Wenn das Schicksal des Planeten in Gefahr ist, werden die Samthandschuhe schon einmal ausgezogen: Comic-Helden aller Couleur gehen bei ihren Rettungsversuchen nicht gerade zimperlich zu Werke. Welche juristischen Fallstricke sie dabei zu beachten haben, erläutern James Daily und Ryan Davidson auf LawAndTheMultiverse.com
Ein altes Dilemma: Immer wieder müssen Superhelden sich bei ihren Einsätzen nicht nur mit diversen Bösewichten herumschlagen, sondern obendrein einen schwierigen Drahtseilakt vollführen, um nicht selbst in Konflikt mit der Obrigkeit zu geraten. Wäre es da nicht besser, man würde ihre besonders hartgesottenen Widersacher gleich vom Schutz des Gesetzes freistellen?
Historisch betrachtet wäre das kein einmaliges Vorgehen – in Deutschland musste man in vergangenen Jahrhunderten sogar weitaus weniger anstellen als so mancher Tunichtgut im Comic, um für "vogelfrei" erklärt zu werden. Und im England des Mittelalters wurde dieselbe Strafe durch Gleichsetzung mit einem anderen Tier verhängt. "Caput gerat lupinum", sinngemäß: "Möge er den Kopf eines Wolfes tragen", wurde dort über den Angeklagten gesagt, der fortan in seinen Rechten tatsächlich nicht besser dastand als ein gewöhnlicher Wolf.
Diese Form des Richterspruchs war nicht zuletzt einer praktischen Notwendigkeit geschuldet. Da die Gerichte nur höchst selten tagten und es keine Polizei gab, war es oft ein Ding der Unmöglichkeit, die Anwesenheit des Angeklagten im Verfahren zu gewährleisten und das Urteil, wie es auch immer lauten mochte, ordentlich zu vollstrecken. Stattdessen wurde der Delinquent in Abwesenheit zum buchstäblich Gesetzlosen gemacht, woraufhin jeder im Volk, der ihm begegnete, die Henkersrolle straflos übernehmen durfte.
Woher ich das alles weiß? Aus einem Blog-Eintrag von Ryan Davidson, bei Tag Anwalt für Versicherungsrecht aus Indiana, bei Nacht begeisterter Comicbook-Fan und Autor. Davidson spekuliert in seinem Artikel über die oben erwähnte Ausgangsfrage. Wäre es wohl möglich, dieses längst abgeschaffte Rechtsinstitut in Ausnahmefällen wiederzubeleben, um einem Erzbösewicht vom Range eines Joker oder Kingpin (oder, etwas realitätsnäher, eines gesuchten Terroristen oder Piraten) beizukommen?
Die Festnahme von Scarecrow würde im Blutbad enden
Wäre es nicht, lautet sein Fazit. Denn tragende Prinzipien des (amerikanischen) Rechts wie die Unschuldsvermutung verlangen, dass niemand ohne ein faires Verfahren verurteilt wird, vgl. etwa Coffin v. United States, 156 U.S. 432 (1895). Ebenfalls contra legem wäre es, dem notorischen Gesetzesbrecher in Abwesenheit den Prozess zu machen – Crosby v. United States, 506 U.S. 255 (1993), wird hierfür als Präzedenzfall zitiert.
Allerdings, so der Autor, wäre eine Ausnahme zu erwägen für "Personen, deren Kräfte oder Fähigkeiten so weit über das gewöhnliche menschliche Vermögen hinausgehen, dass ihre gewaltsame Festnahme unmöglich wäre oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unschuldige Leben fordern würde". Im Falle eines gegenwärtigen Angriffs gelten zudem die auch aus dem deutschen Recht bekannten Eingriffsbefugnisse im Rahmen der Notwehr/-hilfe, sodass eine gewisse, aber rechtsstaatlich eingeschränkte Handhabe gewährleistet ist.
Es wird dem Leser kaum entgangen sein, dass hier juristisches (Grundlagen-)Wissen auf laienfreundliche Art vermittelt wird. Genau darauf kommt es den Autoren auch an: "Es ist leicht für einen amerikanischen Anwalt, nach sieben Jahren der Ausbildung zu vergessen, dass die meisten Menschen nicht viel über das Recht wissen – und das, was sie aus Gerichtsshows und Filmen zu wissen glauben, ist oft unzutreffend. Aber solche Formate sehen sich die Leute an, weil sie sehr viel unterhaltsamer sind als das Studium hundert Jahre alter Entscheidungen des Supreme Courts.
Aquaman und Batman statt "der A" und "der B"
Die Kunst ist daher, beides zusammenzuführen", erklärt Daily, Rechtsanwalt und Gründer von LawAndTheMultiverse. Und Davidson die andere Hälfte des Autoren-Zweigespanns, fügt hinzu: "Wir versuchen, auf eine unterhaltsame und zugängliche Art über Rechtsthemen zu schreiben, und dafür geben Vergleiche mit Superhelden viel her. Die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte für jedermann verständlich zu erklären, ist ohnehin etwas, was wir im Berufsleben brauchen – auch wenn die wenigsten Richter uns erlauben würden, vor einer Jury eine Analogie zu Batman zu ziehen."
Doch was für den Gerichtssaal zu leger ist, ist für das Internet gerade richtig, und so illustrieren die beiden seit mittlerweile einem Jahr in über 200 Einträgen eifrig die Realität anhand der Fiktion. "Die Idee kam auf, als meine Frau und ich Freunde zum Abendessen eingeladen hatten und wir darüber diskutierten, wie Supermans Röntgen-Blick unter dem Gesichtspunkt der Privatsphäre zu bewerten sei. Ich habe dann den Blog gestartet, und Ryan war der erste, der einen Kommentar gepostet hat. Seitdem betreiben wir das Projekt gemeinsam", erinnert sich James Daily.
Und das augenscheinlich sehr erfolgreich, denn die Seite wurde bereits in einer Reihe von Radioshows, Blogs, Webseiten und sonstigen Medien vorgestellt, unter anderem auch in der New York Times. "Wir kriegen viel Fanpost von Anwälten, Studenten und sogar Professoren, die einige unserer Posts in Vorlesungen verwendet haben. Außerdem haben wir bei diversen Konferenzen Vorträge gehalten, und im Sommer 2012 erscheint bei Gotham Books ein Buch von uns", sagt Daily, und Davidson ergänzt: "Wir sind auch für andere Ideen offen. Wer will, kann uns über unseren Blog kontaktieren.".
An Einfällen mangelt es den beiden Comic-Fans jedenfalls nicht. Dabei müssen in ihren Artikeln durchaus nicht immer düstere Drohkulissen und Weltuntergangsszenarien aus der Marvel-Welt allegorisiert werden, oft eignen sich die etwas weniger spektakulären Szenen des Superheldenalltags sogar besser.
Es muss nicht immer Magneto sein
"Wenn ein Bösewicht droht, die ganze Welt zu zerstören, dann stört es im Zweifel niemand, dass sein Widersacher ein paar Gesetze bricht, um ihn daran zu hindern. Umgekehrt sind Charaktere wie der Punisher, die ganz offenkundig das Gesetz brechen, meist auch nicht so ergiebig. Am liebsten haben wir die Helden, die versuchen, alles korrekt und richtig zu machen, und dabei in schwierige Situationen geraten", erklären Daily und Davidson.
So geschehen etwa beim weiblichen Hulk, deren Alter Ego Jennifer Walters im Comic als Anwältin arbeitet. In einer Episode rettet sie einen Menschen vor einem Überfall, während zwei andere Superhelden tatenlos zusehen. Anschließend bietet sie dem Opfer des Delikts ihre Dienste als Prozessvertreterin an, falls die unterbliebene Hilfeleistung der anderen beiden "Helden" ihm emotionales Leid bereitet haben sollte. Damit, so ist in einem von Dailys Artikeln nachzulesen, verstößt sie jedoch gegen verbindliche Regeln ethischen Geschäftsverhaltens für Anwälte und begeht im Staate New York, in dem sich das Geschehen zutrug, sogar eine Ordnungswidrigkeit.
Mandantenwerbung in persona ist dort nämlich nur in Ausnahmefällen erlaubt, und schon gar nicht, wenn der Betroffene sich in einem Erregungszustand befindet, von dem anzunehmen ist, dass er eine ruhige und besonnene Entscheidung für die Beauftragung des Anwalts ausschließt. Zudem ist Walters Vorschlag auch in der Sache unsinnig, denn die beiden anderen Helden traf keine spezielle Rettungspflicht, sie wären daher für etwaige emotionale Schäden aus der unterbliebenen Hilfeleistung nicht haftbar.
Die Einträge von Daily und Davidson sind ähnlich vielgestaltig und ausufernd wie die Comics, aus denen sie sich speisen. Wer also neugierig geworden ist und wissen möchte, warum es steuerrechtlich einen Unterschied macht, ob Superman Kohle zu einem Diamanten presst und diesen verschenkt , oder die Kohle verschenkt und sie erst danach zu einem Diamanten formt, der kann bei einem Besuch von lawandthemultiverse.com die Antwort auf diese und viele andere Fragen selbst nachlesen.
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Constantin Baron van Lijnden, Superhelden und Recht: . In: Legal Tribune Online, 04.12.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4959 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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