Laut einer neuen Beamtensoziologie könnten Streifenpolizisten stur ihren Dienst verrichtet haben, als Peter Ustinov singend und klampfend Rom brennen ließ. Einen Wahnaspekt betriebswirtschaftlicher Vorstudien zum erotikfreien Betriebsklima werden demnächst Juristen exekutieren dürfen. Richtig primitiv wird aber erst die Staatsrechtslehre. Eine Literaturauslese von Martin Rath
Politikberatung kann ja so schön scheitern. Den dramatischen Anfang machte der antike Philosoph Seneca. Unter seinem Schüler Nero, lebensnah von Peter Ustinov verkörpert, musste Rom brennen, schon damit die religiösen Sektierer in der Hauptstadt des Imperiums Futter für ihre Verschwörungstheorien erhielten.
Seneca wird heute zu den Philosophen der Stoa gezählt und noch unter deutschen Streifenpolizisten der Gegenwart sollen Stoiker weit verbreitet sein, folgt man der Soziologin Peggy Szymenderski, die an der Technischen Universität Chemnitz über die "Gefühlsarbeit im Polizeidienst" promoviert wurde. Aus Interviews mit 43 ostdeutschen Beamten entwickelte Szymenderski unter anderem eine Polizistentypenlehre, die neben dem "Verlagerer", der im Einsatz seine Gefühle ausblende, um sie im Privatleben wieder hervorzuholen und neben dem "Abwehrer" auch einen "Stoiker" entdecken lässt, der belastende Ereignisse im Polizistenleben zum Berufsrisiko zähle, dem er mit "Misstrauen, Distanziertheit und Zynismus" begegne. "Zu diesem Typ gehörten", lässt die TU Chemnitz wissen, "in der Befragung ausschließlich Streifendienstbeamte."
Verständigungsstörungen, überall Verständigungsstörungen
Statt um "Misstrauen, Distanziertheit und Zynismus" scheint es im globalisierten Bildungsreisewesen der Juristen um "Idealität, Interessen, Ignoranz" zu gehen, so der Aufsatz von Ulrike Meyer "Zur schwierigen Gemengelage der internationalen Rechtsstaatsförderung" in der Zeitschrift "Der Staat" (2012, Seiten 35-55), der sich dem theoretischen Fundament des internationalen "Rechtsstaatsdialogs" annimmt.
Das deutsche Modell "Rechtsstaat" sieht sie gegenüber der "rule of law" insofern von Vorteil, als es das Recht stärker in die Ordnung des Staates bindet als das angelsächsische Recht, das wie ein staatsfreies Ethikangebot daherkomme. Meyers Überlegungen zu oft vergeblichen Versuchen, "westliche" Rechts(staats)modelle zu exportieren, hätten wohl auch die Besucher einer Verhandlung interessiert, von der Udo Vetter im Lawblog berichtete: Auf Einladung der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen waren chinesische Juristen unterwegs, sich den deutschen Rechtsstaat einmal aus der Nähe anzuschauen – getreu der Maxime des "chinesischen" Philosophen Friedrich Engels, der von jeder Theorie forderte: "the proof of the pudding is in the eating". Leider sprachen Vetters chinesische Prozessbesucher kein Deutsch, sodass der böse Verdacht keimen mag, internationaler Rechtsstaatsdialog könnte buchstäblich mehr dazu dienen, fremde Gastronomie als Gerichtspraxis zu erkunden.
Die theoretische statt der gastronomischen Seite des Puddingtests verdient allerdings ein weiterer Aufsatz in "Der Staat" (2012, Seiten 57-89). Der Bonner Rechtsgelehrte Stefan Haack will die juristische Zunft für eine "Primitive Staatstheorie" gewinnen. Er möchte – abseits der üblichen Verfassungsrechtsdogmatik – eine "Art des Staatsdenkens" herausdestillieren, die so "primitiv" ist, dass sich auf sie nicht nur ihre Vertreter "sondern mit gleichem Recht auch ihre Gegner" stützen könnten. "Primitiv" ist also nicht abwertend gemeint. Haack hebt hervor: "Von allen anderen Staatstheorien unterscheidet sich unser Ansatz insbesondere dadurch, dass er sich darum bemüht, diese Axiome auf ein Minimum, ja wenn man so will, auf Banalitäten zu reduzieren."
Der professorale Majestätsplural "unser Ansatz" durchzieht den Aufsatz. Auch sonst bietet der Text eine hohe Irritationsdichte, was nicht abwertend gemeint ist. Einer der primitiven Gedanken geht etwa dahin, auch jahrzehntausendealte soziale Ordnungen mit dem Goldlack der Staatlichkeit zu überziehen. So heißt es beispielsweise, dass "das Gebundensein an die Familie" für den Menschen zwar "'elementar' genannt zu werden" verdiene, der familiären Bindung für sich genommen aber die höhere Weihe durch staatliche Sinngebung fehle: "Rechte und Pflichten zwischen Ehegatten bzw. zwischen Eltern und Kindern ergeben sich aus einer höherrangigen Ordnung: in diesem Fall dem Vierten Buch des BGB." Ob die Staatsrechtslehrerzunft von dieser Rhetorik naschen wird? "The proof of the pudding is the eating."
Integration durch Geburtenregister
"Die Einbeziehung des Einzelnen durch seinen Staat in seinen Staat vollzieht sich außerdem, in einem Maß, das nicht unterschätzt werden sollte, durch Staatssymbolik", heißt es bei Haack: "durch Flaggen, durch Wappen, durch Hymnen und nicht zuletzt auch durch ein bloßes Staatsimage."
Es wäre interessant dem Gedanken nachzugehen, ob die "Einbeziehung des Einzelnen durch seinen Staat in seinen Staat" sich auch durch die Eintragung ins Geburtenregister "vollzieht". In seiner Stellungnahme zum Problem der "Intersexualität" hält immerhin der Deutsche Ethikrat unter Vorsitz von Bundesjustizminister a.D. Edzard Schmidt-Jortzig fest: "Die Geschlechtsidentität findet ihren rechtlichen Ausdruck im Geschlechtseintrag im Geburtenregister. Die Regelungen des Personenstandsrechts fallen insoweit in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts." Für Menschen, "die sich aufgrund ihrer selbst empfundenen geschlechtlichen bzw. sexuellen Identität weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen können" stelle daher die erzwungene Eintragung als Mann oder als Frau – tertium non datur – einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar. Das positive Recht sei, so einer der leider etwas gallertartigen Vorschläge des Ethikrats, dahingehend zu ändern, dass ein "drittes Geschlecht" ins Geburtenregister eingetragen, der Eintrag als solcher abgeschafft oder in ein späteres Lebensalter verschoben werden kann.
Angesichts der historischen Erfahrung, dass sich die "Einbeziehung des Einzelnen durch seinen Staat", jedenfalls soweit es die schwächeren Individuen betrifft, weniger auf der Ebene des Flaggen- als der des Personenstandsrechts beweist, wird es spannend sein, ob und wie sorgfältig sich "die Politik" des Ethikratsgutachtens (pdf) annehmen wird.
Recht auf Betriebserotik in BWLer-Zeitschrift vorauszuahnen?
An den Universitäten beschreiben die Jura- und die Betriebswirtschaftsstudenten ihr Verhältnis mitunter nach Art junger Balkanrepubliken: wenig wohlgesonnen. Ob ein Aufsatz in "Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung" (2012, 37-70) auf juristisches Interesse stoßen kann, ist daher ungewiss. Versuchen "wir" es, indem wir ihm einen erotischen Aspekt zuschreiben.
Unter dem Titel "Gender Diversity und Organisationserfolg" legen Sabine Boerner, Hannah Keding und Hendrik Hüttermann "Eine kritische Bestandsaufnahme" zum Geschlechterverhältnis in "Teams" von Behörden und Unternehmen vor. Ihr Fazit, gezogen aus den Metaanalysen zahlreicher Studien, ist zunächst für die aktuelle rechtspolitische Diskussion höchst spannend: Gut gemischte Teams, die dem Ideal der "gender diversity" entsprechen, bringen für sich genommen offenbar keinen wirtschaftlichen Zusatznutzen. Allenfalls im Dienstleistungssektor, wo Kundinnen und Kunden auf Beraterinnen und Berater treffen wollen, sind positive Effekte zu beobachten. Im Produktions- und Hochtechnologiebereich sei hingegen mit negativen Effekten durch "gender diversity" zu rechnen.
Boerner, Keding und Hüttermann sind nicht so naiv anzunehmen, dass diese Beobachtung ausreichen würde, die gesetzliche Förderung von Geschlechterdurchmischung in Teams – juristisch nennt man das wohl "im Betrieb" – aufzuhalten. Interessant ist daher ihr Hinweis, dass die negativen Konsequenzen, die etwa durch geschlechterbezogene Vorwürfe von Inkompetenz entstünden, durch "(e)ine gemeinsame, auf das jeweilige Team oder die jeweilige Organisation bezogene soziale Identität aller Gruppenmitglieder" aufgefangen werden müssten, um "geschlechterbezogene Identitäten ('Wir Männer' beziehungsweise 'Wir Frauen')" zu unterbinden.
Arbeitsrechtler dürfen sich an dieser Stelle schon die Hände reiben, beim Blick ins betriebswirtschaftliche Schrifttum. Am Horizont zieht nämlich der Arbeitsplatz nach US-amerikanischem Zuschnitt auf, an dem jede sexuell eingefärbte Kommunikation mit juristischer Strenge peinlichst unterbunden wird, und zwar im Interesse der wirtschaftlichen Effizienz.
Vielleicht ist ja die Polizeiwache das Vorbild für den Betrieb von morgen. Dort soll man sich ja schon heute mit "Misstrauen, Distanziertheit und Zynismus" begegnen.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Recht frech / Eine etwas andere Literaturübersicht: . In: Legal Tribune Online, 10.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5747 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag