"Parmesan und Partisan, wo sind sie geblieben?", fragte einst der juristisch gebildete Kabarettist Matthias Beltz. Bei der umfangreichen Kritik am Flashmob-Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist Martin Rath inspiriert von der Gleichsetzung von Streikenden mit Partisanen und er fragt nicht ganz bitterernst, ob Beltz` Antwort noch stimmt: "Parmesan und Partisan, beide sind zerrieben."
Die männliche Variante des jungen Schnösels trägt Dreitagebart. Das weibliche Gegenstück ein schickes Bundespräsidialgattinnen-Tattoo auf UV-schonend gebräunter Haut. Wie frisch aus der Zeitschrift "Neon" gepellt stellt sich der konservative Beobachter gerne Menschen vor, die tagfüllend gelangweilt sind und deshalb mit ihrem Handy nichts besseres anzustellen wissen, als einen "Flashmob" zu veranstalten.
Also eine jener tendenziell unsinnigen Spontanversammlungen, deren Teilnehmer auf offener Straße Kissen schlachten oder sich Sätze aus dem Grundgesetz vorlesen, weil das ja sehr politisch ist.
Man hätte der flashmobbenden Nachhut der Spaßgesellschaft gegönnt, ins juristische Schrifttum nur in Gestalt platten Prüferhumors fürs studentische Fallgutachten einzugehen: "Die Würde eines Staatsdieners wurde mittels Kissenwurfs beschädigt, prüfen Sie die Strafbarkeit...".
"Partisanenkampf" schreckt Arbeitsrechtler auf
Doch dass Flashmobs auch zum ernsthaften juristischen Problem wurden, ist bekanntlich der Gewerkschaft Verdi zu verdanken, in deren Händen der sinnfreie Jeunesse-dorée-Spaß zur streikbegleitenden Betriebsblockade im Einzelhandel mutierte.
Für die Beurteilung der streitbefangenen Vorgänge – beispielsweise des gruppenweisen Hinterlassens gefüllter Einkaufswagen im Kassenbereich, ohne einzukaufen, sondern um zu blockieren – durch das Bundesarbeitsgericht (Urt. 22.09.2009, Az. 1 AZR 972/08) finden neben vielen anderen Kritikern Steffen Krieger und Jens Günther unter dem Titel "Streikrecht 2.0 – Erlaubt ist gefällt?" klare Worte. So beklagen sie in der Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA 2010, 20-24) die unerwartete Ausweitung gewerkschaftlicher Arbeitskampfmittel um den Flashmob, gegenüber dem einem betroffenen Arbeitgeber kaum noch ein realistisches Abwehrmittel zur Verfügung stehe – schade der sich doch mit der vom Bundesarbeitsgericht angeregten vorübergehenden Betriebsschließung doch wieder einmal in erster Linie selbst.
In diesem Zusammenhang versteht auch Bernd Rüthers selbstverständlich keinen Spaß. Mit der erfrischenden Schärfe des emeretierten Professors bewertet er die neuere und ältere Rechtsprechung zum "Arbeitskampf in einer veränderten Wirtschafts- und Arbeitswelt" (Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 2010, 6-14). Wer noch Peter Hanaus "Die Europäische Grundrechtecharta – Schein und Wirklichkeit im Arbeitsrecht" hinzunimmt, gleich nebenan publiziert (NZA 2010, 1-6), erhält einen wohlinformierten Überblick zur ökonomisch hochbrisanten Materie – die im politischen Berlin vielleicht auch deshalb nicht die gehörige Aufmerksamkeit erhält, weil sie in die beschränkte SMS-Kommunikation führender Politiker nicht mehr hineinpasst.
Flashmob als Partisanenkampf – mehr als eine Metapher?
Früher stand bekanntlich der streikende Arbeiter mit einer Art Gewerkschaftsmüllsack bekleidet vor dem Betrieb mannhaft im Regen. Er führte seinen Kampf offen.
Nach der Flashmob-Judikatur droht nun der neumodisch Streikende heimlich und hinterrücks anzugreifen, den angegriffenen Betrieb mit einfachen Mitteln massiv zu stören – zum Beispiel mit einem provozierten Zusammenbruch des Kassengeschäfts im Supermarkt. Militärhistorisch Interessierte könnten da an asymmetrische Kriegführung denken.
Ganz so weit geht Franz Jürgen Säcker in seiner Abrechnung mit dem Flashmob-Urteil nicht, doch beginnt er sie mit einer starken Metapher: "Von der offenen Arbeitseinstellung zur verdeckten Betriebsblockade. Der Arbeitskampf im Wandel zum Partisanenkampf", erschienen in der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW) 2010, 1115-1118.
Leider dient die starke Metapher im Wesentlichen nur dazu, die nach Ansicht des Verfassers problematische bis unlautere Ausweitung gewerkschaftlicher Arbeitskampfmethoden zu illustrieren. So belässt es Säcker bei einem allgemeinen Hinweis auf "die Bewunderung des Partisanen durch den Kritiker des Rechtsstaats Carl Schmitt."
Schmitt ins Feld geführt
Den Partisan nur als rhetorische Figur ins Feld zu führen, derer sich auch Carl Schmitt gern bediente, dürfte ihn nicht hinreichend aufreiben. Es könnten sich im Gegenteil sogar fruchtbare Erkenntnisse anschließen.
Denn der ein bisschen heikle Staatsrechtslehrer Schmitt (1888-1985) hinterließ nicht nur eine etwas obskure Carl-Schmitt-Philologie. Zweifellos hat er in den Politikwissenschaften auch einige Gedankengänge zur Kriegstheorie und speziell zum Partisanen angeregt oder doch lebendig erhalten. Könnte es sein, dass der Partisan zu mehr taugt als zu einer Metapher, sich vielleicht Analogien zwischen militärischem und ökonomischem Konflikt entwickeln lassen?
Aus Platzgründen sollen hier nur Fragen angedeutet werden: Könnte es sein, dass der legendäre erste Präsident des Bundesarbeitsgerichts, Hans-Carl Nipperdey (1895-1968), der die Arbeitskampfdogmatik wesentlich prägte, ein Menschenbild vor Augen hatte, das heute so nicht mehr passt?
So dürfte in Nipperdeys Zeiten der idealtypische Arbeiter männlich gewesen, mehrere Jahre beim regulären Militär gedrillt und mit jener Disziplin ausgestattet worden sein, mit der ein von der Gewerkschaftsführung zentral gelenkter Arbeitskampf geführt werden konnte.
Ingrid Schmidt, Nipperdeys mittelbare Nachfolgerin in Gericht und Senat, hat es gottlob heute mit einer zivileren, insgesamt weit weniger disziplinier- und zentral lenkbaren Arbeitnehmerschaft zu tun, nicht zuletzt auch mit einer deutlich weiblicheren. Vielleicht ein Grund, mehr irregulär streiken zu wollen?
Sollte sich daran womöglich ein grundlegender Wandel im öffentlichen Konfliktverhalten, einschließlich der Arbeitskämpfe, anschließen? Der bekannte Politologe Herfried Münkler hat in seiner Aufsatzreihe "Odysseus und Kassandra" gezeigt, dass die heimliche, hinterrücks agierende, "unmännliche" Partisanenart des Kämpfens von den Schwachen, Ohnmächtigen, namentlich den Frauen bevorzugt wurde – für die der reguläre Konflikt zu gefährlich oder schlicht zu ineffizient war.
Neue Konfliktmuster und -methoden am Start?
Sicher, unter dogmatischen Gesichtspunkten wird die Frage spannend werden, ob das Bundesverfassungsgericht das Flashmob-Urteil des BAG kassieren wird. Gründe dafür soll es geben.
Spannender ist vielleicht die Frage, ob angesichts der globalisierten Ökonomie "mächtiger" Konzerne, der mental demilitarisierten deutschen Gesellschaft und dem nicht zu übersehenden Wandel der Geschlechterverhältnisse nicht dem Flashmob die Zukunft gehört und dem klassischen, im Wortsinn "geführten" Streik die Vergangenheit.
Sicher ist jedenfalls, ganz gleich wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird, als Jeunesse-dorée-Spaß hat der Flashmob in jedem Fall ausgedient. Für seine sympathisch-kindische Seite gilt also frei nach Matthias Beltz: "Parmesan und Partisan, beides wird zerrieben."
Der Autor Martin Rath ist freischaffender, also arbeitskampfuntauglicher Journalist und Lektor in Köln.
Martin Rath, Recht frech / Die etwas andere Literaturübersicht: . In: Legal Tribune Online, 06.08.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1157 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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