Tobias Scheidackers "Als sich mein Mandant in die Richterin verliebte": "Geschichten, die das Anwaltsleben schreibt"

von Constantin Körner

10.09.2013

2/2: "Manche Geschichten sind lustig, andere politisch, wieder andere nachdenklich – wie der Arbeitsalltag eben"

LTO: Welche ist Ihre Lieblingsanekdote und warum?

Scheidacker: Oh, ich liebe sie alle. Die Geschichten behandeln alle ganz unterschiedliche Dinge. Das heißt, es dreht sich ganz und gar nicht nur um juristische Kuriositäten, sondern vielmehr um mein Leben als Anwalt. In einer Story ("Zweckentfremdung eines Richtertisches") geht es zum Beispiel darum, wie ich als frischer Vater notgedrungen mein Baby mit zum Gericht nehme, in anderen um Standesdünkel ("Fachsprache I") oder einen absurden Sachverhalt ("Fernheilung") oder darum, dass uns das Recht manchmal abverlangt, ganz ernsthaft unvernünftige Fragen zu stellen ("Wie kommt man möglichst teuer nach Dessau?"). In der Geschichte "Steuerrecht" werde ich ziemlich politisch, in der "Badeordnung" versuche ich zu zeigen, warum auch wir Juristen häufig nur mit Wasser kochen können und wie wir das tun.

"Bewerbungen" erzählt davon, wie sich aus unserer Sicht als Ausbildungsbetrieb die Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz darstellen, diese Geschichte finde ich sozialpolitisch sehr wichtig. Sehr schön ist auch "Links und Rechts" - im Grunde endet sie abrupt da, wo meine Arbeit beginnt. Die Lösung bleibt völlig offen. Das transportiert, wie es uns Anwälten manchmal geht, wenn der Mandant zu uns in die Beratung kommt in einer Situation, die unmöglich und kaum mehr zu lösen ist, und wir dann helfen sollen. Auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unserer Arbeit finde ich wichtig und lasse sie immer wieder mal anklingen. Viele Leute denken ja, wir Anwälte sind alle reich.

In "Der Fluch kleiner Streitwerte" versuche ich zu zeigen, dass wir genauso hart und ehrlich für unser Brot arbeiten müssen wie andere und zudem mit Arbeitgeberverantwortung, und man das nicht so pauschalisieren kann. Und zur Titelgeschichte wurde schließlich pure Romantik, denn Recht hin oder her - auch Robenträger sind letztlich nur Menschen.

"Als Anwalt hat Moral oft ihren Preis"

LTO: Sie sprachen vorhin schon selbst das Kapitel "Der Fluch kleiner Streitwerte" an, in dem Sie anschaulich beschreiben, welchen Aufwand selbst die Bearbeitung von Mandaten mit kleinsten Streitwerten mit sich bringen kann. Das ist sicher bisweilen frustrierend. Haben Sie mit dem Entschluss, Jura zu studieren und Fachanwalt für Miet- und Wohneigentumsrecht zu werden auch einmal gehadert?

Scheidacker: Der Entschluss hatte mit Geld nichts zu tun. Ich wuchs in der DDR auf, mein Vater ist Pfarrer. Meine Kindheit war von einer stark oppositionellen Haltung zum DDR-Regime geprägt, was uns einige Schwierigkeiten bereitete. Und der Vater meines Vaters leistete aktiv dem Naziregime Widerstand. Unsere "Familienkultur" war also sehr darauf angewiesen und davon bestimmt, dass man ein eigenes moralisches Koordinatensystem entwickelt. Dass man selber weiß, was "richtig" ist und was "Unrecht". Darauf, dass unser Umfeld uns das zutreffend vermittelt, konnten wir ja nicht vertrauen. Als dann für mich mit der Wende der Weg zu Abitur und Universität frei wurde, lag ein Studium von Recht und Gerechtigkeit eigentlich nahe.

Meine persönliche Historie erlaubt mir übrigens einen in gewisser Weise externen Blick auf die Art und Weise, in welcher sich "Recht" als Gesellschaftsprinzip in unserer heutigen kapitalistischen Gesellschaft verankert hat. Und da geht es häufig nicht um Recht, sondern um Geld. Zu Beginn meines Studiums war das eine herbe Enttäuschung. Ich habe mir meine Grundhaltung aber bewahrt. Dass mir moralische Prinzipien grundsätzlich wichtiger sind als mein eigener Geldbeutel, zeigt sich zum Beispiel darin, dass ich meine Mandanten so berate, wie es für sie richtig ist, nicht wie ich wirtschaftlich am besten davon profitiere. Das geht häufig gegen meine eigenen finanziellen Interessen, bedient aber meinen moralischen Anspruch an mich selbst.

Mit dem Immobilienrecht wurde ich frühzeitig sehr vertraut. Ich war als Student Mieter in einer kleinen, heruntergekommenen Ein-Zimmer-Wohnung und die Hausverwaltung war unglaublich schlecht. Die haben mir auf eine so unqualifizierte Weise so viele Probleme bereitet, dass ich mich einfach mit der Materie befassen musste. Zumal ich in engsten wirtschaftlichen Verhältnissen lebte und keinen Pfennig verschenken konnte, das war einfach existenziell. Später lag es dann nahe, in dem Gebiet weiterzumachen.

LTO: Herr Scheidacker, vielen Dank für das Interview. Wir wünschen Ihnen weiterhin einen so bewegten Berufsalltag.

Tobias Scheidacker ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht in Berlin. Sein Buch "Als sich mein Mandant in die Richterin verliebte" erscheint am 11. September in der Münchner Verlagsgruppe.

Das Interview führte Constantin Körner.

Zitiervorschlag

Constantin Körner, Tobias Scheidackers "Als sich mein Mandant in die Richterin verliebte": . In: Legal Tribune Online, 10.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9529 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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