Im Kampf gegen Antisemitismus wollen die Länder schnellere Strafverfahren, weniger Einstellungen und auch im StGB wird wieder geschraubt – auch weil es das BMJV plötzlich so will. Strafrechtler sehen einige der Maßnahmen kritisch.
Sind Änderungen im Strafrecht opportun, um politische Signale auszusenden, ohne dass dabei ein echter Mehrwert für die Rechtsanwender rausspringt? Im Kampf gegen den Antisemitismus scheint es so: Mit breiter Mehrheit beschloss der Bundesrat am Freitag eine Änderung im Strafgesetzbuch (StGB), die zum Ziel hat, antisemitische Straftaten künftig "gezielter und härter" ahnden zu können. Dazu sollen künftig in § 46 StGB, der die Kriterien für die Strafzumessung aufzählt, auch antisemitische Motive strafverschärfend in den bereits vorhandenen, üppigen Katalog der Beweggründe des Täters aufgenommen werden. Schließlich trage das StGB "der gesamtgesellschaftlichen wie auch forensischen Bedeutung, die antisemitisch motivierten Taten zumal in Zeiten steigender Fallzahlen zukommt, nicht ausreichend Rechnung", heißt es in der Begründung des Entwurfs der Länderkammer.
Von der Gesetzesänderung erhoffen sich die Länder auch ein Signal für die Ermittlungsbehörden: Diese sollen so "zu einer frühzeitigen Aufklärung und Berücksichtigung möglicher antisemitischer Beweggründe und Ziele beim Beschuldigten angehalten werden."
Einen aktuellen Bezug erfährt der Gesetzesantrag durch den antisemitisch motivierten Anschlag auf die Synagoge von Halle. Die CDU behandelte das Thema deshalb auch auf ihrem Bundesparteitag kürzlich in Leipzig und sprach sich ebenfalls für die Änderung im StGB aus.
Für die Rechtspraxis komplett irrelevant?
Aber besteht dazu tatsächlich irgendeine Notwendigkeit? Strafrechtler bezweifeln das. Und auch im BMJV war man zumindest am Anfang der Woche nicht wirklich von der StGB-Änderung überzeugt. Der Grund: Erst 2015 zog der Bundestag Konsequenzen aus der NSU-Terrorserie und erweiterte den Katalog der Strafzumessungsumstände in § 46 Abs. 2 S. 2 um "rassistische, fremdenfeindliche und sonstige menschenverachtende" Motive.
Wie sich aus der Begründung des damaligen Gesetzes ergibt, hatte der Gesetzgeber dabei auch antisemitische Beweggründe im Blick: "Der Gesetzgeber hat bei der Ergänzung des § 46 Abs. 2 StGB ausdrücklich betont, dass unter diese allgemeine Formulierung gerade auch antisemitische Motive fallen", wie BMJV-Sprecher Maximilian Kall gegenüber LTO noch am Dienstag betont. Dies sei in der Rechtspraxis auch vollkommen unstrittig, ebenso wie der Umstand, dass z. B. auch homophobe oder antiziganistische Motive unter diese Regelung fallen.
Besteht also kein Änderungsbedarf? Umso verwunderlicher daher, dass sich Justizministerin Christine Lamprecht in der Justizhaushaltsdebatte am Donnerstag den Bundesratsvorschlag inhaltlich komplett aneignete und trotz der Rechtsauffassung ihres Hauses diesen als "wichtiges und richtiges Signal gegen Antisemitismus" interpretierte. Auch sie werde jetzt eine solche Änderung im StGB vorschlagen. Über Twitter erklärte das Ministerium auf Nachfrage, dass das "Ausmaß der Bedrohung von Juden in Deutschland" den Schritt notwendig mache.
SPD: "Wir diskutieren vorrangig andere Maßnahmen"
Allerdings: In der eigenen Fraktion der Ministerin hält man eine solche Änderung im StGB für überhaupt nicht dringlich. "Wir diskutieren momentan vorrangig andere Maßnahmen, wie etwa einen Straftatbestand gegen die Verbrennung der israelischen Flagge und eine bessere Förderung von Verbänden und Einrichtungen, die sich gegen Antisemitismus engagieren", sagt der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Johannes Fechner zu LTO.
Betreiben Bundesrat und Bundesregierung also aufgeschreckt durch aktuelle Ereignisse in Sachen Antisemitismus reine Symbolpolitik? Einige Strafrechtler wie etwa der Regensburger Hochschullehrer Prof. Dr. Tonio Walter sehen das so. Auch wenn die Ergänzung im StGB seiner Meinung nach am Ende keinen Schaden anrichte, sagt er: "Die Gerichte bewerten solche Motive auch so strafschärfend. Und solange mit einem solchen Motiv kein anderer, also schärferer Strafrahmen verknüpft wird, sondern lediglich allgemeine Strafzumessungskriterien des § 46 StGB in Rede stehen, hätte die ausdrückliche Erwähnung eines solchen Motivs keine größere Steuerungswirkung als das geltende Recht."
Walter befürchtet sogar, dass die Änderung im StGB "einen Sog in Form der Frage erzeugen könnte, ob man nun nicht auch noch weitere besonders verwerfliche Motive in § 46 StGB hervorheben müsse - deren Zahl schnell ausufern könnte, zum Beispiel Frauen-, Kinder-, Männer-, Behinderten-, Polizisten-, Demokratie-, Alters-, Religionsfeindlichkeit und so weiter."
Strafrechtsprofessor: "Ausdruck besonderer gesellschaftlicher Ächtung"
Für den Augsburger Strafrechtsprofessor Dr. Michael Kubiciel steht deshalb bei der Initiative des Bundesrates auch weniger der praktische Nutzen für die Rechtspraxis, als vielmehr das von ihr ausgehende Signal im Vordergrund: "Die besondere Betonung hat einen zusätzlichen rechtskommunikativ-symbolischen Wert: Es wird allen - der rechtstreuen Bevölkerung, aber auch potenziellen Straftätern - gegenüber signalisiert, dass Antisemitismus menschenverachtend und strafrelevant ist, nicht nur den Rechtsanwendern, die unter einen allgemeinen Begriff subsumieren können."
Außerdem, so Kubiciel, sei der Kampf gegen den Antisemitismus Teil "unserer bundesrepublikanischen Staatsgründungsidee", das Strafrecht dürfe dem durchaus Rechnung tragen. Ähnlich sieht es der Göttinger Strafrechtler Prof. Dr. Kai Ambos: Ihn überzeugt die Länderinitiative "angesichts unserer besonderen historischen Verantwortung und der Bedeutung von strafschärfenden Strafzumessungsfaktoren als Ausdruck besonderer gesellschaftlicher Ächtung."
Mehr Bauschmerzen als eine für die Rechtspraxis irrelevante und unschädliche Änderung im StGB machen den Strafrechtlern jedoch andere Pläne der Länder, die in der nächsten Woche auf der Innenministerkonferenz (IMK) in Lübeck beschlossen werden könnten. Ganz oben auf der Tagesordnung geht es auch dort um "Intensivierung und Ausweitung der Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/Antisemitismus in Deutschland".
"Kurzer Prozess" gegen Rechtsextremisten?
Um rechtsextremistische Straftaten konsequenter verfolgen zu können, sollen Schwerpunktstaatsanwaltschaften geschaffen werden und "vermehrt Gebrauch vom Instrument beschleunigter Verfahren (§§ 417 ff StPO)" gemacht werden, wie es im Entwurf der IMK-Tagesordnung heißt, die LTO vorliegt. Die Verfolgung derartiger Taten soll offenbar auch verstärkt im "besonderen öffentlichen Interesse" stehen. So könnten nach Vorstellungen der Innenminister bei ihnen "weniger Opportunitätseinstellungen nach §§ 153, 153a StPO und Verweisungen auf Privatklageweg genutzt werden".
Strafrechtler kritisieren unterdessen einen "kurzen Prozess" gegen Rechtsextremisten: "Das beschleunigte Verfahren der §§ 417 ff. StPO ist rechtsstaatlich defizitär und sollte eher zurückgedrängt als ausgeweitet werden", meint etwa Walter. So sieht es auch Ambos: "Die Verkürzung des Strafverfahrens, klassisch durch Strafbefehle oder das beschleunigte Verfahren, wirft Bedenken mit Blick auf das Recht auf effektive Verteidigung auf."
Und was die Bildung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften im Bereich Rechtsextremismus/Antisemitismus in den Ländern angeht: Überzeugt ist auch von dieser Maßnahme keiner der von LTO befragten Strafrechtler: "Schwerpunktstaatsanwaltschaften dürften für das Gebiet rechtsextremer Kriminalität keine großen Vorteile bringen, da es - anders als bei der Wirtschaftskriminalität - nicht darum geht, besondere Kenntnisse und rechtsgebietsspezifischen Fähigkeiten zu haben", so Walter.
Auch Kubiciel äußert Zweifel: "Hier handelt es sich ja nicht um einen abgrenzbaren rechtlichen Bereich, sondern um kriminologische Phänomene. Außerdem ist bei der Ermittlung etwa wegen rechtsradikaler Beleidigungen keine besondere Expertise notwendig, anders als etwa bei der Verfolgung von Wirtschaftsstraftaten oder Doping."
Ambos warnt auch in diesem Kontext vor "reiner Symbolpolitik", wenn solche Staatsanwaltschaften nicht auch entsprechend personell ausgestattet würden, so dass sie auf operativer Ebene auch nachhaltig wirken könnten.
Beschleunigtes Verfahren und härtere Strafen: . In: Legal Tribune Online, 29.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38973 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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