Der EuGH hat entschieden, dass keine grundsätzliche Ausschreibungspflicht bei Grundstücksgeschäften der öffentlichen Hand besteht. Städte und Kommunen atmen auf. Aber befreit das Urteil tatsächlich das Baurecht aus den Fesseln des Vergaberechts? Kersten Wagner-Cardenal und Dr. Jan Peter Scharf halten den gegenwärtigen völligen Abgesang auf das Vergaberecht für verfrüht.
In der Rechtssache C-451/08 (Urt. v. 25.03.2010) setzte sich der EuGH grundlegend mit dem Begriff des "öffentlichen Bauauftrages" auseinander. Zentraler Gegenstand war hierbei die Frage, inwieweit Grundstücksveräußerungen der öffentlichen Hand – insbesondere solche mit Bauverpflichtung – als grundsätzlich ausschreibungspflichtig einzustufen sind.
Diese Frage klärte der EuGH mit weitreichender Bedeutung für die Praxis: Ein öffentlicher Bauauftrag ist anzunehmen, wenn der Auftragnehmer eine einklagbare Verpflichtung zur Erbringung von Bauleistungen übernimmt. Entscheidend sei dabei, dass die Bauleistung dem Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugute kommt – wie vom deutschen Gesetzgeber im neu gefassten § 99 Abs. 3 GWB geregelt.
Mit diesem Diktum sieht sich zum einen der deutsche Gesetzgeber vollumfänglich bestätigt. Zum anderen wird der vergaberechtlich umstrittenen "Ahlhorn"-Rechtsprechung des OLG Düsseldorf eine klare Absage erteilt. Bemerkenswerterweise war es das OLG Düsseldorf selbst, das mit einer Vorlage an den EuGH die prozessuale Grundlage für die Verwerfung seiner Rechtsprechung geschaffen hatte.
OLG Düsseldorf stellte seine eigene Ahlhorn-Rechtsprechung zur Disposition
Gegenstand des Rechtsstreits war ein ehemaliges Kasernengelände auf dem Gebiet der Stadt Wildeshausen. Dieses sollte durch die Eigentümerin - die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) - an einen Investor verkauft werden. Einer der im Rahmen des Investorenauswahlverfahrens unterlegenen Bieter war der Ansicht, es habe trotz Anwendbarkeit des Vergaberechts kein geregeltes Ausschreibungsverfahren gegeben.
Mit dieser Begründung wurde zunächst eine Nachprüfung bei der Vergabekammer beantragt. Als diese erfolglos blieb, erfolgte die Beschwerde zum OLG Düsseldorf. Letzteres neigte in Anlehnung an seine "Ahlhorn"-Entscheidung aus dem Jahr 2007 dazu, die Anwendbarkeit des Vergaberechts zu bejahen. Gleichwohl entschied sich das Gericht mit Blick auf den durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 20. April 2009 neu gefassten § 99 GWB dazu, dem EuGH die streitigen Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Dessen lange mit Spannung erwartetes Urteil ist von weiten Teilen der Praxis sowie von Städten und Gemeinden als Befreiung des Baurechts vom Vergaberecht begrüßt worden: Eine grundsätzliche Ausschreibungspflicht bei Grundstücksgeschäften der öffentlichen Hand bestehe nicht. Insbesondere Vertreter der Städte und Gemeinden hoffen nun, dass künftig weitaus weniger Grundstücksgeschäfte europaweit ausgeschrieben werden müssen.
Das Urteil des EuGH - Prognosen
Da der EuGH klargestellt hat, dass die bloße Ausübung städtebaulicher Regelungszuständigkeiten nicht dem Vergaberecht unterfällt, ist vermutlich tatsächlich mit einem Rückgang an Ausschreibungen zu rechnen. Vor allem die Ausschreibungen, die aufgrund der weiten "Ahlhorn"-Rechtsprechung rein vorsichtshalber erfolgten, dürften entfallen. Als Folge hiervon wird die Investorensuche von Kommunen – etwa im Rahmen von Public Private Partnerships – weniger stark reguliert und unter dem Vorzeichen größerer Rechtssicherheit gestaltet werden.
Doch obwohl der EuGH am 25. März 2010 ein richtungweisendes Signal gegen die Ausschreibungspflichtigkeit von Grundstücksgeschäften der öffentlichen Hand gesetzt hat, dürfte das Vergaberecht in vielen Fällen anwendbar bleiben. Inwieweit der EuGH die "Ahlhorn"-Rechtsprechung tatsächlich und nachhaltig beendet hat, wird davon abhängen, wie die Vergabegerichte die offenen und teilweise weit gefassten Rechtsbegriffe der Entscheidung konkretisieren. Das "unmittelbare wirtschaftliche Interesse des Auftraggebers" ist hierbei nur eine jener Begrifflichkeiten, von deren Konkretisierung die Anwendbarkeit des Vergaberechts abhängen wird.
Der Autor Kersten Wagner-Cardenal ist Partner, der Autor Dr. Jan Peter Scharf ist Local Partner im Bereich Öffentliches Recht/Vergaberecht einer internationalen Sozietät.
Kersten Wagner-Cardenal und Jan Peter Scharf, Baurecht versus Vergaberecht : . In: Legal Tribune Online, 28.04.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/407 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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