Die Kennzeichnungspflicht für die Polizei in NRW soll abgeschafft werden, sie sei Ausdruck von Misstrauen gegenüber den Beamten. Jens Puschke hält das für eine rückwärtsgewandte Auffassung von der Rolle der Polizei in einer Demokratie.
Die gesetzliche Kennzeichnungspflicht für Polizeivollzugsbeamte* wurde im vergangenen Dezember in das nordrhein-westfälische Polizeigesetz eingeführt (§ 6a Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen). Ihre Lebenszeit wird wohl von kurzer Dauer sein, denn die Fraktionen von CDU, FDP und AfD im dortigen Landtag wollen sie wieder abschaffen. Dies soll "politische Rückendeckung" für die Polizei demonstrieren, wie es in einem Antrag der Fraktionen von CDU und FDP steht.
Dieser Schritt sei insbesondere vor dem Hintergrund steigender gewalttätiger Übergriffe auf Polizeivollzugsbeamte geboten. Weiterhin sei eine Kennzeichnung auch deshalb nicht erforderlich, da keine Fälle bekannt seien, in denen Ermittlungen gegen Angehörige des Polizeivollzugsdienstes in NRW aufgrund mangelnder Identifizierbarkeit beim Einsatz in Einheiten der Bereitschaftspolizei oder Alarmeinheiten gescheitert wären.
Das Vorhaben und die dafür vorgebrachten Argumente können allerdings nicht überzeugen.
Kennzeichnungspflicht als Element rechtsstaatlicher Kontrolle
Die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte besteht - soweit ersichtlich - zurzeit in neun Bundesländern und in den meisten Ländern der Europäischen Union. Dies hat gute Gründe, denn sie fördert die Transparenz staatlichen Handelns und ermöglicht dessen Kontrolle, ohne die die besonderen Eingriffsbefugnisse der Polizei nicht zu legitimieren wären. Effektive Kontrolle und effektiver Rechtsschutz setzen die Möglichkeit voraus, handelnde Personen zu identifizieren und ihnen die Verantwortung für ihr Handeln zuweisen zu können. Verwaltungsrechtliches und strafrechtliches Vorgehen gegen rechtswidriges polizeiliches Handeln gingen weitgehend ins Leere, würde die Identifizierung verantwortlicher Personen nicht gelingen. Identifizierbarkeit hat zudem präventive Effekte, die Fehlverhalten vorbeugen können.
Zwar geht mit einer individuellen Kennzeichnungspflicht ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Beamten einher. Die Eingriffstiefe ist allerdings - jedenfalls bei einer pseudonymisierten Kennzeichnung etwa in Form eines Codes - gering. Auch die häufig geäußerte Befürchtung, dass eine Kennzeichnung zu Übergriffen auf Beamte bis ins Private führe, ist mit einer solchen Kennzeichnung unbegründet. Das Allgemeininteresse an der Kontrollierbarkeit staatlichen Handelns rechtfertigt daher die Kennzeichnungspflicht.
Dass die Identifizierbarkeit von Angehörigen der Polizei bei Ermittlungen kein Problem darstelle, wie es in dem Antrag der Fraktionen von CDU und FDP heißt, darf bezweifelt werden: So wurden 546 von 661 Strafverfahren (82,6 Prozent) wegen Gewaltausübung und Aussetzung durch Polizeibeamte im Jahr 2015 von der Staatsanwaltschaft in NRW gem. § 170 II Strafprozessordnung mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Dass sich hierunter kein einziges befunden haben soll, bei dem sich der Tatverdacht nicht auf eine bestimmte Person konkretisieren ließ, ist unwahrscheinlich. Selbst wenn Tatverdächtige vielfach ohne Kennzeichnung ermittelt werden können, würde die Kennzeichnung die Ermittlungen dennoch vereinfachen und ihr Ergebnis sicherstellen. Hinzu kommt, dass Anzeigen häufiger unterlassen werden, es also gar nicht zu einem Ermittlungsverfahren kommt, wenn die Identifizierung von vornherein ausgeschlossen ist.
Freilich ist die Kennzeichnungspflicht nur eines von vielen Mitteln, um Ermittlungsmöglichkeiten zu verbessern. So wird die Kennung eines Beamten auch in Bundesländern, in denen eine entsprechende Pflicht besteht, in eher wenigen Fällen bei einer Anzeige angegeben. Für mögliche Straftaten von Polizeibeamten ist eine unabhängige Beschwerdestelle mit Ermittlungsbefugnissen deshalb mindestens ebenso bedeutsam. Sie könnte auch Interessenskonflikte vermeiden, die entstehen, wenn Polizisten gegen Kollegen ermitteln müssen.
2/2: Transparenz und Vertrauen sind keine Gegensätze
Rechtsstaatliche Kontrolle und Vertrauen in die Arbeit von staatlichen Institutionen sind dabei keine Gegensätze, sie bedingen sich vielmehr. Ein offenes Gegenübertreten, der erkennbare Wille zur Aufdeckung und Bearbeitung von Fehlverhalten und ein verantwortungsvolles Eintreten gegen Rechtsverletzungen seitens der Polizei stärken das Vertrauen der Bürger in deren Arbeit. Die individuelle Kennzeichnung ist Ausdruck des gewandelten Verständnisses von der Polizei als demokratische und bürgernahe Behörde.
Die Kennzeichnungspflicht entspricht darüber hinaus dem Wunsch der Mehrheit in der Bevölkerung. Wie Umfragen ausweisen, sprechen sich circa drei Viertel der Befragten und auch Teile der Polizei für zumindest eine Form der Kennzeichnungspflicht aus. Zwar ist der Mehrheitswille der Bevölkerung - gerade, wenn er nur durch Umfragen ermittelt wird - nicht immer ein guter Berater, wenn es um rechtspolitische Entscheidungen geht. Allerdings zeigen Befragungen auch, dass der Polizei konstant hohe Anerkennungs- und Vertrauenswerte zugesprochen werden. Dies offenbart, dass Anerkennung, Vertrauen und der Wunsch nach Transparenz zusammenfallen können. Misstrauen dürfte es entgegen des Vorhabens der drei NRW-Fraktionen vielmehr erzeugen, wenn die Kennzeichnungspflicht ohne überzeugende Gründe wieder abgeschafft wird.
Nur eine selbstbewusste Polizei kann gute Arbeit leisten
Die Kennzeichnungspflicht als Misstrauensbeweis aufzufassen, unterstellt der Mehrheit der deutschen Bevölkerung und den politisch Verantwortlichen in vielen Bundesländern und in der EU eine feindselige Haltung gegenüber der Polizei. Wenn dieser Vorwurf mit angeblich steigender Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber Polizisten verbunden wird, weist dies der Polizei eine strukturelle Opferrolle zu: Sowohl bei der täglichen Arbeit für die Sicherheit der Menschen als auch in der öffentlichen Debatte sei sie permanent unberechtigten Angriffen ausgesetzt.
Diese Opferrolle, die nicht zuletzt auch durch die Verschärfung der Strafvorschriften des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte gefestigt wurde, entspricht jedoch nicht der wehrhaften, selbstständigen und einflussreichen Stellung der Polizei als Institution und wird ihrem Wert für das demokratische Gemeinwesen nicht gerecht.
Die Selbstwahrnehmung als Opfer in Teilen der Polizei wird dementsprechend auch seit Jahren kritisiert, so etwa vom Polizeiforscher und -ausbilder Rafael Behr. Denn in konkreten Konfliktsituationen, in denen die Polizei beteiligte Partei ist, kann und darf sie sich angemessen zur Wehr setzen. Dies ermöglicht ein selbstbewusstes Auftreten auf Augenhöhe, das im Konfliktfall Spielräume für Deeskalation bietet. Permanente Angst vor Übergriffen oder der Ärger über Respektlosigkeiten hingegen beschränkt diese Spielräume.
Das Gleiche gilt in der öffentlichen Debatte. Nur eine Polizei, die sich nicht gegen Kritik abschottet, sondern berechtigte Einwände aufnimmt und umsetzt und unberechtigte gut begründet zurückweist, kann ihrem bedeutsamen Auftrag als Teil der Gesellschaft umfassend gerecht werden und der Umsetzung des demokratischen Willens dienen.
Vieles spricht dafür, die Kennzeichnungspflicht beizubehalten. Für ihre Abschaffung hingegen nichts.
Der Autor, Professor Dr. Jens Puschke, LL.M., ist Inhaber einer Professur für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Philipps-Universität Marburg.
*Bei allen Bezeichnungen, die auf Personen bezogen sind, meint die gewählte Formulierung beide Geschlechter
Prof. Dr. Jens Puschke, LL.M., Kennzeichnungspflicht für die Polizei in NRW: Eine Regelung mit Ablaufdatum . In: Legal Tribune Online, 21.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24041/ (abgerufen am: 19.07.2024 )
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