Der Streit war heftig, lohnte sich aber. Durch Gesetz vom 10. Mai 1920 machte die Weimarer Republik den Schritt zu einer zaghaften Bodenreform und schuf die Heimstätte. Martin Rath über ein altes, doch revolutionäres Rechtsinstitut.
Um starke Worte war keine Seite verlegen. Das Verbandsblatt der Haus- und Grundeigentümer schimpfte, es bei all den Zumutungen der Reformbewegung mit einer "kalten Sozialisierung", ja sogar mit regelrechtem "Wohnungsbolschewismus" zu tun zu haben.
Die gegnerische Seite äußerte sich kaum weniger deftig. Ein Befürworter der Bodenreform erklärte etwa, dass die für weite Bevölkerungskreise belastende Preisentwicklung auf den Grundstücks- und Wohnungsmärkten auf die Währungs- und "Mietschutzabbauspekulation" zurückzuführen sei, mit der die Haus- und Grundeigentümer eine "Leichenfledderei an der Leiche der deutschen Volkswirtschaft" begingen.
Das mag klingen, als sei es fürs Poesiealbum von Hausbesetzern und "Hartz IV"-Leserbriefverfassern geschrieben, doch stammen diese Äußerungen aus dem Jahr 1926 – und zwar von dem in der späteren deutschen Rechtsgeschichte einflussreichen Ökonomen und Theologen Oswald von Nell-Breuning (1890–1991), einem Vordenker der katholischen Soziallehre. Er zählte in den 1950er Jahren zu den Kritikern der Rentenreform unter Konrad Adenauer, die es unterließ, die Entlastung von Familien mit Kindern hinreichend zu bedenken. Kaum zufällig sollte später ein prominenter Verfassungsrichter, der hier nachzubessern versuchte, im Namen Nell-Breunings geehrt werden.
Heißer Streit, kleines Gesetz
Nell-Breuning zählte zu den Befürwortern des Reichsheimstättengesetzes vom 10. Mai 1920, auch wenn er – wie seine Mitstreiter in Fragen der Immobilienökonomie – deutlich weitreichendere Vorstellungen zur Neugestaltung der Verfügungsmacht über Grund und Boden hatte.
Das Gesetz sah vor, dass namentlich das Reich, die Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sogenannte Wohn- oder Wirtschaftsheimstätten "ausgeben" sollten. Dabei handelte es sich um Grundstücke, die über einen großen Nutzgarten oder eine kleine landwirtschaftliche bzw. Gartenfläche verfügten. Groß genug, damit dort eine Familie über die Selbstversorgung durch das Halten von Hühnern, Schwein und Ziege sowie Obst- und Gemüseanbau noch Lebensmittel für den Markt produzieren konnte, klein genug, um dabei keine fremde Arbeitskraft in Anspruch nehmen zu müssen.
Die Ausgabe sollte vor allem an kinderreiche und durch den Krieg geschädigte Familien erfolgen, die Eigenschaft als Heimstätte und die ausgebende Stelle waren vorrangig ins Grundbuch einzutragen. Wer eine Heimstätte erhielt, oft als Siedler bezeichnet, war dazu verpflichtet, das Haus zu bewohnen und das Grundstück aktiv zu bewirtschaften. Die Verfügungsmöglichkeiten über das Grundstück, was den Erbgang, die Belastung mit Grundschulden oder den Ausbau des Gebäudes betraf, waren stark eingeschränkt.
Heimstätte für die Selbstversorgung
Der ausgebenden Stelle stand ein Heimfallrecht unter anderem dann zu, wenn der Siedler seinen Pflichten nicht nachkommen sollte, das als Heimstätte definierte Grundstück selbst zu bewohnen und zu bewirtschaften. Wollte er es außerhalb eines kleinen Kreises bevorrechtigter Familienangehöriger veräußern, konnte sie das Vorkaufsrecht ausüben.
Der Preis, zu dem ein mit dem Institut der Heimstätte belastetes Grundstück (oder Erbbaurecht) den Eigentümer würde wechseln können, sollte gedeckelt werden. Deshalb sah das Gesetz vor, dass die ausgebende Stelle bei der Ausübung des Vorkaufsrechts nur den Wertzuwachs zu berücksichtigen hatte, der sich durch den "noch vorhandenen" Wert "etwaiger Baulichkeiten und Verbesserungen" ergab. Eine Wertsteigerung des übrigen Grundstücks sollte unbeachtlich, ein etwaiger Wertverlust jedoch zulasten des veräußernden Siedlers gehen.
Schmackhaft gemacht werden sollte den Siedlern die Heimstätte durch Restriktionen, was die Zwangsvollstreckung in dieses Eigentum betraf, hinzu kam eine weitgehende Freistellung von Steuern, die im Zusammenhang mit dem Grundstückserwerb und der Errichtung des Hauses standen.
Eine Rechtsidee "schlimmer als Sozialdemokratie"
Obwohl die Bodenreformbewegung, nicht zuletzt eine amerikanische Erfindung mit transatlantischer Wirkungsmacht, in Deutschland vor allem verbunden mit dem Namen Adolf Damaschke (1865–1935), so stark war, dass sie in Kaiserreich und Republik von nahezu allen politischen Parteien umworben wurde, bot das Heimstättengesetz nur einen kleinen Ausblick auf den vermeintlichen "Wohnungsbolschewismus".
Die öffentliche Hand der ersten deutschen Republik war notorisch zu arm, als dass es gelungen wäre, mehr als wenige zehntausend Grundstücke zu beschaffen – ein Großteil der Heimstätten entstand erst im NS-Staat –, eine Abschöpfung von Preiszuwächsen am Immobilienmarkt blieb auch sonst rudimentär, schon weil es schwerfiel, zwischen dem zu unterscheiden, was als "Spekulation" und was als "vernünftiger Wertzuwachs" zu verstehen sei.
Die Rechtswissenschaft behandelte das Institut der Heimstätte ungnädig. Während sich beispielsweise zwischen 1919 und 1933 zahlreiche Dissertationen zum Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten fanden, mochte sich kaum ein Doktorand mit einer Rechtsidee befassen, die "schlimmer als Sozialdemokratie" zu sein schien.
Eine Bodenreform gab es doch nicht
Damit blieben die – noch mehr Stoff fürs kapitalismuskritische Poesiealbum – starken Ansagen aus Artikel 155 Absatz 1 bis 3 der Weimarer Reichsverfassung rechtspolitisch und rechtswissenschaftlich weitgehend totes Holz:
"(1) Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Weise überwacht, die Mißbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern. Kriegsteilnehmer sind bei dem zu schaffenden Heimstättenrecht besonders zu berücksichtigen.
(2) Grundbesitz, dessen Erwerb zur Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses, zur Förderung der Siedlung und Urbarmachung oder zur Hebung der Landwirtschaft nötig ist, kann enteignet werden. Die Fideikommisse sind aufzulösen.
(3) Die Bearbeitung und Ausnutzung des Bodens ist eine Pflicht des Grundbesitzers gegenüber der Gemeinschaft. Die Wertsteigerung des Bodens, die ohne eine Arbeits- oder Kapitalaufwendung auf das Grundstück entsteht, ist für die Gesamtheit nutzbar zu machen."
Die Heimstätte starb langsam
Im NS-Staat wuchs die Zahl von Heimstätten, die nun an regimetreue Siedler mit "Ariernachweis" ausgegeben wurden, zwar ein gutes Stück, sehr viel mehr als eine propagandistische Ausbeutung der bis dahin zu allen politischen Lagern – Konservativen, Liberalen, Sozialdemokraten – mehr oder weniger anschlussfähigen Ideen der Bodenreformbewegung kam dabei aber nicht heraus.
In der DDR fand das Rechtsinstitut mit Einführung des Zivilgesetzbuchs 1976 ein Ende. Die junge Bundesrepublik subventionierte angesichts der hoch desolaten Lage am Wohnungsmarkt zwar viele Formen des Wohnungsbaus, doch wurden nur sehr wenige neue Heimstätten ausgegeben.
Was zum Heimstättenrecht vor Gericht kam, atmete dann kaum noch etwas von den revolutionären Ideen der Bodenreformer des Kaiserreichs und der Weimarer Republik.
Rechtsstreit um Spültisch und Spülschrank
Der Bundesfinanzhof musste beispielsweise mit Urteil vom 10. Februar 1966 (Az. V 192/63) darlegen, dass das Heimstättengesetz nicht nur Dinge von der Umsatzsteuer freistellte, die nach §§ 93, 94 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wesentlicher Bestandteil des Grundstücks wurden, sondern auch Inventar und Zubehör, das der "wirtschaftlich vernünftige" Bauherr bei der Errichtung des Heimstätten-Hauses anschaffte – man stritt um die Grenzen zwischen Spülschrank und Spültisch.
Bald darauf sollten die steuerlichen Vergünstigungen des Jahres 1920 vom Bundesgesetzgeber zurückgenommen werden.
Besonders engstirnig verhielt sich die Heimstätten-Aufsicht in Berlin (West) im Fall eines älteren Ehepaars, das in seinem mit dem Heimstättenvermerk belasteten Siedlungshaus zusätzlichen Wohnraum für ein befreundetes Paar einrichten wollte, weil es selbst das Grundstück nicht mehr würde bewirtschaften können und die eigene, selbst schon nicht mehr junge Tochter hierzu nicht in der Lage sei. Hier musste das Oberverwaltungsgericht Berlin (West) mit Urteil vom 26. Juli 1974 (Az. II B 33.73) daran erinnern, dass das Heimstättenrecht ursprünglich dazu gedacht war, die unmittelbare zwischenmenschliche Solidarität durch die Organisation des Sozialraums "Siedlung" zu fördern.
Keine Renaissance in den 70er Jahren
Anders als viele weitere weltanschaulich vogelfreie Ideen erfuhren die Überlegungen der Bodenreform augenscheinlich in den "Neuen Sozialen Bewegungen" der 1970er und 1980er Jahre keine breite Renaissance. Neben dem Kampf gegen den alten wie den reformierten § 218 StGB, gegen Kernkraftwerke und amerikanische Atomraketen blieb wenig Platz für deren fundamentalen Ansatz. Der hoch betagte Nell-Breuning fand unter Gewerkschaftlern und konservativen Verfassungsjuristen Beachtung – kaum hingegen im Re-Enactment sozialen Aufruhrs durch die künftige Kundschaft von Bioladen und linkem Kabarett.
Zudem lösten die private Bau- und die staatlich subventionierte Wohnungswirtschaft jedenfalls so viele Probleme, dass von echter Wohnungsnot seither nicht mehr gesprochen werden kann, jedenfalls gemessen an historischen Maßstäben.
Das Rechtsinstitut der Heimstätte trug der Bundesgesetzgeber zum 1. Oktober 1993 zu Grabe.
Geblieben sind etliche Siedlungen, die mit ihren kleinen, oft auf schräge Weise erweiterten Häusern und unvorstellbar großen 800-Quadratmeter-Grundstücken in nahezu allen deutschen Großstädten das Herz jedes epikureischen Gartenfreunds schmerzen lassen. Denn Huhn, Schwein und Ziege oder wirklich reiche Obstbäume und Gemüsebeete sind dort heute selten zu sehen.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Das Rechtsinstitut der Heimstätte: . In: Legal Tribune Online, 10.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41569 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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