Recht frech / Die etwas andere Literaturübersicht: Tran­s­pa­renz, ein juris­ti­scher Wech­sel­balg

von Martin Rath

10.04.2011

Noch sind es nur die notorischen TV-"Richter", die das Rechtssystem durch Zuschauerorientierung blamieren. Setzen sich Transparenzwünsche der Medienwirtschaft durch, könnten "richtige" Richter dazu kommen. Probleme mit der lieben Transparenz durchziehen die neuere juristische Fachpresse. Einige willkürlich ans Licht gezerrte Beispiele von Martin Rath.

Nie wurde so viel fotografiert, nie so viel Unfug über Medien verbreitet wie heute. Weil sich Juristen immer gerne an Streitfragen beteiligen, kommen sie natürlich auch nicht um jene herum, die durch den technischen Schub zugunsten von "Transparenz" entstanden sind. In der Vorweihnachtszeit 2010 bescherte etwa Andreas Voßkuhle den deutschen Fernsehproduzenten leuchtende Augen. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts gab Grund für zarte Vorfreude mit seiner Idee, das strikte Verbot von Fernsehaufnahmen während laufender Prozesse etwas zu lockern.

Wohlwollend und in einem Punkt vielleicht etwas naiv äußerte sich nun zu Voßkuhles Vorschlag der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm. Einem zukünftigen Gerichtsfernsehen kann Grimm im Interview mit der Zeitschrift für Rechtspolitik (2011, 61-62) durchaus positive Seiten abgewinnen, solange die Persönlichkeitsrechte, beispielsweise in Straf- oder Kündigungsschutzprozessen, hinreichend gewahrt würden – beispielsweise durch eine würdige Kameraführung.

Überraschend gutmütig ist Grimm mit Blick auf das Trash-TV von Barbara Salesch & Co.: Der Umstand, dass es im kommerziellen Fernsehen Formate gebe, die Gerichtsverfahren lediglich vortäuschten, dürfe nicht die Ernsthaftigkeit des Berichtserstattungsinteresses im Medium Fernsehen in Frage stellen.

Transparenz-Optimismus und US-Realität

Im Mutterland des Gerichtsfernsehens warf erst im vergangenen Jahr der Fall einer kalifornischen Richterin ein bezeichnendes Licht darauf, dass sich seriöse und "trashige" Formate womöglich doch nicht so einfach trennen lassen, wie es Dieter Grimm vorschwebt. So verlor Richterin DeAnn Salcido vom Superior Court San Diego ihr Amt, nachdem ihr vorgeworfen worden war, sie habe die Verfahren vor ihrem Gericht zur Vorbereitung einer späteren Reality-TV-Karriere missbraucht etwa durch besonders drastisch-"witzige" Bemerkungen gegenüber Angeklagten.

Es gehört sicher viel Optimismus zu dem Glauben, es fänden sich in deutschen Landen keine Richter oder Staatsanwälte, die nicht beherzt in dieselben Fettnäpfchen wie die  kalifornische Kollegin treten würden. Dass jedenfalls das Strafrecht kein ganz schlechter Ort für ein pessimistisches Menschenbild ist, belegt ein Aufsatz des Freiburger Strafrechtlers Gerson Trüg in der Neuen Juristischen Wochenschrift, "Medienarbeit der Strafjustiz – Möglichkeiten und Grenzen" (NJW 2011, Seiten 1.040-1.045).

Nach Ansicht von Trüg hat die Öffentlichkeit von Strafprozessen einen Funktionswandel durchgemacht. Galt sie früher dem Schutz vor staatlicher Geheimjustiz, müssten heute Angeklagte vor einem Übermaß an öffentlicher Neugierde geschützt werden. Dazu schlägt er vor, Medienauskünfte im Vorfeld und außerhalb der öffentlichen Hauptverhandlung drastisch zurückzufahren.

Ein anonymer Beschuldigter würde demnach erst im Gerichtssaal Gefahr laufen, dass seine Identität medienöffentlich bekannt wird – jede enttarnende Pressearbeit im Vorfeld oder in Verfahren, die auf einen Strafbefehl hinausliefen, wäre zu unterbinden.

Kachelmanns Traum macht der Bundestag wahr

In Prozessen wie gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann oder den Ex-Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss wurde die Neugier der Medien, folgt man Trüg, mit unzulässig vielen Informationen gestillt. Derweil schläft die Aufmerksamkeit für ein zentrales Organ der Republik auf bedrohliche Weise ein, wie Max Bauer in seinem Aufsatz "Das Verstummen eines Parlaments" belegt.

Seit dem Sommer 2009 erlaubt eine neue Geschäftsordnungsvorschrift des Deutschen Bundestages, dass die Abgeordneten ihre Reden in zunehmendem Maß nicht mehr mündlich vortragen müssen. Stattdessen geben sie ihre Texte schriftlich "zu Protokoll".

Max Bauer erinnert (in: Der Staat 2010, Seiten 588-604) daran, dass der direkte rhetorische Schlagabtausch in der parlamentarischen Öffentlichkeit den "politischen Prozess auf die ausschlaggebenden Argumente, auf die wirkenden Macht- und Interessenskonstellationen" fokussieren soll.

Diese Debatte durch weitgehend anonym bleibende Akten zu ersetzen, die nur noch ins Parlamentsprotokoll eingepflegt werden müssen, hält Bauer für verfassungsrechtlich angreifbar und als Abbau einer funktionstüchtigen Demokratie für höchst bedenklich.

Miserable Gesetzgebungsarbeit: Transparenz als Irrsinn

Während die Bundestagsabgeordneten ihre Arbeit also gerne in ein Dunkelfeld verlegen möchten, soll der gemeine Verwaltungsuntertan sein Tagwerk nach dem Willen des Gesetzgebers im scharfen Licht der Online-Öffentlichkeit verrichten – jedenfalls, soweit sein Arbeitsplatz ein Pflegeheim ist.

In seinem Beitrag "Obskure Transparenz – Pflegetransparenzberichte gem. § 115 Ia SGB XI versus Rechtsstaatlichkeit" (NJOZ 2011, 385-393) belegt Jörg Brochnow, dass dem Gesetzgeber einmal so ziemlich alles missraten ist, was missraten konnte.

Der Fachanwalt für Medizinrecht kritisiert unter anderem, dass die im Internet zu veröffentlichenden "Transparenzberichte" über die Leistungen von Pflegeeinrichtungen nach einer sozialwissenschaftlich völlig unzureichenden Methodik erhoben würden. Eine solide Rechtsgrundlage für den Prüfungsbetrieb fehle. Angesichts ihrer fundamentalen Mängel böten die "Pflegetransparenzberichte" zudem "keinerlei Entscheidungshilfe für die Auswahl eines Pflegedienstes durch die Verbraucher".

"Magna Charta des Verbrechers"? Hauptsache transparente "Ausführungsbestimmungen"

Dem Strafrechtstheoretiker Franz von Liszt (1851-1919) wird das geflügelte Wort vom Strafgesetzbuch als der "Magna Charta des Verbrechers" zugeschrieben. Im weiten Feld der Betäubungsmittelkriminalität muss der Blick ins Gesetz aber noch lange nicht die Rechtskenntnis erhöhen, wie der Artikel "Die aktuellen Wirkstoffgehalte von Cannabis" in der "Neuen Zeitschrift für Strafrecht" (NStZ 2011, 76-77) zeigt.

Jörn Patzak, Staatsanwalt in Trier, und Sabine Goldhausen, Kriminaltechnikerin beim Landeskriminalamt, setzen sich mit den aktuellen Wirkstoffgehalten der weit verbreiteten psychotropen Substanz auseinander und thematisieren die von den Bundesländern aufgestellten Richtlinien zur Strafverfolgung bei Besitz kleiner Mengen.

Der Beitrag der beiden rheinland-pfälzischen Landesbediensteten hat eine etwas ironische Duftnote, bietet er doch nicht nur dem lesenden Strafverfolger, sondern auch dem Bürger mit Wunsch zum illegalen Konsum eine "Entscheidungshilfe", die im Betäubungsmittelgesetz – der "Magna Charta des Verbrechers" –  so nicht zu finden ist.

Was illegale Kräuter angeht, wird Transparenz auch für den deliktswilligen "Verbraucher" also durch das 'Kleingedruckte' zweier Strafverfolger hergestellt – eine etwas paradoxe Erkenntnis.

Endlich Hellsichtiges zum Potsdamer Schlossgarten

Man weiß nicht, welche Kräuter in den Beeten jener "öffentlich-rechtlichen Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg" wuchern, die im vergangenen Dezember vor dem Bundesgerichtshof die unentgeltliche Verwertung von Fotografien ihrer Schlösser und Gärten verbieten ließ (BGH Urteil v. 17. 12. 2010, Az. V ZR 45/10).

Die Stiftung könne die gewerbliche Verwertung von Fotografien ihrer Gebäude und Anlagen untersagen, was aus ihrem Recht als Grundstückseigentümerin  folge. Weil ihr mit dem Urteil weitergehende Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche zugesprochen wurden, als sie etwa aus Urheberrechten folgen, löste es vor allem in der ohnehin undurchsichtigen juristischen Blogosphäre einigen Meinungsnebel aus.

Den Nebel könnte jetzt der Kieler Zivilrechtler Heimo Schack mit seiner scharfen Urteilskritik (Juristenzeitung 2011, 375-376) lüften: Es sei eine abwegige Vorstellung des fünften BGH-Zivilsenats, anzunehmen, dass die Nutzung von Fotografien, die während des erlaubten Betretens eines Grundstücks gemacht worden seien, "mit dinglicher Wirkung" verboten werden könnte – "(d)abei spielt es keine Rolle, ob Gegenstand der Abbildung ein Eichhörnchen, ein blühender Kirschbaum oder ein Gebäude ist. Denn die Nutzung all dieser Gegenstände wird durch das Fotografieren nicht beeinträchtigt".

Üble Transparenz der Hilfswissenschaftler: Armbrustschüsse

Zur Frage, ob Grundstückseigentümer auch künftig ihre Eichhörnchen, Kirschbäume oder Gebäude davor schützen können, von fremden Fotografen belästigt zu werden, dürften noch weitere BGH-Urteile folgen. Schack zufolge tanzte der fünfte Zivilsenat hier etwas aus der Reihe.

Der lesende Jurist wird übrigens derweil an anderer Stelle durch Fotografien beeinträchtigt, die ihm glücklicherweise nur dann vor Augen kommen, wenn er ein ausreichendes Interesse an krimineller Energie aufbringt: Die Fachzeitschrift "Rechtsmedizin" eröffnete ihren Jahrgang 2011 (Seiten 1-3) mit der Rubrik "Der besondere Fall im Bild".

In dem Beitrag schildern drei Rechtsmediziner aus München einen "Suizid mithilfe einer Armbrust". Ein Hobby-Armbrustschütze hatte offensichtlich seine Waffe gegen sich selbst gerichtet. Illustriert werden die rechtsmedizinischen Details der nachfolgenden Untersuchung mit Bildern, in denen unter anderem der Schädel des Suizidenten in unterschiedlichen Phasen der Sectio dargestellt wird.

Ob juristische Lehrbücher zum Strafprozessrecht mit bunten Bildern ausgestattet werden sollten? Immerhin verrichtet die Gerichtsmedizin ihr blutiges Handwerk ja im Dienst der Justiz, genau genommen nach §§ 87, 89 der Strafprozessordnung.

Dagegen spricht, dem guten Geschmack sein Recht zu lassen. Manchmal soll der ja kein schlechter Maßstab sein, nicht nur, wenn es um die Grenzen von Transparenz und Öffentlichkeit geht.

Martin Rath arbeitet als freier Journalist und Lektor in Köln.

 

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Zitiervorschlag

Martin Rath, Recht frech / Die etwas andere Literaturübersicht: . In: Legal Tribune Online, 10.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2992 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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