Müssen Einigungsstellen jetzt wieder in Präsenz stattfinden? Immerhin gibt es keine gesetzgeberische Klarstellung, dass sie weiterhin virtuell erlaubt sind. Das schadet aber nichts, meinen Robert von Steinau-Steinrück und Nils Jöris.
Mit zunehmender Verbreitung des Corona-Virus erkannte der Gesetzgeber schnell, dass die bisherige Praxis, Einigungsstellen ebenso wie Betriebsratssitzungen in Präsenz durchzuführen, mit der Pandemie unvereinbar ist. Deshalb erließ er § 129 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), der zum 1. März 2020 in Kraft trat. § 129 II iVm. § 129 I 1 BetrVG stellte klar, dass die Teilnahme an Sitzungen der Einigungsstelle mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen kann, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können.
Zum 30. Juni 2021 tritt diese befristete Regelung nun wieder außer Kraft. Dabei ist das Ende der Pandemie bekanntlich noch nicht erreicht. Die Infektionsgefahr bei der Durchführung von Präsenzsitzungen ist nicht gebannt. Außerdem wird zur Durchführung von Präsenzsitzungen nicht wieder jede(r) bereit sein. Abgesehen davon hat sich das virtuelle Einigungsstellenverfahren als praktikabel, kostensparend und effektiv erwiesen.
Zurück in die Vergangenheit?
In Bezug auf Betriebsratssitzungen hat der Gesetzgeber dies endlich erkannt. Daher hat er für diese mit dem zum 18. Juni 2021 in Kraft getretenen Betriebsrätemodernisierungsgesetz die Möglichkeit der Durchführung per Video- und Telefonkonferenz dauerhaft festgeschrieben und damit einen zaghaften Schritt Richtung Digitalisierung der Mitbestimmung unternommen. Für Sitzungen von Einigungsstellen hat er diesen Schritt leider unterlassen.
Mit dem Außerkrafttreten des § 129 BetrVG hat die Gesetzeslage zu der Möglichkeit einer virtuellen Einigungsstelle also wieder ihren ursprünglichen Zustand angenommen. Unseres Erachtens besteht auch schon danach bereits die Möglichkeit des Einigungsstellenverfahrens per Video- oder Telefonkonferenz.
Spärliche Vorgaben im BetrVG
Das BetrVG enthält nur spärliche Vorgaben zum Ablauf des Verfahrens der Einigungsstelle. Gem. § 76 III 2-4 BetrVG fasst die Einigungsstelle ihre Beschlüsse nach mündlicher Beratung mit Stimmenmehrheit. Bei der Beschlussfassung hat sich der Vorsitzende zunächst der Stimme zu enthalten; kommt eine Stimmenmehrheit nicht zustande, nimmt der Vorsitzende nach weiterer Beratung an der erneuten Beschlussfassung teil.
Die Beschlüsse sind schriftlich niederzulegen und vom Vorsitzenden zu unterschreiben oder nach dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz in elektronischer Form niederzulegen und vom Vorsitzenden mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen sowie Arbeitgeber und Betriebsrat zuzuleiten. Gem. § 76 IV BetrVG können weitere Einzelheiten des Verfahrens in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden.
Durch die Formulierung "weitere Einzelheiten" kommt nach allgemeiner Auffassung zum Ausdruck, dass dabei nicht von den Vorschriften des § 76 III BetrVG abgewichen werden darf. Dazu, ob das Einigungsstellenverfahren auch virtuell durchgeführt werden kann, trifft § 76 BetrVG aber keine Aussagen.
Wie mündlich ist die virtuelle Sitzung?
Teile der Literatur und eine Reihe von Einigungsstellenvorsitzenden nehmen an, dass einzelne Sitzungen der Einigungsstelle per Video- oder Telefonkonferenz erfolgen können. Die finale mündliche Beratung der stimmberechtigten Mitglieder sowie die Beschlussfassung müssten hingegen in einer Präsenzsitzung erfolgen. Die Beratung in der Einigungsstelle ähnele der Verhandlung vor Gericht. Außerdem gebiete der Grundsatz der "Mündlichkeit" die physische Anwesenheit der Mitglieder. Die Beschlussfassung schließe sich unmittelbar an die Beratung an, dafür müssten alle an einem Ort sein.
Einige Autoren gehen davon aus, dass auch die finale Beratung und Beschlussfassung der Einigungsstelle per Video- oder Telefonkonferenz vollzogen werden können. Das Erfordernis der Mündlichkeit bedeute nicht eine Pflicht zur gleichzeitigen körperlichen Anwesenheit der Einigungsstellenmitglieder. Vielmehr solle bloß eine Beschlussfassung im schriftlichen Umlaufverfahren untersagt werden. Der Sinn und Zweck mündlicher Beratung bestehe außerdem nur darin, eine unmittelbare Rede und Gegenrede zu ermöglichen. Dies sei auch bei einer Video- oder Telefonkonferenz ohne Probleme gewährleistet.
Des Weiteren sehe das BetrVG für die abschließende Beratung und Beschlussfassung im Einigungsstellenverfahren keine Anwesenheitspflicht vor, wie z.B. § 33 I 1 BetrVG für Betriebsratsbeschlüsse. Auch bestehe keine Gefahr für den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Beschlussfassung. Durch eine entsprechende technische Ausstattung könne eine verschlüsselte Kommunikation gewährleistet werden. Zudem sei auch unter körperlich Anwesenden eine Aufzeichnung oder Übertragung nicht auszuschließen.
Virtuell war möglich und kann es bleiben
Da das BetrVG keine abweichenden Vorgaben enthält, ist auch die finale Beratung und Beschlussfassung im Einigungsstellenverfahren unseres Erachtens per Video- oder Telefonkonferenz möglich. Das Gesetz steht einem virtuellen Einigungsstellenverfahren nicht entgegen, denn § 76 BetrVG fordert - anders als § 33 I 1 BetrVG - keine Anwesenheit der Mitglieder.
Dementsprechend hat das Betriebsrätemodernisierungsgesetz in § 33 I 2 BetrVG für Betriebsratssitzungen auch die Teilnahme per Video- oder Telefonkonferenz der Anwesenheit der Mitglieder gleichgestellt. Für die Einigungsstelle war dies nicht notwendig. Die Gegenansicht wird argumentieren, der Gesetzgeber hätte durch § 129 II BetrVG nicht zeitlich befristet Video- oder Telefonkonferenzen im Einigungsstellenverfahren zugelassen, wenn er dies ohnehin für generell zulässig erachtet hätte. Allerdings hatte der Gesetzgeber mit dem Erlass des § 129 BetrVG in großer Eile auf erhebliche praktische Rechtsunsicherheiten während der Corona-Pandemie reagiert. Die Frage, inwiefern virtuelle Sitzungen von Betriebsrat und Einigungsstelle generell möglich sind, wollte er offensichtlich nicht abschließend regeln. Dies zeigt sich schon daran, dass der Gesetzgeber noch während der Geltung des § 129 BetrVG das Betriebsrätemodernisierungsgesetz in Kraft gesetzt hat.
Für die Zulässigkeit von Video- oder Telefonkonferenzen in sämtlichen Sitzungen des Einigungsstellenverfahrens sprechen die guten Erfahrungen, die während der Pandemie damit gemacht werden konnten. Das Erfordernis der Mündlichkeit und der damit verfolgte Zweck von Rede und Gegenrede konnte in den virtuellen Verhandlungen ohne weiteres erfüllt werden. Zu hitzigen Diskussionen kommt es hier genauso wie zu Einvernehmen und Kompromissen.
Ein bisschen was bliebe zu regeln – unter den Parteien
Am besten ist es, wenn die Betriebsparteien das Ob und Wie des virtuellen Einigungsstellenverfahrens in einer Betriebsvereinbarung regeln. Mit der Verfahrensvorschrift des § 76 BetrVG ist dies ohne weiteres vereinbar. Dabei wäre die rechtzeitige Festlegung der technischen Komponenten, der Sicherstellung verschlüsselter Kommunikation sowie des genauen Ablaufs zu regeln. Die Betriebsparteien können somit über den Einsatz von Video- und Telefonkonferenzen frei entscheiden. Tun sie dies nicht, kann die Einigungsstelle nach pflichtgemäßem Ermessen eine Entscheidung treffen.
Der Autor Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück ist Partner bei Luther Rechtsanwälte in Berlin und auf das Arbeitsrecht spezialisiert.
Der Autor Nils Jöris ist Wiss. Mitarbeiter bei Luther Rechtsanwälte in Berlin.
Die virtuelle Einigungsstelle: . In: Legal Tribune Online, 30.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45339 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag