Das Compact-Magazin darf vorerst weiter erscheinen, entschied das BVerwG. Nun liegt die Beschlussbegründung vor. Dass Compact eine verfassungsfeindliche Ideologie vertritt, ist demnach klar. Doch retten die "unbedenklichen Inhalte" Compact?
Vor einer Woche hatte das Gericht den Plan von Bundesinnenministerin Nancy Faeser durchkreuzt, das rechtsextreme Compact-Magazin sofort zu verbieten. Bundesgerichte können ihren Entscheidungen Leitsätze voranstellen, in denen die zentralen rechtlichen Aussagen eines Urteils oder Beschlusses zusammengefasst werden. Da wäre es naheliegend gewesen, einen Leitsatz zu wählen, der den Grund für die Erfolglosigkeit des Sofortvollzugs des Verbots widerspiegelt. Doch der 6. Senat des BVerwG formulierte einen Leitsatz, der sich so liest, als habe das Bundesinnenministerium (BMI) gewonnen: "Ein Vereinsverbot (…) kann als Instrument des 'präventiven Verfassungsschutzes' auch gegenüber (…) Medienorganisationen erlassen werden."
Abgesehen davon, dass diese Frage nach Auffassung des Gerichts bereits höchstrichterlich geklärt ist, scheint dieser Leitsatz nicht den Aussagekern der Entscheidung wiederzugeben. Gibt der 6. Senat mit dem Leitsatz einen Hinweis darauf, dass das BMI im Hauptsacheverfahren noch gute Erfolgsaussichten hat. Dafür spricht nicht nur der Leitsatz selbst; auch die nähere Begründung des Beschlusses. Das Verbot scheitert bislang nämlich nur an einer Voraussetzung – und das BMI darf weitere Argumente sammeln. Aber der Reihe nach:
Viele Anhaltspunkte für Verletzung der Menschenwürde
Das Gericht bejaht zunächst die Vereinseigenschaft von Compact und die umstrittene grundsätzliche Möglichkeit der Anwendung des Vereinsrechts auch zum Verbot von Medienorganisationen. Dann prüft es den eigentlichen Verbotsgrund nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 Vereinsgesetz (VereinsG) i. V. m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 2 Grundgesetz (GG): dass sich das Magazin gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet.
BVerwG bestätigt die vom BMI angebrachten Anhaltspunkte für eine Verletzung der verfassungsmäßigen Ordnung durch Compact-Veröffentlichungen, vor allem für eine die Menschenwürde verletzende, demütigende Ungleichbehandlung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund.
In den Publikationen von "Compact" scheine ein an einer ethnischen "Volksgemeinschaft" orientiertes völkisch-nationalistisches Gesellschaftskonzept auf. Dies zeige sich daran, dass von "ethnisch Fremden" die Rede sei, die als "Pass-Deutsche" bezeichnet werden. Diesen werde im Unterschied zu "Bio-Deutschen" bzw. "richtigen Deutschen" abgesprochen, vollwertige Teile des deutschen Volkes zu sein. Somit werde die Zugehörigkeit zum deutschen Volk nach ethnischen Kriterien bewertet. Dies sei mit dem Grundgesetz nicht in Einklang zu bringen. Denn dieses kenne keinen an ethnischen Kategorien orientierten Volksbegriff, sondern stellt allein auf die Staatsangehörigkeit ab.
Deutschen mit Migrationshintergrund werde etwa in Videobeiträgen des österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner auf den Internetseiten von Compact nur ein rechtlich abgewerteter Status zugebilligt. Nach der von Sellner vorgestellten "Politik der Deislamisierung" würden fremde Kulturen im öffentlichen Raum, fremde Speisenangebote, fremde Feiertage, fremde Sprachen sowie fremde Flaggen verboten und den "Fremden" auch untersagt, sich politisch im Land zu betätigen oder zu demonstrieren. "Im Grunde soll jegliches Fremdsein unterdrückt und verwehrt werden", resümiert das BVerwG. Ein derartiger Anpassungsdruck mit dem Ziel der "Remigration" als "freiwilliger Heimkehr" bedeute nicht nur eine "demütigende Ungleichbehandlung", sondern auch eine "Rechtsverweigerung für einen Teil der deutschen Staatsangehörigen". Diesem Teil der Bevölkerung seien anknüpfend an ihre Herkunft oder "Rasse" Rechte wie Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit versagt. Das spreche für eine aus der Vorstellung einer ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" ableitende Missachtung der Menschenwürde. Compact orientiere sich an den Plänen Sellners, die es offensiv unterstütze.
Indizien für eine Missachtung der Menschenwürde ergäben sich auch dadurch, dass Ausländern und Migranten pauschal negative Eigenschaften und ein Hang zur Kriminalität zugeschrieben werden. Dabei greift das Gericht etwa die Formulierungen in Compact heraus, wonach die "Massenzuwanderung" in einem "unfassbaren Abgrund sexueller Gewalt", das ganze Land verwandele sich "in eine große Vergewaltigungszone, in der Frauen nunmehr Freiwild sind" ende. Solche pauschalen Zuschreibungen gegenüber Asylbewerbern und Migranten in ihrer Gesamtheit seien auch nicht mehr mit überspitzter oder polemischer Kritik an der Einwanderungspolitik zu rechtfertigen, sondern die drastische Sprache sei unmittelbar an Ausländer und Migranten adressiert und mache diese als nach ethnischen Kriterien ausgegrenzte Bevölkerungsgruppe verächtlich.
Kämpferisch-aggressive Haltung
Das BVerwG betont die ständige Rechtsprechung, dass es für ein Verbot nicht ausreicht, wenn ein Verein sich kritisch oder ablehnend gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung wendet oder für eine andere Ordnung eintritt. Selbst die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideen überschreite als solche nicht die Grenze der freien politischen Auseinandersetzung. "So wie das Grundgesetz die Meinungsfreiheit im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Feinden der Freiheit garantiert, vertraut es mit der Vereinigungsfreiheit im Grundsatz auf die Kraft des bürgerschaftlichen Engagements im freien und offenen politischen Diskurs." Allerdings rechtfertige der Gedanke des "präventiven Verfassungsschutzes", Organisationen zu verbieten, die kämpferisch-aggressiv darauf ausgerichtet sind, wesentliche Elemente der verfassungsmäßigen Ordnung zu zerstören.
Daran, dass Compact kämpferisch-aggressiv auftritt, hat das BVerwG keine Zweifel. Der 6. Senat stellt fest, dass bei Compact die bewusste Radikalisierung der Rezipienten angestrebt und die Tätigkeit auf ein Wirksamwerden der verfassungsfeindlichen Ideologie in der Gesellschaft gerichtet ist. Zur Untermauerung führt das Gericht an, dass die gegen die Achtung der Menschenwürde verstoßenden demütigenden Äußerungen fortwährend aufgegriffen würden und Compact mit wiederkehrenden Schlagworten und Begriffen arbeite. Compact räume dabei etwa in einer Aufforderung zum Auswendiglernen selbst ein, dass Wiederholungen stattfänden, "um die Leute auf die richtigen Gedanken zu bringen".
Für das Gericht spielt dabei auch die Emotionalisierung der Leser:innen eine entscheidende Rolle. So werde die für erstrebenswert gehaltene "Volksgemeinschaft" in Compact-Artikeln ständig mit emotionalisierenden Formulierungen als in ihrer Existenz bedroht beschrieben. Die Formulierungen würden auch eine besondere Dringlichkeit des Handelns aufzeigen (etwa "Asyl-Bombe", "Tsunami", "Flut", "Invasion"). Zugleich betone Compact in drastischen Worten die Notwendigkeit der angeblich gezielten "Umvolkung" durch das "Regime", das "System" bzw. durch die "Volksfeinde" etwas entgegenzusetzen. Als zentrales Stilmittel dienen Compact personifizierte Feindbilder; parallel hierzu würden den Rezipienten Handlungsoptionen in verbaler Militanz aufgezeigt ("Kampf", "Umsturz", "Krieg").
Bei einer Gesamtbetrachtung offenbare die Rhetorik vom Compact die Tendenz, das Vertrauen zu den Institutionen und Repräsentanten des demokratischen Staates in der Bevölkerung von Grund auf zu erschüttern. "Dadurch wird die verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend untergraben.", so das Gericht.
Prägung und Verhältnismäßigkeit
Stellt das Gericht eben noch fest, dass Compact "fortwährend" die Menschenwürde demütigende Äußerungen aufgreift, kommt es im nächsten und letzten Prüfungspunkt sodann zu einer nach der bisherigen Logik überraschenden Annahme: Es bestünden Zweifel daran, ob die die Menschenwürde verletzenden Passagen derart prägend sind, dass sie dem Vereinsverbot unter Verhältnismäßigkeitspunkten gerecht werden. Für die Voraussetzung der "Prägung" sei nicht das Verhältnis von Verfassungsverstößen zum Gesamtinhalt einer Zeitung ausschlaggebend, sondern es komme auf eine Bewertung der gesamten Aktivitäten des Vereins an.
Dabei ergibt sich für das BVerwG schon beim Compact-Magazin für sich betrachtet, also ohne auf die Organisation als Ganzes zu schauen, kein eindeutiges Bild. Von außen gesehen ähnele es anderen Nachrichtenmagazinen. In den reißerischen Titeln könnten, anders als das BMI meint, noch keine Delegitimierung des demokratischen Systems gesehen werden. Dies gehe vielmehr vor dem Hintergrund der Presse- und Meinungsfreiheit deutlich zu weit, da auf einem zum Kauf animierenden Cover auch zugespitzte, plakative Bilder und polemische Überschriften erlaubt seien.
Inhaltlich gebe es neben Beiträgen, die eine aggressiv-kämpferische Haltung gegen die verfassungsmäßige Ordnung offenbarten, auch eigenständige andere Schwerpunkte im Magazin. Um das zu verdeutlichen, sind die Richter tiefer in die Lektüre eingestiegen: Als Beispiele finden sich in den Entscheidungsgründen etwa die Zeitschriftenressorts "Dossier"und "Leben". Hier werden laut BVerwG allgemeingesellschaftliche Themen erörtert wie Filmkritiken, Buchbesprechungen, sportliche Ereignisse und "sogar" archäologische Funde. Selbst wenn auch in diesen Beiträgen gelegentlich Formulierungen auf den ethnischen Volksbegriff hindeuteten, seien sie in weiten Teilen nicht zu beanstanden. Hat das Gericht eingangs noch gesagt, dass es gerade nicht auf das Verhältnis zwischen unbedenkliche Textangeboten zu den verfassungsverletzenden Passagen ankommt, werden nun unbedenkliche Rubriken als Argument gegen eine verfassungswidrige Prägung herangezogen.
Insgesamt reichen dem 6. Senat wohl schlicht die ihm vorliegenden Informationen nicht aus. Er beanstandet, dass das BMI andere Print- und Onlinepublikationen des Compact-Verlags nur in Auszügen vorgelegt habe. Was die sonstigen Aktivitäten der Vereinigung (Konferenzen, Sommerfeste, Spendengala) angeht, seien Erkenntnisse erst nach Auswertung der sichergestellten Asservate zu rechnen, so das BVerwG. Im Übrigen dürfe das BMI auch noch weiter ermitteln, um weitere Beweismittel im Anfechtungsprozess vorlegen zu können.
Prägung wird entscheidend sein
Mithin sieht sich das Gericht nicht in der Lage, die Frage der Rechtmäßigkeit verlässlich zu prognostizieren. Diese sei damit offen. Die im Eilverfahren vorzunehmende Folgenabwägung spräche im konkreten Fall dafür, dass Compact weitermachen darf.
Das Interesse von Compact (Aussetzungsinteresse) sei hoch, da die spätere Wiederaufnahmedes Geschäftsbetriebs außerordentlich erschwert würde, weil sich die Angestellten, Kunden und die Werbepartner unterdessen anderweitig gebunden haben könnten. Da die sofortige Vollziehung des Vereinsverbots zu der sofortigen Einstellung des gesamten Print- und Onlineangebots führt, das den Schwerpunkt der Tätigkeit der Antragstellerin zu 1 ausmacht, kommt ihr auch im Hinblick auf die Grundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG ein besonderes Gewicht zu.
Das Interesse des BMI (Vollziehungsinteresse) trete dahinter zurück. Die Sicherung der Beweismittel sei möglich durch die Bestimmung des Gerichts, dass diese eine Woche lang ausgewertet werden dürften. Zudem seien "presse- und medienrechtliche Maßnahmen, Veranstaltungsverbote, orts- und veranstaltungsbezogene Äußerungsverbote sowie Einschränkungen und Verbote von Versammlungen, unabhängig davon, ob solche Maßnahmen im Vereinsrecht selbst, im sonstigen Sicherheits- und Ordnungsrecht oder auch im Strafrecht verankert sind" denkbar.
Welche "medienrechtlichen Maßnahmen" in Betracht kommen und wie das BMI über diese – mangels Zuständigkeit für die Medienaufsicht – verfügen könnte und wie sich dies für dieFrage der Verhältnismäßigkeit des eigenen Handelns auswirkt, erläutert das Gericht nicht.
Nach der Begründung des BVerwG ist nun klar: Im Hauptsacheverfahren wird sich alles um die Frage der "Prägung" drehen. Das Gericht hat deutlich gemacht, dass es hier mehr Belegmaterial benötigt. Ebenfalls hat es deutlich gemacht, dass es die Frage der Prägung nicht arithmetisch durch ein quantitatives Inverhältnissetzen zwischen verfassungsfeindlichen und unbedenklichen Artikeln klären will. Wie genau aber die Prägung letztlich zu beurteilen ist, dazu lässt der Beschluss des BVerwG klare Worte erstmal vermissen.
Doch sie werden wohl schneller folgen als von Compact erwartet. Das BVerwG wird bereits am 12. und 13 Februar 2025 in der Hauptsache in Leipzig verhandeln. Die Hoffnung des Compact-Chefredakteurs Jürgen Elsässer zwei bis drei Jahre in Ruhe weiterzuarbeiten, könnte sich als Irrtum herausstellen.
* Das Datum zum Verhandlungsbeginn wurde korrigiert
Begründung zum Compact-Beschluss liegt vor: . In: Legal Tribune Online, 21.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55248 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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