Zu langer Bart, zu großes Tattoo, zu dickes Schmuckstück oder einfach das Kopftuch: Beamten und Beamtinnen können inzwischen Vorgaben zum äußeren Erscheinungsbild gemacht werden. Wie weit die gehen und warum, erklärt Andreas Nitschke.
Seit einigen Wochen finden sich diverse neue Regelungen im Bundesbeamtengesetz (BBG) sowie im Beamtenstatusgesetz (BeamtStG). Sie normieren schwerpunktmäßig das Verhältnis von äußerem Erscheinungsbild von Beamt:innen einerseits und dem erforderlichen Vertrauen in das Amt andererseits. Um dieses Vertrauen zu gewährleisten, ist es nach Auffassung des Gesetzgebers ggf. notwendig, konkrete Vorgaben zum Erscheinungsbild zu machen oder bestimmte Formen sogar gänzlich zu untersagen.
Anlass für die Änderungen der Beamtengesetze ist ausweislich der Gesetzesbegründung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) aus dem Jahr 2017, in welchem das Gericht in einem ausführlichen obiter dictum feststellte, dass die Regelung des zulässigen Ausmaßes von Tätowierungen bei Beamten:innen einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigung bedürfe (Urt. v. 17. 11.2017, Az. 2 C 25.17).
Wesentlicher Inhalt der Neuregelungen
Die wohl wichtigste Änderung im Beamtenrecht betrifft die Einführung des § 61 Abs. 2 BBG. Danach müssen Beamt:innen "bei der Dienstausübung hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen nehmen".
Darauf folgen detaillierte Regelungen in § 61 Abs. 2 BBG. Danach sind Einschränkungen oder Untersagungen in Bezug auf das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie auf die Art der Haar- und Barttracht möglich, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordern sollte. Eine gleichlautende Fassung des § 61 Abs. 2 BBG findet sich in § 34 Abs. 2 BeamtStG.
Auch eine Einschränkung bzw. Untersagung von religiös oder weltanschaulich konnotierten Merkmalen des Erscheinungsbilds ist nach der Neuregelung explizit möglich. Erforderlich hierfür ist, dass diese "objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen", heißt es in beiden Normen. Das grundsätzliche Verbot, das Gesicht zu verhüllen, blieb bestehen.
Schließlich wird durch den neuen § 7 Abs. 1 S. 2 BBG bzw. § 7 Abs. 1 S. 2 BeamtStG gewährleistet, dass die eben dargelegten Regelungen in Bezug auf "unveränderliche Merkmale des Erscheinungsbilds" bereits bei der Frage relevant werden, ob ein Bewerber oder eine Bewerberin überhaupt die Voraussetzungen des Beamtenverhältnisses erfüllt.
Kopftuchverbot durch die Hintertür?
In den ersten Stellungnahmen aus dem juristischen Schrifttum werden Zweifel in Bezug auf die Vereinbarkeit der Neuregelungen mit dem Grundgesetz (GG) formuliert. Gerade vor dem Hintergrund der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG gibt es materielle Bedenken. Vereinzelt fällt gar die anschauliche Bezeichnung "Kopftuchverbot durch die Hintertür".
Die Frage nach der Verfassungsgemäßheit der Neuregelung ist im Lichte der dritten Kopftuchentscheidung auf die Verfassungsbeschwerde einer Rechtsreferendarin (Beschl. v. 14.1.2020, Az. 2 BvR 1333/17) des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) berechtigt. In besagtem Beschluss entschied das BVerfG, dass eine das Tragen bzw. die Verwendung religiöser Symbole beschränkende Regelung jedenfalls im Justizdienst verfassungsgemäß sein könne.
Kopftuchverbot nur wegen spezieller Prozesssituation
Zuvor hatte Karlsruhe in dem ersten Kopftuchverfahren in Bezug auf Schulen im Jahr 2003 entschieden, dass dort auch vorsorgliche Kopftuchverbote möglich sind - wenn es hierfür eine gesetzliche Grundlage gibt (Urt. v. 24.09.2003, Az. 2 BvR 1436/02). In einem zweiten Verfahren hatte sich das Gericht detaillierter mit der Situation der Lehrerinnen befasst und ein pauschales Kopftuchverbot für verfassungswidrig erklärt (Beschl. v. 27.01.2015, Az. 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10).
Der Grund für das Verbot im dritten Kopftuchverfahren lag nach den Entscheidungsgründen aber nicht darin, dass die Verwendung religiöser Symbole im richterlichen Dienst Zweifel an der Objektivität der ein solches Symbol verwendenden Richterin begründen würde. Eine solche Verwendung sei für sich genommen gerade nicht zur Hervorrufung entsprechender Bedenken geeignet.
Entscheidend für die Rechtsauffassung des BVerfG war vielmehr ausschließlich die spezielle Situation eines Gerichtsprozesses, also die besondere Rolle der Richter und Richterinnen. Denn der Staat trete dem Bürger und der Bürgerin in der Justiz klassisch-hoheitlich und daher mit sehr großer Beeinträchtigungswirkung gegenüber.
Rolle der Beamt:innen gegenüber Bürger:innen
Hiervon ausgehend dürfte sich damit bezüglich der beamtenrechtlichen Neuregelungen zum äußeren Erscheinungsbild die Frage stellen, ob die Beamt:innen in deutschen Behörden dem Bürger bzw. der Bürgerin in einer ähnlich qualifizierten Rolle gegenübertreten, wie dies nach dem BVerfG im Justizdienst bei den Richtern und Richterinnen der Fall ist. Denn gerade diese qualifizierte Rolle ist für das Gericht der Grund für die nach außen besonders betonte Neutralität des Staates - frei von religiösen Symbolen.
In der bisher erschienenen Literatur wird diese Frage differenziert beantwortet und mit nachvollziehbaren Argumenten jedenfalls eine pauschale Gleichsetzung von Justizdienst und Verwaltung bezweifelt. Erforderlich erscheint in der Tat vielmehr eine Differenzierung nach dem konkret in Rede stehenden Amt und der jeweiligen Funktion. Eine solche Differenzierung wurde in Gesetz und Begründung jedenfalls nicht in detaillierter Ausführlichkeit vorgenommen.
Herausforderungen bei der Gesetzesanwendung im Einzelfall
Auch wenn künftig ergänzende Regelungen zur Konkretisierung der in § 61 Abs. 2 BBG bzw. des § 34 Abs. 2 BeamtStG enthaltenen Rechtsbegriffe erlassen werden können, ist das Gesetz seit dem 7. Juli 2021 in Kraft und muss dementsprechend ausweislich seines Wortlauts von der Verwaltung richtigerweise bereits jetzt angewendet werden. Hierbei kann es im Einzelfall durchaus zu Unsicherheiten und ggf. auch zu einer gewissen Uneinheitlichkeit kommen.
Das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf (Beschl. v. 14.9.2021, Az. 2 L 1822/21) hat jüngst ausgeführt, dass im konkreten Einzelfall der auf den Oberarm eines Beamtenbewerbers tätowierte Totenkopf mit großen Zähnen in Kombination mit einem eine Sanduhr haltenden Skelett keine Einstellung zum Ausdruck bringe, welche gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoße. Die Einstellungsbehörde hatte dies anders gesehen und ein solches Motiv als Verkörperung einer gewaltverherrlichenden Einstellung gewertet.
Wenige Zentimeter können entscheidend sein
Zwar betrifft dieser Beschluss Fragen zur Verfassungstreuepflicht und damit gerade nicht die neuen Regelungen zum Erscheinungsbild, da sich das Tattoo auf dem Oberarm und damit nicht im sichtbaren Bereich befand. Fraglich ist aber, wie zu entscheiden wäre, wenn besagtes Tattoo nicht am Ober-, sondern am Unterarm wäre. Im Lichte der „Aloha-Entscheidung“ des BVerwG (Urt. v. 14.5.2020, Az. 2 C 13.19), in welcher das Gericht die behördliche Ablehnung der Tätowierung des Wortes "Aloha" auf den Unterarm eines Polizisten als rechtmäßig erachtete, spräche einiges für eine Untersagung.
Entscheidend könnten also ggf. nur wenige Zentimeter sein. Ein und dasselbe Motiv könnte auf dem Oberarm vor dem Hintergrund der dann allein relevanten Verfassungstreuepflicht als beamtenrechtlich unproblematisch gewertet werden, während es auf dem Unterarm aufgrund der Pflicht zur "richtigen" äußeren Erscheinung einer Verbeamtung entgegenstehen könnte. Bei den Betroffenen (Bewerber:innen und auch bereits ernannte Beamt:innen) dürfte dies ebenso wie die Frage, wann genau ein Tattoo im sichtbaren Bereich mit den Neuregelungen nicht mehr in Einklang steht, zu Verunsicherungen führen.
"Normalität ist fluide"
Es erscheint fast etwas überraschend, dass sowohl das Gesetzgebungsverfahren als auch das Inkrafttreten der Neuregelungen politisch und medial kaum diskutiert wurden. Immerhin geht es aufgrund der oben genannten Aspekte um das Erscheinungsbild im öffentlichen Dienst. Da das Beamtentum als viel zitierter Spiegel der Gesellschaft eben diese abbildet, stellt sich die Frage, wie der öffentliche Dienst in Zukunft aussehen soll und was in Bezug auf das äußere Erscheinungsbild der Beamt:innen als "normal" anzusehen ist.
Die Bonner Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Maryam Kamil Abdulsalam weisen richtigerweise darauf hin, dass diese "Normalität" fluide sei und daher immer wieder neu verhandelt werden müsse (Zeitschrift für Beamtenrecht 2021, S. 295). Die neuen Regeln könnten der Auslöser für einen solchen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess sein. Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass gerade Tätowierungen bei der jüngeren Bevölkerung, welche die Basis auch für den Nachwuchs der Beamtenschaft bildet, mittlerweile als nichts Ungewöhnliches mehr angesehen werden.
Der Autor Prof. Dr. Andreas Nitschke ist Hochschullehrer an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung in Schleswig-Holstein für die Fächer Öffentliches Recht, insbesondere Beamtenrecht, und Zivilrecht. Er war zuvor als Referent in einem Landesministerium mit beamtenrechtlichen Rechtsfragen betraut.
Äußeres Erscheinungsbild im öffentlichen Dienst: . In: Legal Tribune Online, 22.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46078 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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