In Berlin demonstrieren Menschen am Freitag gegen neue Verschärfungen im Asylrecht. Rund 700 Anwälte haben bereits ihren Unmut in einem Brief an die Bundesregierung adressiert. Warum, erzählt Anwalt Matthias Lehnert.
LTO: Herr Dr. Lehnert*, ProAsyl hat für Freitag zu einer Demonstration aufgerufen. Worum geht es und wie sind Sie involviert?
Dr. Matthias Lehnert: ProAsyl erinnert mit der Demonstration an den vor 30 Jahren geschlossenen Asylkompromiss, gegen den damals Zehntausende auf die Straßen gegangen sind. Jetzt steht mit den Plänen für ein gemeinsames europäisches Asylsystem wieder eine Verschärfung an. Diese aktuell kursierenden Vorhaben höhlen das Grund- und Menschenrecht auf Flüchtlingsschutz praktisch aus. Es geht um nicht weniger als den Bestand des Rechtsstaats.
Wir haben daher einen offenen Brief verfasst, in dem wir an die Bundesregierung und die Abgeordneten des Bundestages appellieren, diesen Weg nicht mitzugehen. Dieser soll auch auf der Demonstration verlesen werden.
Wer ist in diesem Fall das "Wir"?
Wir sind Anwält:innen, die im Migrationsrecht tätig sind. Initiator:innen des Briefes sind neben mir Berenice Böhlo und Ünal Zeran vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein.
Inzwischen haben rund 700 Anwält:innen den Brief gezeichnet.
"Wie ein Anerkenntnis dieses schlimmen Zustands"
Welche Verschärfungen sind konkret geplant?
Die Europäische Union (EU) möchte Asylverfahren mit einer neuen Asylverfahrensverordnung an die Außengrenzen auslagern. Konkret bedeutet das, dass die Antragstellenden während des Verfahrens als nicht eingereist gelten und faktisch an der Grenze inhaftiert werden. Dadurch würde der Zugang zum Recht erheblich eingeschränkt, anwaltliche Beratung wäre kaum sicherzustellen.
Daneben soll das Konzept der sogenannten sicheren Drittstaaten ausgeweitet werden: Damit soll es zukünftig einfacher werden, einen Asylantrag pauschal deshalb abzulehnen, weil die Person über einen anderen Staat nach Europa eingereist ist. Dieses Vorgehen ist schon für sich völkerrechtlich nicht zulässig. Besonders problematisch wird es, wenn die EU hierbei beispielsweise konkret die Türkei vor Augen hat: Denn die Türkei hat keinen effektiven Flüchtlingsschutz und führt Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan durch, was rechtlich nicht hinnehmbar ist. Daneben steht im Raum, die Kooperationen mit Drittstaaten auszubauen oder gar Asylverfahren in Staaten außerhalb der EU auszulagern.
All diesen Konzepten ist gemein, dass Geflüchtete und ihre Schutzgesuche an die Peripherie gedrängt und ihnen der Zugang zum Recht praktisch unmöglich gemacht werden sollen.
Daneben sind auch auf nationaler Ebene verschiedene Verschärfungen geplant: Unter anderem sollen Georgien und Moldau als sichere Herkunftsländer klassifiziert, die entsprechende Liste also ausgeweitet werden. Hinzu kommen Pläne, das Vorgehen bei Abschiebungen zu verschärfen, indem es etwa einen erweiterten Zugang zu den Wohnungen der Geflüchteten geben soll. Auch der Ausreisegewahrsam soll noch länger andauern können als ohnehin schon.
Flüchtlinge leben derzeit in Lagern in Libyen oder im völlig überlaufenen Camp Moria auf Lesbos, Menschen harren in Marokko an der Grenze zu Spanien aus. Wäre ein geregeltes Asylverfahren an den Außengrenzen denn nicht besser als das, was die Menschen jetzt haben?
In der Tat funktioniert in den Ländern an den Außengrenzen wenig bis gar nichts und der Zugang zum Recht ist dort schon jetzt massiv eingeschränkt. Doch das, was die EU jetzt plant, wäre wie eine Verrechtlichung und ein Anerkenntnis dieses untragbaren Zustands. Das würde die Situation für die Menschen dort nicht verbessern, sondern sie auf Dauer festschreiben.
"Wir können ein Signal setzen"
Was können Sie mit Ihrem Brief daran ändern?
Wir wollen ein Signal setzen und darauf hinweisen, was hier auf dem Spiel steht: Es geht nicht um eine politische Gestaltung, die man so oder so handhaben kann. Wir möchten als Anwaltschaft betonen, dass es – unabhängig von jeglicher politischen Diskussion und jeder politischen Lage – rechtliche Standards gib, auf die nicht verzichtet werden kann. Dies möchten wir, sozusagen als eine Art Expertenmeinung, in den Diskurs einbringen.
Die Kommunen rufen aber laut um Hilfe bei der Versorgung der Flüchtlinge. Sind die Pläne nicht notwendiges Zeichen, dass der Bund die Nöte versteht und reagiert?
Tatsächlich kommen nach einem erheblichen Rückgang in der Pandemie nun wieder mehr Flüchtlinge nach Deutschland. Die Zahlen sind aber vor allem deshalb hoch, weil sich Deutschland – zu Recht – entschieden hat, viele Schutzsuchende aus der Ukraine aufzunehmen. Und ja, ohne Zweifel brauchen die Kommunen Hilfe bei der Versorgung. Weder ihnen noch sonst jemandem ist aber geholfen, wenn in Griechenland Menschen inhaftiert oder in die Türkei abgeschoben werden.
Außerdem ist es ohnehin keine Option, deshalb das Asylrecht praktisch abzuschaffen und die Möglichkeiten, hier und in Europa Asyl zu beantragen, abzusenken, bis außer der Hülle von der Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nichts mehr übrig ist.
Treiber ist die EU-Kommission
Die einzelnen Reglungen für ein gemeinsames Asylsystem werden auf europäischer Ebene vereinbart. Wer setzt sich für die Verschärfung ein?
Der wesentliche Treiber ist seit längerem die Europäische Kommission. Die hat schon im Jahr 2020 einen Vorschlag zur Reform des Europäischen Asylrechts vorgelegt. Da spielen die Effektivierung der Asylverfahren und die Verteilungsmechanismen aus dem Dublin-System eine Rolle – daher stammt offenbar auch die Überlegung, die Asylverfahren auszulagern, um schnellere Verfahren und damit teilweise eine schnellere Abschiebung zu ermöglichen.
Die Ampel-Koalition hat sich jetzt diesem Vorschlag angeschlossen. Die Bundesregierung sollte stattdessen den Schulterschluss mit anderen Ländern wie Frankreich, Portugal oder Luxemburg suchen, um gemeinsam die Menschenrechte zu stärken und diejenigen Staaten unter Druck setzen, die sich nicht an die Menschenrechte halten.
Könnte sich Deutschland einer gemeinsamen europäischen Lösung entziehen?
Es wäre theoretisch möglich, aber politisch nicht vorstellbar, dass die EU eine Lösung ohne Deutschland beschließen würde. Wenn doch, wäre Deutschland dennoch daran gebunden – wobei die Regelung über die Grenzverfahren vermutlich für Deutschland als Staat ohne Außengrenzen nicht relevant wäre.
Mit Blick auf die Änderungen im Asyl- und Ausländerrecht in den vergangenen zehn Jahren – was hat sich zugunsten der Schutzsuchenden verändert?
Fast nichts. Insbesondere seit dem Jahr 2015 ist das Asyl- und Aufenthaltsrecht vor allem von Verschärfungen geprägt, oft ging es auf nationaler Ebene um das Prozessrecht, viele Verfahrensrechte wurden eingeschränkt. Die Anforderungen zum Nachweis von Erkrankungen sind massiv verschärft worden, im Asylverfahren können Handys ausgelesen werden, Abschiebungshaft wurde vereinfacht. Daneben ist man auch auf nationaler Ebene bemüht, Asylverfahren auszulagern und die Menschen zu isolieren, durch Ankerzentren und beschleunigte Verfahren.
Auf der anderen Seite gibt es zwar wenige Lichtblicke, aber es gibt sie. Das Anfang dieses Jahres in Kraft getretene Chancen-Aufenthaltsrecht soll Menschen mit einer Duldung, die im Oktober 2022 fünf Jahre lang in Deutschland gelebt haben, unter bestimmten Voraussetzungen eine befristete Aufenthaltserlaubnis geben, um sich durch Arbeit oder Ausbildung in Deutschland zu etablieren. Diese Regelung ist unzureichend und wird vielen Menschen mit Duldung nicht helfen, aber immerhin hat sich etwas getan.
Welche Veränderungen im Asylrecht wären aus Sicht von Migrationsanwälten denn sinnvoll?
Abgesehen von zahlreichen Details: Statt die Außengrenzen abzuschotten, müssen vermehrt legale Zugangswege für Geflüchtete geschaffen und vereinfacht werden: Durch Aufnahmeprogramme, durch Resettlement, durch eine bessere Ausstattung der Botschaften und eine effektivere und großzügigere Handhabe des Familiennachzugs, damit Familien nicht über Jahre hinweg oder auf Dauer getrennt leben müssen.
In Deutschland, also auf nationaler Ebene, ist das Verfahrens- und Prozessrecht das größte Problem: Es ist einem Rechtstaat nicht würdig, dass Menschen, die in der Regel kaum oder weniger deutsch sprechen und das Prozedere nicht kennen, zugleich weniger Zeit haben und mehr Hürden ausgesetzt sind sowie in der Regel keine zweite Gerichtsinstanz haben, wenn Sie ihre Rechte und ihr Schutzgesuch geltend machen wollen – obwohl es um etwas derartig Existenzielles geht, ob man in einem Land bleiben darf oder nicht. Dieses Sonderrecht muss abgeschafft werden.
Und schließlich braucht es endlich eine wirklich effektive Regelung für diejenigen Menschen, die über Jahre mit einer Duldung leben, um ihnen eine Perspektive zu geben: Es ist nicht hinnehmbar, dass Hundertausende Menschen in Deutschland leben, aus familiären, gesundheitlichen Gründen oder wegen der Lage in ihrem Herkunftsland nicht abgeschoben werden dürfen – sie aber kein wirklicher Teil dieser Gesellschaft sein dürfen.
Herr Lehnert, vielen Dank für das Gespräch.
*Matthias Lehnert steht zu einem Mitglied der Redaktion in einer persönlichen Beziehung. Das Redaktionsmitglied war an der Berichterstattung nicht beteiligt.
Anwälte protestieren gegen Asylrechtspläne: . In: Legal Tribune Online, 26.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51863 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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