Das OLG Schleswig hat eine Auslieferung von Carles Puigdemont wegen Rebellion abgelehnt. Das heißt aber nicht unbedingt, dass Spanien ihn nicht doch deswegen verurteilen kann, meint Kai Ambos.
Enrique Gimbernat, ein bedeutender spanischer Strafrechtslehrer mit engen Beziehungen zu Deutschland, hat in der spanischen Tageszeitung El Mundo die These vertreten, dass Deutschland verpflichtet sei, den katalanischen Separatistenführer Carles Puigdemont wegen Rebellion zu überstellen. In die gleiche Richtung geht eine Entscheidung des spanischen Obersten Gerichtshofs (Tribunal Supremo, TS) vom Dienstag, in der – neben direkter Kritik am OLG Schleswig – argumentiert wird, dass statt auf Rebellion auch auf den Tatbestand der "sedición" (Aufstand) i.S.v. Art. 544 span. StGB (Código Penal, CP) zurückgegriffen werden könne. Dabei handelt es sich um ein Delikt gegen die öffentliche Ordnung, welches somit dem Landfriedensbruch i.S.v. § 125 StGB näher kommt.
Ihren Europäischen Haftbefehl stützt die spanische Justiz allerdings auf den Tatbestand der Rebellion i.S.v. Art. 472 (Nr. 5 u. 7) CP. Daneben wirft sie dem katalanischen Separatistenführer die Veruntreuung öffentlicher Gelder (Art. 432, 252 CP) vor. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) hat einen Auslieferungshaftbefehl erlassen, diesen aber außer Vollzug gesetzt.
Gimbernat begründet seine Auffassung damit, dass der von den spanischen Behörden gelieferte Sachverhalt durchaus unter den entsprechenden deutschen Tatbestand des Hochverrats subsumiert werden könne, wenn nur der Gewaltbegriff weiter ausgelegt werde.
Dass die deutsche Rechtsprechung dies nicht tue, führe zwar zur "Entwaffnung" Deutschlands gegenüber Putschisten. Es ändere aber laut Gimbernat nichts daran, dass man den Separatistenführer wegen seiner Abspaltungsbestrebungen an Spanien übergeben müsse, weil andere vergleichbare Straftaten wie Landfriedensbruch oder Nötigung in Betracht kämen.
Auslieferung auch wegen anderer Straftat …
Zwar ist die Übergabe wegen Rebellion bzw. Hochverrat durch die klare Haftentscheidung des OLG Schleswig ausgeschlossen – andernfalls müsste sich der Senat zu seinem eigenen Beschluss in Widerspruch setzen. Und doch spricht Gimbernat ein Kernproblem der beiderseitigen Strafbarkeit an, das im Puigdemont-Verfahren besonders virulent wird: das des Prüfungsumfangs und der Prüfungsdichte des ersuchten Staates.
In Deutschland schreibt § 81 Nr. 4 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) die - europarechtlich eigentlich nicht zwingende ("kann", vgl. Art 2 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses für den Europäischen Haftbefehl (RbEuHB)) - Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit vor. Das gilt jedenfalls für die Straftaten, die Puigdemont zur Last gelegt werden. Gemäß Art. 2 Abs. 4 RbEuHB erfordert die beiderseitige Strafbarkeit "eine Straftat nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats" (hier Deutschland), aber "unabhängig von den Tatbestandsmerkmalen oder der Bezeichnung der Straftat." Im für den allgemeinen Auslieferungsverkehr geltenden § 3 Abs. 1 IRG heißt es insoweit ähnlich, dass es sich um "eine rechtswidrige Tat" handeln muss, "die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, oder wenn sie bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat wäre."
Damit scheint klar zu sein, dass die Zulässigkeit der Auslieferung nicht davon abhängig ist, dass der von Spanien gelieferte Sachverhalt genau unter den Tatbestand subsumierbar ist, der dem im spanischen Recht entspricht, hier also den Hochverrat. Vielmehr reicht irgendeine Strafbarkeit aus.
… aufgrund des "Rebellionssachverhalts"?
Es würde also für eine Übergabe wegen des "Rebellionssachverhalts" ausreichen, wenn das OLG im Hauptsacheverfahren irgendeine Strafbarkeit, etwa wegen Landfriedensbruchs (§ 125 StGB) oder schwerer Nötigung (§ 240 Abs. 4 Nr. 2 StGB), annehmen würde (ganz im Sinne der oben erwähnten, neuen Position des spanischen TS). So gesehen scheint der Sachverhalt durch die ergangene Haftentscheidung also noch nicht "verbraucht". Es stellen sich aber zumindest zwei Fragen:
Zum einen könnte man eine Übergabe wegen eines im Haftbefehl nicht genannten Delikts als Verstoß gegen den ne ultra petita-Grundsatz verstehen, nach dem nicht über das ursprünglich Beantragte hinausgegangen werden darf. Konkret: Wenn Staat A die Auslieferung/Übergabe wegen einer Tat X fordert, kann Staat B sie nicht wegen einer Tat Y gewähren. Diese Annahme würde aber zum einen voraussetzen, dass man das Auslieferungsverfahren als zivilprozessual-ähnliches Antragsverfahren behandelt. Zum anderen käme ein Verstoß nur dann in Betracht, wenn Deutschland mit einer Auslieferung zum Beispiel wegen Landfriedensbruchs über das Begehren Spaniens tatsächlich hinausgehen würde. Versteht man dieses restriktiv rechtlich, also bezogen auf einen bestimmten Straftatbestand, wäre das der Fall; versteht man den Begriff der Tat hingegen im tatsächlichen Sinne, geht es um den zugrundeliegenden Lebenssachverhalt und Deutschland würde sich mit der Auslieferung im Rahmen des Antrags bewegen. Diese Ansicht ist folgerichtig, denn nur sie ist mit dem weiten Verständnis beiderseitiger Strafbarkeit vereinbar.
Spezialitätsgrundsatz könnte Verurteilung wegen Rebellion dennoch verhindern
Zweitens könnte aber auch der Spezialitätsgrundsatz die Verurteilung wegen Rebellion verhindern, der schon anlässlich des Beitrags von Michael Kubiciel auf LTO diskutiert wurde. Dieser könnte es Spanien untersagen, Puigdemont wegen Rebellion abzuurteilen, weil wegen dieses Tatbestands die Übergabe nicht zulässig ist.
Auch das hängt von der Frage ab, ob man die Spezialität rein rechtlich, also bezogen auf bestimmte Tatbestände, oder tatsächlich versteht. Nur bei einem engen rechtlichen Verständnis wäre Spanien an die deutsche rechtliche Einordnung gebunden, so dass es Puigdemont nur wegen des entsprechenden spanischen Tatbestands verfolgen könnte; bei einem weiteren Tatverständnis könnte Spanien bei einer Übergabe wegen eines anderen Tatbestands (wie etwa Landfriedensbruch) auch wegen Rebellion verfolgen, ohne damit gegen den Spezialitätsgrundsatz zu verstoßen. Es würde ausreichen, dass die Verurteilung aufgrund des gleichen Sachverhalts erfolgt, wegen dem auch ausgeliefert wurde.
Fehlender Respekt gegenüber der spanischen Justiz?
Ein weiterer, nur beiläufig geäußerter Gedanke Gimbernats bezieht sich auf das OLG-Ersuchen um weitere Informationen hinsichtlich des Untreuesachverhalts. Gimbernat wirft den deutschen Richtern insoweit – "milde ausgedrückt" ("para decirlo suavemente") – mangelnden Respekt gegenüber dem spanischen Ermittlungsrichter des Obersten Gerichtshofs (TS) Llanera vor, der schließlich seit Monaten ausschließlich mit der Sache befasst sei.
Doch hier geht Gimbernat zu weit. Zwar muss das OLG Schleswig von dem von der spanischen Justiz vorgelegten Sachverhalt ausgehen. Doch es kann es, wenn ihm die Informationen nicht genügen, die spanischen Behörden "um die unverzügliche Übermittlung der notwendigen zusätzlichen Informationen" bitten (Art. 15 Abs. 2 RbEuHB).
Gegenseitige Anerkennung beruht zwar auf gegenseitigem, aber nicht auf blindem Vertrauen. Genau deshalb enthalten alle Instrumente gegenseitiger Anerkennung seit dem EuHB eine Reihe von Mindestvorschriften, die der Ausstellungsstaat zu beachten hat und die dem Vollstreckungsstaat einen gewissen Prüfungsspielraum einräumen. Um nichts Anderes geht es hier. Aber die Empfindlichkeiten sogar eines spanischen, germanophilen Strafrechtslehrers zeigen, wie genau und kritisch das deutsche Verhalten im Fall Puigdemont bei unseren spanischen Freunden wahrgenommen wird.
Der Autor Prof. Dr. Dr. h.c. Kai Ambos ist ordentlicher Prof. an der Universität Göttingen, Richter am Kosovo Sondertribunal (Den Haag) und Berater (amicus curiae) der kolumbianischen Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (Bogota). Sein Lehrbuch „Internationales Strafrecht“ ist soeben in fünfter Auflage im Beck-Verlag erschienen.
Auslieferung des katalanischen Separatistenführers: . In: Legal Tribune Online, 18.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28125 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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