Die Überarbeitung von § 219a StGB kommt nicht voran, weil die Ministerien der Union das Vorhaben blockieren. Justizministerin Barley hofft jetzt auf eine Ansage der Bundeskanzlerin – deren Fraktion will aber alles so lassen wie bisher.
In der GroKo herrscht weiter Streit darüber, ob und wie § 219a Strafgesetzbuch (StGB), der die Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellt, geändert werden soll. Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, beklagte gegenüber LTO, dass die unionsgeführten Ministerien die Ressortabstimmung in der Bundesregierung blockierten. "Sie sind nicht einmal bereit, die mindestens nötige Einschränkung des § 219a vorzunehmen." Die Blockade, so Fechner, sei unverantwortlich, "weil Frauen in schwieriger Lage einfachen Zugang zu Sachinformationen und Ärztinnen und Ärzte Rechtssicherheit brauchen."
Mit der Uneinigkeit in der Koalition dauert die rechtliche Ungewissheit für diejenigen Ärzte an, die etwa auf ihren Websites darüber informieren wollen, dass sie in ihrer Praxis auch Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Sie müssen weiter mit einer Anzeige nach § 219a StGB rechnen. Im Falle einer Verurteilung droht ihnen dann eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe.
Trotz der Blockade durch die Union zeigte sich Bundesjustizministerin Katarina Barley allerdings auf Nachfrage von LTO optimistisch, "dass wir im Herbst mit der Union eine gemeinsame Lösung finden". Sie vertraue "auf das Wort der Kanzlerin, die zugesagt hat, eine gute Lösung für alle Beteiligten zu finden", so die Ministerin.
Union: "Offenbar kein generelles Informationsproblem"
Barley betonte gegenüber LTO die Notwendigkeit einer Reform: "Frauen, die über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenken, sind in einer sehr schwierigen persönlichen Krisensituation. Sie müssen sich schnell und unkompliziert bei Ärztinnen und Ärzten über einen solchen Eingriff informieren können." Hier gehe es um sachliche Information – und keinesfalls um Werbung. Ärzten müsse diese sachliche Information möglich sein. "Sie brauchen hier dringend Rechtssicherheit," so Barley. Das zeigten die Verfahren, die wegen § 219a StGB geführt werden.
Dass allerdings – wie von der Justizministerin gewünscht – die Kanzlerin eine "gute Lösung für alle Beteiligten" finden wird, dürfte schwer werden: Denn anders als die SPD sieht die Unionsfraktion bei dem Thema keinerlei Reformbedarf: "Ich halte weiterhin eine Änderung des § 219a StGB nicht für angebracht. Aus meiner Sicht sollte die Norm bleiben, wie sie ist", sagte die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, zu LTO. Am Zug sieht die Union auch nicht die Kanzlerin, sondern das federführende BMJV: "Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat uns bisher keinen Vorschlag vorgelegt."
Dass die Unionsfraktion an § 219a StGB am liebsten gar nichts ändern will, hatte Winkelmeier-Becker kürzlich im LTO-Interview damit begründet, dass es bei der Thematik letztlich darum gehe, "die Beratung der Frau zu stärken". Rechtssicherheit für Ärzte sei indes gegeben. Schließlich würden sich diese nicht strafbar machen, wenn sie die Beratungsstellen informieren. "Auch andere Personen, zum Beispiel der eigene Gynäkologe oder eine Freundin, können die Adressen von Ärzten weitergeben; es gibt hier kein Tabu und angesichts von circa 100.000 Abtreibungen pro Jahr auch offenbar kein generelles Informationsproblem. Es würde aber der folgenschweren Bedeutung eines Schwangerschaftsabbruches nicht gerecht, wenn Ärzte sie auf ihren Internetseiten oder in Prospekten als eine Leistung wie jede andere anböten", so die CDU-Politikerin.
Opposition: "Mehr als ein Trauerspiel"
Komplett anders sieht das der Koalitionspartner: "Weil sachliches Informieren erlaubt sein muss, muss der Straftatbestand des § 219a StGB deutlich eingeschränkt oder besser gestrichen werden," bekräftigte SPD-Rechtspolitiker Fechner gegenüber LTO. Der Jurist hatte ebenfalls in einem früheren LTO-Interview auf einen Gesetzentwurf der Bundesregierung vor der Sommerpause gehofft. Im Hinblick darauf hatte die SPD zuvor ihren eigenen Gesetzentwurf, der die Streichung von § 219a StGB vorsah, aus den parlamentarischen Beratungen zurückgezogen.
Unterdessen bringt der Umstand, dass es in der Koalition zu diesem Thema nicht voran geht, die Opposition und Juristenverbände gehörig auf die Palme. Lediglich die AfD will, wie die Union, am Status Quo festhalten: "Das Leben sollte beworben werden, nicht das Töten! Wir von der AfD unterstützen den Erhalt des Paragraphen 219a", heißt es in einer Erklärung der Fraktion. Demgegenüber bezeichnete die frauenpolitische Sprecherin und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Cornelia Möhring, es "mehr als ein Trauerspiel", dass die SPD, obwohl sie selbst längst die Streichung von § 219a StGB beschlossen habe, sich von der Union hinhalten lasse, "statt endlich konsequent zu sein". Möhring zu LTO: "Solange es § 219a StGB gibt, solange gibt es keine Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte." Sie dürften nicht über die medizinische Leistung, die sie anbieten, informieren. So ein Verbot gebe es bei keiner anderen medizinischen Leistung, kritisierte die Abgeordnete.
Die FDP forderte die Union ebenfalls auf, ihre Blockadehaltung "endlich" aufzugeben. "Es ist absurd, dass ausgerechnet Ärzte nicht sachlich informieren dürfen", sagte Stephan Thomae, Stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, zu LTO. Thomae verurteilte das Verhalten der Christsozialen: "Es bleibt zu befürchten, dass die Union weiter auf Verzögerung spielen oder § 219a StGB als Verhandlungsmasse für anstehende Kabinettssitzungen einsetzen wird."
Kritik gab es auch vom Bündnis90/Die Grünen: "Die Stille in der Regierung zu einem Vorschlag für § 219a StGB ist ein schlechtes Zeichen, insbesondere für die SPD, wenn sie sich nach ihrem Einknicken vor der Union im Frühjahr jetzt wieder nicht durchsetzt", sagte die frauenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Ulle Schauws, zu LTO. Sie wies darauf hin, dass es im Bundestag eine parlamentarische Mehrheit mit Linken, SPD, FDP und den Grünen für eine Änderung des § 219a StGB gebe. Von der SPD erwarte sie, "dass sie nach der Sommerpause den Weg für eine Abstimmung ohne Koalitionszwang freimachen."
Juristinnenbund für, Ärztekammer gegen Streichung
Auch der Deutsche Juristinnenbund (DJB) fand an die Adresse der Bundesregierung gerichtet klare Worte: Diese müsse dringend handeln, weil verfassungsrechtliche, rechtssystematische und rechtspolitische Argumente dafür sprächen, eine Reform nun zügig auf den Weg zu bringen. "Entgegen der Entscheidung des demokratischen Gesetzgebers, Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Bedingungen als tatbestandslos oder rechtmäßig anzusehen, werden Staatsanwaltschaften und Gerichte missbraucht, um eine Rechtswirklichkeit durchzusetzen, für die es keine Mehrheiten gibt", kritisierte Prof. Dr. Maria Wersig, Präsidentin des DJB, im Gespräch mit LTO.
Zwischenzeitlich hat sich der Deutsche Ärztetag, die jährliche Hauptversammlung der Bundesärztekammer, gegen eine Streichung oder Einschränkung des in § 219a StGB kodifizierten Werbeverbotes für Abtreibungen ausgesprochen. Gleichwohl mahnten die Ärzte "maßvolle Änderungen" an, damit sichergestellt werde, "dass Ärztinnen und Ärzte, die innerhalb dieses Rahmens über ihre Bereitschaft informieren, gesetzlich zulässige Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, nicht bestraft werden", heißt es in einem Beschluss vom Mai. Bei allen Überlegungen zu Änderungen an den gesetzlichen Vorgaben zum Schwangerschaftsabbruch, auch zum Werbeverbot nach § 219a StGB, müsse der besondere Charakter des Schwangerschaftsabbruches berücksichtigt werden.
Und während sich die Politik streitet, muss sich die Ärztin Kristina Hänel in dem bundesweit bekanntesten Fall vor einer Strafkammer des LG Gießen wegen Werbung für den Schwangerschaftsabbruch verantworten. Das Verfahren gegen sie hatte in Deutschland und sogar international für viel Wirbel gesorgt. Aufgrund des großen Publikumsinteresses musste kürzlich sogar ein Gerichtstermin verschoben werden. Hänel war angeklagt worden, weil sie auf ihrer Website unter dem Begriff "Schwangerschaftsabbruch" einen Link mit Informationen zu Ablauf, Möglichkeiten und Risiken von Schwangerschaftsabbrüchen angeboten hatte. In erster Instanz war sie zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden.
Reform des § 219a StGB steht still: . In: Legal Tribune Online, 07.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30817 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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