In einem Video inszeniert eine Gruppe die gewaltsame Entführung von Robert Habeck und wirbt mit diesem für ein "Straßentheaterstück". Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen. Arne Klaas stellt die möglichen Straftatbestände vor.
Ein Mann liegt in orangenem Sträflingsoverall mit Ketten an den Händen und Sack über dem Kopf auf der Ladefläche eines Transporters. Er hält sich schützend die Hände vor das Gesicht. Aus dem Off kommt eine Stimme, nach der "das Volk" den Mann zu "16 Wochen Pranger auf dem örtlichen Marktplatz" verurteilt.
Das Video soll die Entführung von Wirtschaftsminister Robert Habeck inszenieren und wurde von der rechtsextremen Gruppe "Freies Heidenau" geteilt. Es dient dem Aufruf zu einer Versammlung am heutigen Abend. Dort soll sich – in der Form eines Straßentheaterstücks – der "Heidenauer Bürgerprotest" um Robert Habeck "kümmern" und ihm "seinen Prozess" machen. Das Kurzvideo schließt mit der Ansage: "Noch sitzt ihr da oben, ihr feigen Gestalten, vom Feinde bezahlt, dem Volke zum Spott. Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten, dann richtet das Volk, dann gnade euch Gott."
Nur angedeutet bleibt dabei die Frage, welche politischen Entscheidungen denn nun den Anstoß für den inszenierten Akt der Selbstjustiz gegeben haben sollen. Der Erklärungsversuch "ihre Partei ist maßgeblich für diese Lieferungen und Sanktionen verantwortlich" lässt Interpretationsspielraum. Das Video ist erniedrigend und geschmacklos. Doch müssen die Verantwortlichen strafrechtliche Konsequenzen fürchten? Oder schützt sie das Grundgesetz?
Gewaltdarstellung, § 131 StGB
Ins Blickfeld gerät zunächst die in § 131 Strafgesetzbuch (StGB) unter Strafe gestellte Gewaltdarstellung. Hierzu müsste die visuelle Darstellung eine grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art geschildert werden, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt.
Während die in der dargestellten Freiheitsberaubung und (gefährlichen) Körperverletzung liegende Gewalttätigkeit problemlos bejaht werden kann, liegt die Messlatte bei einem "grausamen" und "unmenschlichen" Verhalten höher. Notwendig ist das Zufügen besonderer Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art, die über das zur Zielerreichung (= Gefangenentransport) hinausgeht und in der sich die brutale, unbarmherzige Haltung des Gewaltübenden zeigt. Fernliegend ist dies bei einer bewusst an die Behandlung von Guantanamo-Bay-Häftlingen angelehnten Darstellung nicht, so dass eine Strafbarkeit nach § 131 StGB durchaus naheliegt. Gleichwohl ist hier auch der Einfluss des Gewährleistungsbereichs der Kunstfreiheit zu berücksichtigen (siehe sogleich).
Bedrohung, § 241 StGB
Eine Bedrohung (§ 241 StGB) liegt wohl nicht vor. Dafür müsste dem Video und den begleitenden Erklärungen entnommen werden können, dass hiermit einem Menschen die Begehung einer gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten rechtswidrigen Tat gegen die körperliche Unversehrtheit und/oder die persönliche Freiheit in Aussicht gestellt wird.
Als Anknüpfungspunkt könnte einerseits die konkrete Entführung von Wirtschaftsminister Habeck und andererseits der angekündigte "Systemumsturz" mit entsprechenden Konsequenzen für politische Entscheidungsträger herangezogen werden. Das erste Szenario dürfte bei Wirtschaftsminister Habeck nicht den vom Tatbestand vorausgesetzten Eindruck der "Ernstlichkeit" erwecken. Das zweite Szenario dürfte sich auf einen zu unbestimmten Adressatenkreis beziehen.
Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 111 StGB
Aus den selben Gründen dürfte auch eine Strafbarkeit wegen Öffentlicher Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) ausscheiden. Der Begriff des "Aufforderns" wird – im Licht der Meinungsfreiheit (siehe hierzu sogleich) – zurückhaltend ausgelegt. Dem Video sowie den begleitenden Hinweisen lässt sich weder die (hinreichend konkretisierte) Aufforderung entnehmen, den Wirtschaftsminister zu entführen noch andere politische Entscheidungsträger unter Begehung rechtswidriger Taten "zu stürzen". Auch der als "Straßentheater"" angekündigte Prozess auf dem Marktplatz dürfte sich in seinem symbolischen Charakter erschöpfen.
Beleidigung nach §§ 185, 188 StGB
Allerdings könnte Robert Habeck durch die Äußerungen und Darstellungen im Sinne von §§ 185, 188 StGB beleidigt werden.
Eine Beleidigung ist die Kundgabe der eigenen Nicht- oder Missachtung. Diese Definition wird – bei einem unbefangenen ersten Blick – durch die gewählte Form der Darstellung (erniedrigende Behandlung, Sträflingskleidung) ausgefüllt. Allerdings ist bei der Prüfung zu beachten, dass insbesondere Äußerungsdelikte in die Grundrechte der Meinungs- und Kunstfreiheit eingreifen können. Im vorliegenden Kontext wird auch der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit tangiert.
In diesen Fällen ist die Wechselwirkungslehre zu berücksichtigen. Diese sieht vor, dass Gesetze, die Grundrechte beschränken (d.h. hier die Straftatbestände) im Lichte der Bedeutung der Grundrechte auszulegen sind. Das läuft im Ergebnis auf eine praktische Konkordanz zwischen den verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern der Straftatbestände einerseits und den Grundrechten der potentiellen Straftäter hinaus.
Grundrechtliche Gemengelage: Grundrechtlicher Schutz für Hetze?
Konkret ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht von Robert Habeck (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) mit dem Interesse an freier (politischer) Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) sowie dem Rückgriff auf künstlerische, gestaltende Elemente (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) abzuwägen. Eine Abwägung ist jedoch nur dann vorzunehmen, wenn die Äußerungen und Darstellungen tatsächlich in den Schutzbereich der Kommunikationsgrundrechte fallen:
- Meinungsfreiheit der Verantwortlichen: Geschützt wird grundsätzlich das Werturteil, d.h. eine Äußerung die durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt wird. Die äußere Grenze verläuft erst dort, wo die Diffamierung der Person im Vordergrund steht und die Anbindung an die Auseinandersetzung in der Sache verloren geht (bspw. durch Formalbeleidigungen, sog. "Schmähkritik"). Gemessen daran fallen die Äußerungen und Darstellungen im Kurzvideo in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Diese sind Ausdruck (derber) Kritik am politischen Führungsstil eines Regierungsmitglieds und reduzieren sich nicht auf die Schmähung der dahinterstehenden natürlichen Person.
- Kunstfreiheit der Verantwortlichen: Der Schutzbereich der Kunstfreiheit ist schwer zu greifen. Das BVerfG verwendet u.a. den sog. "offenen Kunstbegriff". Diesem soll "im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen" entnommen werden können, so dass "sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt". Die gewählte Darstellungsform dürfte daher auch den Schutz der Kunstfreiheit genießen. Die Kritik am politischen Führungsstil wird über die Form der Verlesung eines Urteils bzw. der Vollstreckung desselbigen bei gleichzeitiger visueller Darstellung des Prozesses auf – mehr oder minder – kreativem Wege verpackt.
- Versammlungsfreiheit der Verantwortlichen: Das Kurzvideo diente auch der Bekanntmachung einer geplanten Versammlung. Der Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG erfasst auch die Organisation einer solchen und bezieht die "vorbereitende Phase" mit ein.
Die Staatsanwaltschaft Dresden hat Ermittlungen aufgenommen. Sie wird für die Frage der Strafbarkeit eine ausdifferenzierte Gegenüberstellung der gegenläufigen Rechtspositionen vornehmen müssen. Dabei hat sie folgende Aspekte in der Abwägung zu berücksichtigen:
- Robert Habeck genießt den Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die gewählte erniedrigende Darstellungsform seiner Person hat ehrmindernden Charakter. Zwar muss er als in der Öffentlichkeit stehendes Regierungsmitglied grundsätzlich "mehr aushalten". Insbesondere bei Werturteilen mit Bezugspunkten zu politischen Entscheidungen von Mitgliedern der regierenden Parteien kann auch scharfe, überspitzte und polemische Kritik zulässig sein (Stichwort: "Machtkritik"). Das BVerfG hat indes jüngst im Künast-Urteil nochmals deutlich gemacht, dass Politiker nicht schutzlos gestellt werden dürfen. Gegenüber einer auf die Person abzielenden, insbesondere öffentlichen Verächtlichmachung oder Hetze setzte die Verfassung allen Personen gegenüber äußerungsrechtliche Grenzen und nehme hiervon Politker nicht aus. Zudem hat das BVerfG zuletzt mehrfach unterstrichen, dass ein wirksamer Schutz von Amtsträgern auch im öffentlichen Interesse liegt.
- Spiegelbildlich ist zu bewerten, ob die Andeutungen auf einen zukünftigen Systemsturz verfassungsfeindliche Tendenzen bereithalten. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ist die objektive Bedingung für die Entfaltung des politischen Willensbildungsprozesses und damit für die Verwirklichung des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1, 2 GG). Zwar wohnt dem Demokratieprinzip das Konzept inne, dass die Minderheit gerade durch die Wahrnehmung der Kommunikationsgrundrechte zur gesellschaftlichen Mehrheit werden kann. Art. 21 Abs. 2 GG zeigt jedoch, dass dies nur im verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen (Art. 79 Abs. 3 GG) erfolgen darf.
- Der Versammlungsfreiheit kommt dagegen nur ein geringes Gewicht in der Abwägung zu. Die organisatorische Bekanntmachung der beabsichtigten Versammlung kann auch auf anderem, das Persönlichkeitsrecht schonenderem Wege erfolgen.
Verletzung des Rechts am eigenen Bild, § 33 KUrhG
Das Kunsturhebergesetz (KUrhG) sieht in § 33 eine Strafbarkeit für Verletzungen des Rechts am eigenen Bild vor. Hierbei handelt es sich nicht um ein Offizialdelikt. Die Staatsanwaltschaft würde also erst ermitteln, wenn Robert Habeck einen Strafantrag stellt. Hier stellt sich zunächst die Frage, ob ein Bildnis von Robert Habeck (§ 22 KUrhG) vorliegt, obwohl er durch einen Schauspieler dargestellt wird. Nach der Rechtsprechung ist das etwa dann der Fall, wenn bei einem nicht unerheblichen Teil der Zuschauer der Eindruck erweckt wird, es handele sich bei der dargestellten Person, um die berühmte Person selbst.
Zudem ist anerkannt, dass selbst offensichtlich fiktive Darstellungen, wie Computeranimationen Bildnisschutz begründen können. Auch der Umstand, dass das Gesicht des Schauspielers verdeckt ist, spricht nicht zwangsläufig gegen eine Erkennbarkeit, da im Kontext des Videos mehrfach deutlich wird, dass es sich hierbei um eine Darstellung von Robert Habeck handeln soll.
Bejahte man das Vorliegen eines Bildnisses von Robert Habeck würde sich die Folgefrage stellen, ob die Verbreitung trotz fehlender Einwilligung möglich ist, womit im Rahmen des § 23 Abs. 1 KUrhG wiederum Kriterien wie Meinungs- und Kunstfreiheit eine Rolle spielen könnten. Insoweit kommen die oben stehenden Überlegungen zur entwürdigenden Darstellung einerseits und dem politischen Kommunikationsanliegen andererseits auch hier – erneut – zum Tragen. Dabei spricht die erniedrigende Darstellung in der Abwägung - auch unter Berücksichtigung von Art. 23 Abs. 2 KUrhG - für eine Unzulässigkeit der Bildnisverbreitung.
Was kann Robert Habeck tun?
Einige der in Betracht kommenden Straftatbestände sind Offizialdelikte. Ob bzgl. der möglichen Beleidigung Strafanträge oder -ermächtigungen nach § 194 StGB gestellt wurden, ist derzeit nicht bekannt.
Von Seiten des Wirtschaftsministeriums heißt es: "Wir haben das Video bei Facebook gemeldet, damit es dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz entsprechend geprüft und gelöscht wird." Anknüpfungspunkte für die sog. "rechtswidrigen Inhalte" sind primär die hier in Rede stehenden Straftatbestände (§ 1 Abs. 3 NetzDG). Insofern stellen sich die grundrechtlichen Abwägungsfragen auch hier.
Dasselbe gilt im Übrigen auf der zivilrechtlichen Ebene, sofern Habeck Unterlassungsansprüche geltend machen würde: Auch hier findet im Regelfall eine Abwägung der betroffenen verfassungsrechtlichen Positionen statt.
Dr. Arne Klaas ist Rechtsanwalt bei der auf Wirtschaftsstrafrecht spezialisierten Boutique Krause & Kollegen in Berlin.
Inszenierte Entführung von Wirtschaftsminister Habeck: . In: Legal Tribune Online, 09.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49266 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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