Das LG Augsburg hat den Münchener Strafverteidiger Stephan Lucas vom Vorwurf der Strafvereitelung freigesprochen. Zwar erfülle sein Handeln den objektiven Tatbestand, das Gericht ging jedoch zu seinen Gunsten davon aus, dass er dabei ohne Vorsatz handelte. Stephan Lucas und die anwesenden Anwaltsorganisationen zeigten sich nach der Verkündung erleichtert.
Das Urteil fiel "knapp in dubio pro reo", sagte der Vorsitzende Richter am Landgericht (LG) Thomas Junggeburth in seiner Urteilsbegründung am Freitagnachmittag. Lucas war von der Staatsanwaltschaft Augsburg angeklagt worden, weil er in einer Revisionsbegründung falsche Angaben zu einem Deal-Gespräch gemacht habe.
Nach sieben Sitzungstagen kam nun das LG Augsburg zu dem Schluss, dass die betroffenen Richter Haeusler und Ballis in dem nicht bestrittenen Gespräch mit Anwalt Lucas kein Angebot gemacht haben.
Ein verbindliches Angebot hätten sie ohne die Schöffen gar nicht machen können, argumentierte Richter Junggeburth. Auch wäre ein Angebot durch die Richter ein Affront gegenüber der Staatsanwaltschaft gewesen. Lucas habe seinerseits auch nichts anzubieten gehabt, insbesondere keine Geständnisbereitschaft seines Mandanten. Die beiden Richter hätten also keinen Anlass gehabt, Lucas Drängen nach einem Angebot nachzugeben. Allenfalls sei abstrakt über ein mögliches Strafmaß von viereinhalb Jahren gesprochen worden.
Die Richter billigten Lucas aber zu, dass er nach dem Gespräch davon überzeugt war, ein Angebot erhalten zu haben. Überzeugt hatte sie die Aussage von Lucas' Kollegin, der Anwältin Ricarda Lang. Mit ihr hatte sich Lucas nach dem Deal-Gespräch beraten, ob er seinem Mandanten eine Annahme des Angebots empfehlen solle. Lang habe als Anwältin die "Vermutung der Glaubwürdigkeit" für sich, so Junggeburth. Auch gebe es keine Anzeichen, dass Lucas das Gespräch mit Lang für spätere Beweiszwecke inszeniert habe.
LG Augsburg: Objektiver Tatbestand erfüllt
Eine objektiv versuchte Strafvereitelung sah die Kammer darin, dass Lucas in seiner Revisionsbegründung behauptet hatte, die Augsburger Richter hätten viereinhalb Jahre Haft für ein Geständnis im Sinne der Anklage angeboten.
Tatsächlich war Lucas jedoch davon ausgegangen, sein Mandant müsse für eine so niedrige Strafe nicht nur gestehen, sondern auch Aussagen als Kronzeuge (gemäß § 31 Betäubungsmittelgesetz) machen.
In diesem Sinne hatte Lucas sich sowohl gegenüber seiner Kollegin Lang als auch gegenüber seinem Mandanten geäußert. Erst indem er diesen Zusatz in der Revisionsbegründung wegließ, wirkte die Sanktionsschere zwischen vermeintlich angebotenem und tatsächlich ausgesprochenem Urteil unerklärlich groß.
"Wenn der Angeklagte dabei bewusst gelogen hat, muss er wegen Strafvereitelung bestraft werden", sagte Richter Junggeburth. Davon sei das Gericht aber letztlich nicht ausreichend überzeugt gewesen. Es könne sich auch um ein "Versehen aus Schlamperei oder Zeitdruck" gehandelt haben. Gegen einen bewussten Täuschungsversuch habe auch gesprochen, dass Lucas in der Revisionsbegründung ausdrücklich die Einholung einer dienstlichen Äußerung der Richter Haeusler und Ballis angeregt hatte. In dubio pro reo sei Lucas deshalb freigesprochen worden. "Wir wollten nicht 'Hau den Lucas' spielen", sagte Richter Junggeburth.
LG Augsburg: "Die Justiz kann auch mit Konfliktverteidigung leben"
In seiner hektisch und atemlos vorgetragenen Urteilsbegründung betonte Junggeburth, es sei in diesem Verfahren nie darum gegangen, "Verteidiger wegen ihrer gewählten Verteidigungsgstrategie zu maßregeln". Jeder Anwalt könne frei entscheiden, ob für seinen Mandanten ein Geständnis oder eine Konfliktverteidigung günstiger ist. "Die Justiz kann auch mit Konfliktverteidigung leben."
Ein Anwalt dürfe allerdings nicht in"freier schöpferischer Dichtung" falsche Sachverhalte vortragen. Zwar gebe es eine "Vermutung", dass ein Anwalt rechtmäßig handele, insofern sei er gegenüber sonstigen Bürgern privilegiert, so Junggeburth. Wenn aber die Vermutung widerlegt sei, dann müsse auch ein Anwalt mit Strafverfolgung rechnen. Die Justiz tue jedoch gut daran, solche Verfahren "auf das Notwendige zu beschränken".
Nachdrücklich betonte Junggeburth die Unabhängigkeit seiner Kammer. "Ein faires Verfahren war zu jeder Zeit gesichert", sagte der Vorsitzende Richter. Die "Justiz" - also Richterkollegen und Staatsanwaltschaft - habe "nicht versucht, das Gericht zu beeinflussen." Der Staatsanwaltschaft warf er nur vor, wichtige Unterlagen zurückgehalten zu haben.
LG Augsburg: Druck der Anwaltsverbände "beispiellose Respektlosigkeit"
Massiv beschwerte sich Junggeburth dagegen über Druck seitens der Anwaltsverbände. Als "beispiellose Respektlosigkeit" bezeichnete er ein Interview des Vorsitzenden der Münchener Rechtsanwaltskammer, Hansjörg Staehle, das Anfang der Woche in der Süddeutschen Zeitung erschien. Staehle hatte darin gesagt, die Anklage könne "kein vernünftiger Mensch nachvollziehen".
Immer wieder nutzte Richter Junggeburth die Urteilsbegründung zu Seitenhieben auf den Angeklagten Lucas. Dieser habe ein "immens großes Ego" und agiere in seiner Freizeit als Schauspieler in einer Fernsehsendung (bei "Richter Alexander Hold" mimt er den Staatsanwalt).
Dass Lucas lange Zeit zum Tatvorwurf schwieg, habe die Kammer zwar nicht gegen ihn gewendet, er habe damit aber auch darauf verzichtet, deeskalierend zu wirken. So sei die wichtige Aussage von Anwältin Lang erst sehr spät bekannt worden. Genüsslich erwähnte Junggeburth, dass Lucas - nach eigenen Angaben - nur 15.000 Euro Netto-Einnahmen pro Jahr haben will "einschließlich seiner Einnahmen als Schauspieler". Dass der Verteidiger zur Verkündung seines eigenen Urteils auch noch zu spät kam und das Gericht warten musste, reizte Junggeburth zusätzlich, das sei "unentschuldbar".
Hauptsache Freispruch
Lucas nahm das sportlich. "Hier ist zwar mein Charakter verzeichnet worden, aber angesichts des Freispruchs ist mir das egal." Er habe in der ersten Instanz nicht mit einem Erfolg gerechnet. Hartmut Wächtler, einer seiner beiden Anwälte, äußerte "Respekt für die Richter", die sicher sehr unter dem Druck ihrer Kollegen gestanden hätten. Als Ausübung von Druck wertete Wächtler auch die Anwesenheit von Gerichtspräsident Herbert Veh bei der Urteilsverkündung.
"Hauptsache Freispruch, egal mit welcher Begründung", kommentierte Hansjörg Staehle von der Münchener Rechtsanwaltskammer das Urteil. Martin Heiming, der Vorsitzende des Republikanischen Anwaltvereins sprach von einem aus Richtersicht "klugen Urteil", weil es trotz des Freispruchs den erwogenen Strafanzeigen gegen die Richterkollegen Haeusler und Ballis keine Nahrung gab.
Anwalt Wächtler ließ offen, ob nun auf Strafanzeigen verzichtet wird, "wir werten jetzt in Ruhe das Urteil aus." Auch die Staatsanwaltschaft kann gegen den Freispruch noch Rechtsmittel einlegen.
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Anwalt freigesprochen: . In: Legal Tribune Online, 02.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2938 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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