg der unterstützten Mannschaft dienen. Gerade das würde aber durch ein ständiges und beliebiges Austauschen des handelnden Personals nicht unbedingt gefördert. Philipp Lahm ist  ein anschauliches Beispiel für einen Unterhaltungswert trotz Vereinstreue.

Schließlich kann man auch über nachlassende Leistungsfähigkeit im Alter als Befristungsgrund streiten. Gerade bei Torhütern findet sich häufig das Phänomen, dass die mit zunehmendem Alter statistisch steigende Verletzungsanfälligkeit durch Erfahrung und Routine ausgeglichen werden kann. So haben Oliver Kahn, Jens Lehmann oder der noch immer aktive Gianluigi Buffon ihren Leistungszenit erst im reiferen Torwartalter erreicht. Aus arbeitsrechtlicher Sicht wird also immer die Frage bleiben, wo hier eine Grenze zu ziehen wäre.

Gesetzesänderung oder Tarifvertrag?

Wegen der wenig überzeugenden Argumente in der bisherigen Rechtsprechung ist die nun vom ArbG in Mainz vorgenommene Auslegung zumindest nicht abwegig. Ob das Urteil jedoch die Besonderheiten des Sports hinreichend gewürdigt hat, wird man erst nach Veröffentlichung der Urteilsgründe bewerten können. Es ist anzunehmen, dass sich eine mögliche Berufung, welche Mainz 05 nach Medienberichten bereits angekündigt hat, genau auf dieses Kriterium stützen wird. Schließlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass erfolgreicher  Profisport von der körperlichen Leistungsfähigkeit einzelner Athleten abhängt. Die Halbwertszeiten sportlichen Erfolgs sind daher begrenzt.

Unabhängig davon, wie die höheren Instanzen entscheiden werden, bedarf es bei der Frage der Befristung im Sport mittelfristig einer Lösung. Denkbar wäre etwa die Einführung eines Tarifvertrags für Fußballprofis, wie es ihn in Spanien oder Italien gibt. Dieser könnte u.a. die Befristungsfrage zwischen Fußballprofis und ihren Klubs regeln. Alternativ wäre eine Anpassung des TzBfG und die Einführung eines auf den Sport zugeschnittenen Regelbeispiels möglich. Allerdings würde das ein Zutun des Gesetzgebers erfordern, der es  anders – anders als im Arbeitszeitgesetz, das nun sportspezifische Regelungen enthält - im Rahmen der Novellierung des TzBfG verpasst hat, die Eigenheiten des Sports zu berücksichtigen.

Man könnte es somit auch als Chance deuten, dass die zuständige Richterin des Gerichts  in Mainz den Finger in eine offene Wunde gelegt hat. Immerhin bietet sich nun die Möglichkeit, eine schon längere währende Rechtsunsicherheit zu klären.

Wie auch an anderer Stelle, etwa in der Causa Pechstein oder dem Rechtstreit des SV Wilhelmshaven mit dem Norddeutschen Fußballverband wird  es maßgeblich darauf ankommen, dass sich der Sport – in diesem Fall der Profifußball –eingestehen muss, dass es keinen rechtsfreien oder auch nur weitgehend rechtsentleerten Raum für ihn geben kann. Auf der anderen Seite tragen Justiz und ggfs. der Gesetzgeber ihrerseits die Verantwortung, die Besonderheiten des Sports unter Wahrung der verfassungsrechtlich abgesicherten Autonomie angemessen zu berücksichtigen.

Der Autor Johannes Arnhold ist Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Sportrecht und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Rechtswissenschaft an der Technischen Universität Ilmenau sowie Lehrbeauftragter für Sportrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist Mitautor eines Lehrbuchs zum Sportrecht.

Zitiervorschlag

Johannes Arnhold, Müller-Urteil zu befristeten Verträgen im Fußball: Den Finger in die Wunde gelegt . In: Legal Tribune Online, 30.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15101/ (abgerufen am: 17.07.2024 )

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