Recht im Bestseller: Litera­ri­sche Leis­tungen von Prof. Dr. iur. Ralf Höcker, LL.M. (London), RTL

von Martin Rath

10.07.2011

Auch erwachsene Menschen, die als Mediennutzer die Aufmerksamkeitsspanne eines koffeinabhängigen Kindergartenkindes zeigen, haben offenbar ein Interesse an populärwissenschaftlichen Auskünften. Darum boomt das Metier der "Irrtumslexika". Führender juristischer Autor für solches Schrifttum dürfte Ralf Höcker sein. Eine Würdigung recht zäher Literatur von Martin Rath.

Einerseits muss man diesen Ralf Höcker ja einfach mögen: Er ist als Medienanwalt in seinem gelernten Beruf offenkundig erfolgreich, zudem ein Mannsbild in den besten Jahren. So darf man sich heute den schwiegermutterkompatiblen Juristen mittleren Alters vorstellen. Dafür, dass einige einstweilige Verfügungen aus seiner Kanzlei eine verkrachte Publizistin in dem behindert haben, was wohl nur Alice Schwarzer und die Redaktion der Bild-Zeitung rund um den Kachelmann-Prozess für journalistisches Arbeiten hielten, wird Höcker den Beifall selbst jener finden, die von einstweiligen Verfügungen oder Schwiegermutterkompatibilität im Medienbetrieb, sogar als Moderator bei "RTL", sonst nicht sehr viel halten.

Auf der anderen Seite steht ein umfang- und durchaus erfolgreiches populärwissenschaftliches Werk des promovierten, auslands- und hochschultauglichen Juristen. Ralf Höckers sogenannte Lexika der "Rechtsirrtümer" haben es wiederholt auf die Bestseller-Listen geschafft, der renommierte Langenscheidt-Verlag brachte sein Wörterbuch "Anwalt-Deutsch, Deutsch-Anwalt" heraus. Sie sollen einer kritischen Würdigung unterzogen werden.

Wissenschaft und populäres Schreiben – eine Elendsgeschichte im Exkurs

Dass die deutschen Wissenschaften sich schon länger schwertun, ihre Qualitätsmaßstäbe zu definieren und durchzusetzen, zeigen nicht erst die laufenden Plagiatsaffären (für einen interdisziplinären Überblick jetzt http://deplagio.wordpress.com). Wegen ihrer politischen Nebeneffekte darf bis heute die Konzelmann-Affäre der 1990er-Jahre als besonders bedrückendes Lehrstück für das gestörte, mitunter gar nicht vorhandene Verhältnis von wissenschaftlicher und populärer Öffentlichkeit gelten.

Die Konzelmann-Affäre verlief in etwa so: Eines Morgens saß der in Hamburg lehrende Orientalist Gernot Rotter (1941-2010) in der Bahn und las, weil er dort nichts besseres zu tun hatte, ein Buch des Journalisten Gerhard Konzelmann (1932-2008) – eines jener mindestens 20 Werke, die Konzelmann über den Nahen Osten, die Geschichte des Islams oder das, was Konzelmann dafür hielt, geschrieben hatte. Rotter erkannte viele Stellen wieder – sie waren ohne Nachweis aus seinem wissenschaftlichen Werk abgeschrieben, zum Teil so laienhaft, dass sie sogar Zweifel zuließen, ob Konzelmann – bis zu diesem Zeitpunkt neben dem unsterblichen Peter Scholl-Latour der Auskunftgeber zu Fragen des Nahen Ostens – überhaupt der arabischen Sprache mächtig war (zum Ganzen: DER SPIEGEL vom 8. Juni 1992).

Rotter ging damals erfolgreich mit juristischen Mitteln gegen "Allahs Plagiator" vor. Dass ihm sein populärwissenschaftlicher 'Kollege' erst so spät in die Fänge geraten war, merkte der Orientalist selbstkritisch an: Die Universitätswissenschaft sei zu snobistisch, um sich mit populärwissenschaftlich arbeitenden Autoren auseinanderzusetzen.

Will das überhaupt populärwissenschaftlich sein?

Soweit das zu ermitteln war, hat sich bisher keine der bedeutenden rechtswissenschaftlichen Zeitschriften mit den populären Werken Ralf Höckers auseinandergesetzt. Natürlich treibt nun den Verfasser dieser Zeilen weder in Worten noch in Gedanken die Hypothese um, dass sich in den populären Werken des Medienanwalts aus Köln Plagiate fänden.

Allerdings quält ihn nach der Lektüre von gut 500 Seiten von drei Lexika "der Rechtsirrtümer" und des Langenscheidt'schen "Anwaltswörterbuchs" doch die Frage nach der Substanz und Originalität der aufbereiteten Inhalte.

Zweifel weckt in den drei zur Hand genommenen Lexika oft bereits die Qualität jener "Irrtümer", die angeblich mehr oder weniger große Kreise der Bevölkerung in Rechtsdingen umtreiben. Das lässt sich an einem Beispiel aus Band 1 illustrieren. Dort heißt es: "Irrtum: Die Hundesteuer wird zur Straßenreinigung verwendet und gibt dem Tierhalter deshalb ein 'Verunreinigungsrecht'."  Höcker stellt klar: "Richtig ist: Die Hundesteuer wird nicht zweckgebunden eingesetzt und 'Hundehaufen' können teuer werden." Die Klarstellung geht noch etwas weiter und ist aus zwei Gründen ärgerlich: Dass der Leser am simplen Beispiel nicht über den Unterschied von "Steuern" und "Gebühren" aufgeklärt wird, ist noch das kleinere Problem. Größer die Frage: Wie viele Hundehalter glauben wohl tatsächlich und ernsthaft, ihre Steuerpflicht erlaube es ihnen, ihr Lieblingsraubtier allerorts defäkieren zu lassen?

Der Zweifel, ob es überhaupt Menschen gibt, die den von Höcker aufgeklärten "Irrtümern" unterliegen, ist in anderen Fragen noch handgreiflicher zu fassen. Ein besonders absurdes Beispiel: "Vermeintlich besonders gut informierte Bürger belehren Polizeibeamte mitunter darüber, dass sie ihnen keine Vorschriften machen dürften, solange sie nicht ihre Polizeimütze trügen." Hier juristisch richtigzustellen, fällt nicht schwer, bleibt allein die Frage: Kommt das wirklich vor?

Ein Blick in den Kommentar erhöht die Witzigkeit

Möglicherweise wirklich verbreitet ist eine Aussage, die Höcker im zweiten Lexikon als Irrtum entlarvt: "Die beiden ersten Strophen des Deutschlandliedes sind verboten."
Am Ende wird der Leser darüber aufgeklärt, dass er zwar alle drei Strophen singen dürfe, das aber besser nicht beim Campingurlaub an Maas, Memel, Etsch oder Belt tue, wo die einheimische Bevölkerung das heute wohl lieber nicht höre.

Hier bleibt, beispielhaft, nicht der Irrtumscharakter der Aussage im Dunklen. Aber leider bleiben mindestens zwei oder drei witzige Seiten dieser Rechtsgeschichte unerwähnt: Nachdem die alliierten Besatzungsmächte 1945 das "Deutschlandlied" samt der  zwölf Jahre lang mitgesungenen NS-Mörderhymne "Horst-Wessel-Lied" verboten hatten, machte Bundeskanzler Konrad Adenauer allerlei komische Verrenkungen, deutsche Souveränitätsrechte über das "Hymnenproblem" wiederzugewinnen. So viel Völkerrecht mutet Höcker seinen Lesern nicht zu. Teils zeitlich parallel dazu rang der zähe Kölner Politiker Adenauer mit dem kunstsinnigeren Bundespräsidenten Theodor Heuss um die innerstaatliche Kompetenz zu bestimmen, welche Musik zum neuen Staatssymbol werden solle. Für juristische Laien muss es befremdlich wirken, dass sich Adenauer und Heuss schließlich per "Schriftwechsel" aufs patriotische Liedgut verständigten. Vor so viel bizarrem Staatsrecht bewahrt Höcker die Leser desgleichen.

Zu wahrer Hochkomik, so sollte es sich jedenfalls für juristische Laien darstellen, läuft Bundespräsident und Bundesverfassungsgerichtspräsident (jeweils: a.D.) Roman Herzog in seinem Kommentar zu Artikel 22 Absatz 2 des Grundgesetzes auf. Die Vorschrift besagt kurz und bündig: "Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold." Es gibt zwar Menschen, die als Synästhetiker eine Fehlschaltung des Gehirns erleben und beispielsweise Töne als Farben, Farben als Töne wahrnehmen. Allen anderen darf es aber als durchaus bizarr erscheinen, dass im grauen Standardkommentar "Maunz-Dürig-Herzog-Scholz" (die Namenskette hat ja wieder etwas Komisches an sich) unter dem juristischen Farbsatz "schwarz-rot-gold" ausführlich das Problem der staatstragenden Melodie abgehandelt wird.

Komisch, aber auch das bei Höcker nicht vorhanden.

Alltagsfragen und historische Abgründe bleiben gerne ausgeblendet

Über die mehreren hundert Seiten der drei "Lexikon"-Bände sind – neben mancher Enttäuschung über verpasste Erheiterungstatbestände – kleinere Ärgernisse über allenfalls partielle Aufklärungsbemühungen zu erleben. Das Gefühl der Verärgerung rührt aus der Botschaft Höckers, dass der Leser eine Unterscheidung von Begriffen, die sich in der Gesetzgebung, der Rechtsprechung oder professoralen Kommentaren findet, nicht oder nicht richtig verstanden werde. Trifft die feine Unterscheidung dann im Alltag auf die Staatsgewalt, dürfte ihr Wert selbst für den, der sie kennt, in Zweifel stehen. Ein Beispiel ist die Aufklärung: "Man muss immer seinen Personalausweis bei sich tragen." Höcker erläutert, dass dem von Rechts wegen nicht so ist: Ab einem Alter von 16 Jahren muss man in Deutschland einen Ausweis besitzen, mitführen braucht man ihn nicht (Band 1, S. 175). Fraglich bleibt dann, wer beispielsweise bei einer Polizeikontrolle besser fährt: derjenige, der bewusst oder im Irrtum seinen Ausweis dabei hat oder derjenige, der die Kontrolleure zur Feststellung seiner Personalien auf die nächste Polizeidienststelle begleiten darf.

Ein hoffentlich (noch) weniger oft im Alltag wirklich relevanter Irrtum betrifft die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag. Menschen bis zum ersten, zweiten Semester Rechtswissenschaften werden hier wahrscheinlich ganz unbefangen antworten, das eine – Mord – sei eine Sache, die mit Vorsatz zu tun hat. Das andere – Totschlag – klingt ja schon nach dem Gefühlsüberschwung des "Affekts", der hier den Unterschied mache. Höcker klärt hier ganz klassisch auf, dass sowohl Mord wie auch Totschlag heute ganz klar als Vorsatztaten gestaltet sind, während der "Affekt" – oder doch die "Überlegung" – bis 1941 eine Rolle gespielt hätten. Hier bleiben, wohl weil ein "Lexikon der Rechtsirrtümer" kein Übermaß an finstren Geschichten verträgt, die wirklich fiesen Umstände unter denen das "Affekt"-Modell 1941 aus dem Gesetzbuch verschwand, ausgeblendet. Ein bisschen verständlich ist das schon, denn wem bliebe nicht das Lachen im Halse stecken, erführe er, dass die bis heute unveränderte Unterscheidung von Mord und Totschlag von keinem anderen öffentlich präsentiert und erstmals kommentiert wurde als Roland Freisler – dem späteren Präsidenten des 'Volksgerichtshofs'.

Liebloses Wörterbuch "Anwalt-Deutsch, Deutsch-Anwalt"

Aus dem dritten Band der "Lexika" sei noch erwähnt, dass laut Höcker die Jurastudenten "in schallendes Gelächter" ausbrächen, wenn sie beim Durchblättern des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf das "Bienenrecht" stoßen. Man mag einräumen, dass diese Materie merkwürdig ist und erst interessanter wird, wenn man ihr juristisches Umfeld ein wenig erkundet (zum Beispiel das Taubenrecht), aber wäre das Gelächter deutscher Nachwuchsjuristen beim Erstkontakt mit dem Bienenrecht tatsächlich "schallend" – man dürfte an ihrem Humorverstand zweifeln.

Zweifel an seinem bisher eher finstren Kommentar der Höcker'schen Werke kamen dem Rezensenten kurz bei einigen Einträgen im "Langenscheidt"-Bändchen "Anwalt-Deutsch / Deutsch-Anwalt". Diese satirisch gemeinte Serie des renommierten Wörterbuchverlages wartet ja unter anderem mit einem Büchlein von Mario Barth auf, einer Person der Zeitgeschichte, die auf die Lachmuskulatur des Rezensenten ähnliche Wirkung hat wie eine 1-Liter-Spritze Botox. Hier bringt Ralf Höcker mit offensichtlich auch selbstironischen Einträgen zum modischen "Master" ein bisschen Lächeln ins Spiel: "LL.M. – Vor allem bei Großkanzlei-Anwälten sehr beliebtes Namensanhängsel. Es steht für Master of Law und soll signalisieren, dass man ein Jahr lang an angloamerikanischen Elitehochschulen absolviert hat, seine Rechnungen jetzt also auch in fehlerfreiem Englisch schreiben kann."

Leider rettet dieser mutmaßlich selbstironische Eintrag das sonst eher lieblos anmutende Wörterbuch nicht. Beispielsweise wird die berühmte Definition des Begriffs "Eisenbahn" durch das Reichsgericht, zu dem der Rezensent zugegebenermaßen eine etwas eigenwillige Beziehung hat, nur wieder einmal als besonders absurder Beleg für den juristischen Kanzlei- und Nominalstil vorgeführt.

Die angeblich so sprachlich verzopften Reichsgerichtsräte vorzuführen, das hat beispielsweise Uwe Wesel in seinem Longseller "Fast alles, was Recht ist" (zuerst: Frankfurt 1991) zwar auch getan, daran aber eine intelligente und weitergehende Sprachkritik angeschlossen.

Vor bald 20 Jahren hat Spiros Simitis dagegen eingewandt, um bizarren Wortwitz im Recht zu finden, könnte man auch aktuelle Vorschriften aufblättern.
Simitis hatte Recht mit seinem Vorschlag: Wer als Laie etwa § 1587a des Bürgerlichen Gesetzbuchs aufschlagen muss, kann genauso ins Weinen oder ins Lachen kommen, wie bei manchen Stellen im Höcker'schen Opus.

Lachen oder Weinen – das ist da wie dort wohl eine Humorverstandesfrage.

Literatur:

Ralf Höcker: "Anwalt-Deutsch / Deutsch-Anwalt". Wir verstehen uns vor Gericht, Berlin etc. (Langenscheidt) 2009. "Lexikon der Rechtsirrtümer". Zechprellerei, Beamtenbeleidigung und andere juristische Volksmythen. 4. Auflage Berlin (Ullstein) 2004. "Neues Lexikon der Rechtsirrtümer". 'Wer auffährt hat Schuld' und andere juristische Halbwahrheiten, Berlin (Ullstein) 2005. "Das dritte Lexikon der Rechtsirrtümer". Die Angst vorm Blaulicht und andere juristische Fehleinschätzungen, Berlin (Ullstein), 5. Auflage 2009

Uwe Wesel: "Fast alles, was Recht ist", 7. Auflage (Frankfurt) 2002

Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist.

 

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Zitiervorschlag

Martin Rath, Recht im Bestseller: . In: Legal Tribune Online, 10.07.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3705 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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